Barcelona – Der Cholesterinester-Transferprotein(CETP)-Hemmer Anacetrapib, über 4 Jahre zusätzlich zu einem Statin gegeben, senkt bei Patienten mit atherosklerotischen Gefäßerkrankungen das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse signifikant um relativ 9%, absolut von 11,8 auf 10,8% (p = 0,004). Damit ist zum 1. Mal ein CETP-Hemmer – also eine Wirkstoffklasse, die primär zur HDL-Erhöhung entwickelt worden ist, – in einer großen klinischen Endpunkt-Studie erfolgreich.
Prof. Dr. Martin Landray, Universität Oxford, präsentierte die Daten der Endpunkt-Studie REVEAL (Randomized Evaluation of the Effects of Anacetrapib Through Lipid Modification) für die HPS3/TIMI55-REVEAL Collaborative Group beim Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona [1]. Parallel wurden sie online im New England Journal of Medicine publiziert [2].
Er sagte dazu: „Die REVEAL-Studie zeigt zum ersten Mal, dass die Zugabe von Anacetrapib zu einer intensiven Statintherapie die Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse bei Hochrisikopatienten reduziert. Das Ausmaß der Risikosenkung war ähnlich wie bei einer entsprechenden LDL-Cholesterin-Senkung mit Statinen. Der durch Anacetrapib verursachte starke Anstieg der HDL-Cholesterin-Spiegel scheint dagegen auf das Risiko keinen großen Effekt zu haben.“
Landray erklärte dies damit, dass nach Ergebnissen einer Metaanalyse von Studien zur Therapie mit Statinen eine Senkung des Non-HDL-Cholesterinwerts um 17%, wie er in der REVEAL-Studie erreicht wurde, zu einer Senkung des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse um relativ 10% geführt habe. Dies sei konsistent mit den Ergebnissen der REVEAL-Studie und mache es unwahrscheinlich, dass weitere Mechanismen von Anacetrapib eine wesentliche Rolle bei der Senkung des kardiovaskulären Risikos gespielt hätten.
Wie bereits berichtet, hatten frühere Studien mit anderen CETP-Hemmern enttäuscht. Diese waren wegen unerwarteter kardiovaskulärer Risiken (Torcetrapib) oder fehlender Wirkung (Dalcetrapib, Evacetrapib) abgebrochen worden. Im Gegensatz zu anderen CETP-Hemmern erhöht aber Anacetrapib nicht nur das HDL-Cholesterin (und dies besonders stark). Es hat auch noch LDL-senkende Wirkungen, auf die Landray vor allem den positiven Ausgang der Studie zurückführt. Außerdem ergänzte er: „Die REVEAL-Studie rekrutierte doppelt so viele Patienten, erfasste zweimal so viele Outcomes und dauerte doppelt so lang.“
Prof. Dr. M. John Chapman, Pitié-Salpétrière Universitätsklinik, Paris, beglückwünschte als Diskutant in der Hotline-Sitzung die Autorengruppe zu der Studie. „Sie hat zum ersten Mal gezeigt, dass ein Angriff am CETP die Rate kardiovaskulärer Ereignisse reduzieren kann, dies auch bei niedrigen Ausgangswerten von LDL-Cholesterin.“
Im Gegensatz zu Landray schließt er jedoch nicht aus, dass auch die Erhöhung der HDL-Cholesterinwerte durch Anacetrapib das kardiovaskuläre Risiko positiv beeinflusste. Nur etwa 50% der in der Studie eingeschlossenen Patienten hätten zu Beginn einen zu niedrigen HDL-Cholesterinwert aufgewiesen, so dass der Nutzen der CETP-Hemmung auf das HDL-Cholesterin bei der Hälfte der Patienten gar nicht so stark zum Tragen gekommen sei.
Entsprechend der Studienergebnisse sieht Chapman für Anacetrapib ein Einsatzgebiet bei Patienten mit niedrigen HDL-Cholesterinwerten, die Statine nicht vertragen und einen LDL-Cholesterinspiegel über 100 mg/dl aufweisen. Potenzial hat seiner Meinung nach auch eine Kombination aus Anacetrapib mit Lipidsenkern, die über andere Mechanismen wie Statine wirken, etwa Ezetimib.
Patienten, die ein erhöhtes Risiko für eine Makula-Degeneration haben, sollten von der Behandlung ausgeschlossen werden, weil Gene des Cholesterin- und Fettstoffwechsels, wie die CETP-Gene, mit der Makuladegeneration assoziiert zu sein scheinen. Außerdem bestätigte die Studie frühere Befunde, dass sich Anacetrapib im Fettgewebe anreichert. Dies sowie der genaue Einfluss von Anacetrapib auf den Lipidmetabolismus sollte nach Chapmans Ansicht in Langzeitstudien weiter untersucht werden.
Anacetrapib: Erhöht HDL-, senkt LDL-Cholesterin
Patienten mit Gefäßerkrankungen haben bekanntlich ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse – und zwar auch dann noch, wenn sie intensiv mit Statinen behandelt werden. Der CETP-Hemmer Anacetrapib erhöht sowohl die HDL-Spiegel (wie andere CETP-Hemmer auch), senkt aber zusätzlich noch die LDL-Cholesterinspiegel. Ob sich unter einer solchen Therapie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse verringern lässt, hat die randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte REVEAL-Studie mit 30.449 Patienten untersucht.
Die Teilnehmer waren im Mittel 67 Jahre alt. Alle Studienteilnehmer (84% Männer, 16% Frauen) hatten einen Herzinfarkt durchgemacht oder litten an einer zerebrovaskulären atherosklerotischen Erkrankung, einer peripheren arteriellen Erkrankung oder an einem Diabetes mellitus mit symptomatischer koronarer Herzkrankheit. Alle Patienten wurden mit Atorvastatin (20 oder 80 mg/Tag) behandelt. Ihr Ausgangs-LDL-Cholesterinwert lag bei 61 mg/dl. „Dies waren wirklich bereits sehr gut behandelte Patienten“, so Landray. Randomisiert erhielten sie über 4 Jahre zusätzlich zum Atorvastatin noch Anacetrapib (100 mg/Tag, n = 15.225) oder Placebo (n = 15.224).
Bei einer Follow-up-Untersuchung nach etwa 2 Jahren war der HDL-Cholesterinspiegel in der Anacetrapibgruppe um 43 mg/dl (104%) gestiegen, der LDL-Cholesterinwert hatte um 11 mg/dl (17%) abgenommen.
Im kombinierten primären Endpunkt waren schwere kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, koronare Revaskularisierung sowie Tod an einer kardiovaskulären Ursache zusammengefasst. In der Anacetrapib-Gruppe erlitten 1.640 Patienten (10,8%) ein primäres Endpunkt-Ereignis, in der Placebo-Gruppe waren es 1.803 Patienten (11,8%), was einer relativen Risikoreduktion von 9% entspricht (p = 0,004). „Wie in den Statin-Studien dauerte es einige Zeit, bis man den vollen Therapieeffekt gesehen hat“, erläuterte Landray.
Anacetrapib senkte vor allem das Risiko für einen Herzinfarkt (p = 0,007) sowie für eine Revaskularisierung signifikant (p = 0,01), während es keinen signifikanten Effekt auf kardiovaskulär bedingte Todesfälle (p = 0,25) und Schlaganfälle hatte (p = 0,99). Ein Diabetes mellitus wurde in der Anacetrapib-Gruppe seltener neu diagnostiziert (5,3% vs 6%, p = 0,05).
Der CETP-Hemmer erwies sich als gut verträglich. Der systolische Blutdruck war um 0,7 mmHg und der diastolische Blutdruck um 0,3 mmHg höher als in der Placebo-Gruppe. Unter Anacetrapib verschlechterte sich bei etwas mehr Patienten die glomeruläre Filtrationsrate als in der Placebo-Gruppe (11,5 vs 10,6%, p = 0,04), aber Albuminurien waren in beiden Gruppen ähnlich selten. Als sehr wichtig bezeichnete es Landray, dass mit Anacetrapib keinerlei negative Effekte auf die vaskuläre, nichtvaskuläre und die Gesamtsterblichkeit sowie auf Krebserkrankungen, Leber- und Muskelfunktionen sowie kognitive Funktionen gesehen wurden.
REFERENZEN:
1. Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 30. August 2017, Barcelona/Spanien
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Diesen Artikel so zitieren: REVEAL mit Anacetrapib: Erstmals ist ein CETP-Hemmer klinisch erfolgreich – aber dies nur dank LDL-Senkung? - Medscape - 4. Sep 2017.
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