DETO2X-AMI: Sauerstoff beim akuten Infarkt ohne Hypoxie bringt keine Vorteile – „Zeit, die klinische Praxis zu ändern“

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

7. September 2017

Barcelona – Die Gabe von Sauerstoff bei Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt ist immer noch oft Routine. Die Überlegung dahinter: Die bessere Sauerstoffversorgung des ischämischen Myokards könnte die Infarktgröße limitieren und späteren Komplikationen wie Herzinsuffizienz und Arrhythmien vorbeugen. Das klingt zwar logisch – funktioniert aber nicht, wie die jetzt beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona vorgestellte und zeitgleich im New England Journal of Medicine publizierte DETO2X-AMI-Studie belegt [1;2].

Ein-Jahres-Sterberate war nicht unterschiedlich

In der register-basierten randomisierten Studie hatten 6.629 Patienten des schwedischen SWEDEHEART-Registers mit Verdacht auf Herzinfarkt – aber ohne Hypoxie bei der Eingangsuntersuchung (O2-Sättigung im Blut über 90%) –entweder Sauerstoff über eine Atemmaske für im Median knapp 12 Stunden oder nur Raumluft erhalten. 1,9% in der Sauerstoff- und 7,7% in der Raumluft-Gruppe entwickelten im weiteren Verlauf doch noch eine Hypoxie.  

Primärer Endpunkt war die Sterberate nach einem Jahr. Diese unterschied sich nicht (5,0 vs 5,1%; Hazard Ratio: 0,97; 95%-Konfidenzintervall: 0,79-1,21; p = 0,8). Ebenso wenig hatte die Sauerstoffgabe einen Effekt auf die Rehospitalisierungsrate wegen eines Herzinfarkts innerhalb eines Jahres (3,8 vs 3,3%, HR: 1,13, 95%-KI: 0,88-1,46; p = 0,33) oder auf die Myokardschädigung (gemessen an der Höhe der maximalen Troponin-T-Spiegel). Auch Subgruppen mit hohem Risiko, z.B. Raucher, ältere Patienten, solche mit Diabetes oder früheren Herzerkrankungen profitierten nicht von der zusätzlichen Sauerstoff-Gabe.

„Insgesamt haben wir in dieser pragmatischen, register-basierten, randomisierten klinischen Studie, die die zusätzliche Sauerstoff-Gabe gegen Raumluft geprüft hat – dies bei Patienten mit Verdacht auf einen Herzinfarkt, die ausgangs keine Hypoxie hatten – keinen günstigen Effekt des Sauerstoffs auf die Gesamtmortalität nach einem Jahr gesehen“, fasste Studienleiter Dr. Robin Hofmann, Karolinska Institut, Stockholm, Schweden, das Ergebnis bei einer Pressekonferenz während des ESC-Kongresses zusammen. 

 
Es (die Sauerstoff-Gabe) benötigt Zeit – und diese Zeit lässt sich im Sinne der Patienten besser nutzen. Dr. Robin Hofmann
 

Sauerstoff-Gabe wird schon länger kontrovers diskutiert

Zwar hatte sich die Sauerstoff-Gabe in dieser Studie auch nicht negativ ausgewirkt. Doch: „Es benötigt Zeit – und diese Zeit lässt sich im Sinne der Patienten besser nutzen“, sagte Hoffmann. Und auch wenn Sauerstoff nicht teuer sei, so würden doch auch damit unnötige Kosten produziert.

 
Es gibt keine Evidenz aus randomisierten Studien, um die routinemäßige Gabe von Sauerstoff bei Infarkt-Patienten zu unterstützen. Cochrane Metaanalyse aus 2016
 

Lange Zeit wurde die Gabe von Sauerstoff in vielen Leitlinien empfohlen. Doch basierten diese Empfehlungen allein auf Experten-Konsens – und wurden schon länger kontrovers diskutiert. Es handle sich beim verbreiteten Einsatz des Sauerstoffs eher um eine Tradition, denn um eine wissenschaftlich basierte Maßnahme, hieß es.

Und im Jahr 2014 hatte die australische AVOID-Studie (Australian Air versus Oxygen in Myocardial Infarction) sogar Hinweise auf einen möglicherweise negativen Effekt der Sauerstoff-Gabe ergeben. Damals waren die Infarkte bei denjenigen Patienten, die Sauerstoff erhalten hatten, sogar größer gewesen.

 
Diese fantastische Untersuchung hat uns geholfen, eine simple Frage zu beantworten. Dies wird die Leitlinien ändern. Dr. David Newby
 

Die Autoren einer Cochrane Metaanalyse aus dem Jahr 2016 hatten beklagt: „Es gibt keine Evidenz aus randomisierten Studien, um die routinemäßige Gabe von Sauerstoff bei Infarkt-Patienten zu unterstützen – und negative Effekte sind nicht auszuschließen.“ Sie forderten hochwertige klinische Studien, um diese Frage zu klären. Mit DETO2X-AMI liegt eine solche Studie nun vor, waren sich in Barcelona die Kommentatoren einig.

Endlich Antwort auf eine simple Frage

Dr. David Newby, Universität von Edinburgh, Schottland, der die Studie beim ESC-Kongress kommentierte, nannte die Ergebnisse „aufregend“ und zeigte sich sicher, dass sie die gängige Praxis ändern werden. Diese Resultate seien „nicht weiter zu diskutieren“, sagte er. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der primäre Endpunkt mit der Ein-Jahres-Mortalität, der härteste Endpunkt sei, den man definieren könne. „Diese fantastische Untersuchung hat uns geholfen, eine simple Frage zu beantworten. Dies wird die Leitlinien ändern“, zeigte er sich überzeugt.

 
Es ist eindeutig Zeit, die klinische Praxis zu ändern und diese definitive Evidenz zu berücksichtigen. Prof. Dr. Joseph Loscalzo
 

In einem Editorial, das zeitgleich zur Publikation im New England Journal of Medicine erschienen ist, teilt Prof. Dr. Joseph Loscalzo, Brigham and Women’s Hospital, Boston, USA, diese Meinung [3]: Die Resultate der aktuellen Studie „versorgen uns mit definitiver Evidenz, dass die zusätzliche Gabe von Sauerstoff bei Patienten mit akutem Herzinfarkt, die eine normale Sauerstoff-Sättigung haben, nichts bringt“. Auch er hält die Konsequenzen aus diesen Ergebnissen für „unstrittig“: „Es ist eindeutig Zeit, die klinische Praxis zu ändern und diese definitive Evidenz zu berücksichtigen.“



REFERENZEN:

1. Kongress der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 30. August 2017, Barcelona/Spanien. DETermination of the role of OXygen in suspected Acute Myocardial Infarction (DETO2X), präsentiert am 28. August 2017

2. Hofmann, et al: NEJM (online) 28. August 2017

3. Loscalzo J: NEJM (online) 28. August 2017   

Kommentar

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