Die Blutzuckersenkung mit SGLT2-Inhibitoren gilt besonders für Typ-2-Diabetiker mit kardiovaskulären Vorschädigungen aufgrund großer klinischer Endpunkt-Studien als vorteilhaft und kardioprotektiv. Demgegenüber hat die US-Arzneimittelbehörde FDA wiederholt Warnungen vor einem erhöhten Risiko akuter Nierenschädigungen (AKI, Acute Kidney Injury) durch die Einnahme der SGLT2-Hemmer Canagliflozin und Dapagliflozin ausgesprochen.
Eine jetzt in Diabetes Care publizierte retrospektive Studie, bei der über 14 Monate die Krankheitsverläufe von mehr als 3.000 Patienten ausgewertet worden sind, kommt allerdings zu einem ganz anderen Ergebnis: Demnach trat bei denjenigen Patienten, die SGLT2-Inhibitoren einnahmen, nicht öfter, sondern sogar deutlich seltener eine akute Nierenschädigung auf. Ein erhöhtes AKI-Risiko durch diese Medikamente konnten die Studienautoren um Dr. Girish N. Nadkarni von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, USA, in ihrer Untersuchung demnach nicht bestätigen [1].

Prof. Dr. Roland E. Schmieder
„Ich halte diese Studie für gut konzipiert, valide und schlüssig. So bestätigt sie in gewisser Weise auch Ergebnisse der prospektiven EMPA-REG-Outcome-Studie, nach denen der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin außer mit einer geringeren kardiovaskulären Morbidität und Mortalität auch mit einer signifikanten Verminderung der Inzidenz und Progredienz von Nierenparenchymschäden bei Typ-2-Diabetikern assoziiert war“, kommentiert der Nephrologe Prof. Dr. Roland E. Schmieder vom Universitätsklinikum Erlangen dies im Gespräch mit Medscape.
1:1 Vergleich von Diabetikern mit und ohne Einnahme von SGLT2-Inhibitoren
Die Autoren der aktuellen Studie hatten Längsschnittdaten zweier großer Patientenkohorten ausgewertet. Dabei stellten sie 377 bzw. 1.207 Typ-2-Diabetikern, die SGLT2-Inhibitoren einnahmen, eine identische Zahl von Patienten mit ähnlichen klinischen Parametern, aber ohne diese Medikamenteneinnahme gegenüber (Methode des Propensity Score Matchings).
In beiden Kohorten wurden bei den mit SGLT2-Inhibitoren Behandelten weniger akute Nierenschädigungen beobachtet als bei den nicht damit Behandelten: In der 1. Kohorte hatten 3,8% der Behandelten und 9,7% der Unbehandelten mindestens ein AKI-Ereignis. Damit lag das AKI-Risiko der Behandelten um 60% niedriger (bereinigte Hazard Ratio: 0,4). In der 2. Kohorte war es 40% geringer (bereinigte Hazard Ratio: 0,6). „Propensity Score Matching ist ein anerkanntes Verfahren zur besseren Beurteilung retrospektiv erhobener Daten“, urteilt Schmieder, „auch wenn es keine prospektiven Studien ersetzen kann“.
Was steckt hinter den gemeldeten Nierenschädigungen?
Die FDA-Warnungen speziell vor akuten Nierenschädigungen durch SGLT2-Hemmer sind für den Erlanger Nephrologen nicht gerechtfertigt, da kausal nicht begründbar: „Was dahinter steckt, ist eine Summation von an die Behörde gemeldeten AKI-Ereignissen – Kreatininanstieg bis zum akuten Nierenversagen – bei Patienten, die mit diesen Medikamenten behandelt werden. Das bedeutet aber noch lange keinen kausalen Zusammenhang, weshalb diese Warnungen auch nur der Anlass zur genauen Analyse sein sollten.“
Richtig sei, so Schmieder, dass Kreatinin am Anfang einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren ansteige: „Dass die glomeruläre Filtrationsrate zu Therapiebeginn um rund 5 Prozent abfällt, ist völlig normal und rein hämodynamisch bedingt.“ SGLT2-Hemmer erhöhen die renale Glukoseausscheidung. Hinsichtlich ihrer natriuretischen Eigenschaften und tubuloglomerulären Effekte sind jedoch auch synergistische Effekte mit Antihypertensiva (speziell RAAS-Inhibitoren) und konventionellen Diuretika möglich.
„Wenn der Patient bereits ein Schleifendiuretikum erhält, sollten deshalb SGLT2-Inhibitoren zu Beginn nur in geringeren Dosierungen verordnet werden, um eine kritische Verschlechterung der Nierenfunktion zu vermeiden“, so der Erlanger Nephrologe. Ebenso könnten nicht-steroidale Antirheumatika, eine Diarrhoe oder übermäßiges Schwitzen durch den damit verbundenen Volumenverlust die Nierenfunktion – bis hin zu einem akuten Nierenversagen – verschlechtern und eine Dosisreduktion bei den SGLT2-Inhibitoren notwendig machen. „Extrem unwahrscheinlich ist jedoch, dass Medikamente dieser Substanzgruppe das Nierenparenchym selbst schädigen.“
Für die der FDA gemeldeten AKI-Fälle haben die Autoren der aktuellen Studie noch eine weitere mögliche Erklärung: So müsse das Risiko für akute Nierenschädigungen auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes grundsätzlich ein höheres Risiko für solche Schädigungen hätten. Da es zu diesen Fällen keine Kontrollgruppe gab, sei unklar, inwieweit das den SGLT2-Inhibitoren zugeschriebene AKI-Risiko durch den Diabetes selbst bzw. vorhandene Komorbiditäten erklärbar ist.
Voraussetzungen für den Einsatz der Medikamente beachten
„SGLT2-Inhibitoren“, urteilt Schmieder, „stellen bei der Therapie des Typ-2-Diabetes zweifellos einen bedeutenden Fortschritt dar. Beachtet der Arzt als Voraussetzung für den Einsatz dieser Medikamente, dass die glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) des Patienten mindestens 60 ml/min betragen soll und keine der zuvor genannten Einschränkungen bestehen, gibt es auch kein akutes Nierenversagen.“
In Deutschland werden als SGLT2-Hemmer Empagliflozin und Dapagliflozin eingesetzt. Canagliflozin wurde hierzulande vom Markt genommen, im Rahmen seiner Anwendung waren bei Typ-2-Diabetikern vermehrt Zehenamputationen zu beobachten. International laufen derzeit mehrere prospektive Studien mit SGLT2-Inhibitoren, von denen auch genauere Aussagen zu den Wirkungen dieser Medikamente auf die Niere erwartet werden.
REFERENZEN:
1. Nadkarni GN, et al: Diabetes Care. 2017 Aug;dc171011
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: War FDA-Warnung ein Fehlalarm? Studie kann akute Nierenschädigungen durch SGLT2-Inhibitoren nicht bestätigen - Medscape - 4. Sep 2017.
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