Stressfaktor Feinstaub: Erster Nachweis, dass Schadstoffbelastung Kortison und Adrenalin steigen lässt

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

1. September 2017

Dass Feinstaub kardiovaskuläre Erkrankungen begünstigt, ist vielfach dokumentiert. Nun haben chinesische Forscher mit der neuartigen Methode der Metabolomik geklärt, auf welchem Weg die Partikel Herz und Gefäße schädigen: durch Aktivierung des zentralen Nervensystems. Dieser Effekt ebenso wie der parallele Anstieg von Blutdruck, Insulinresistenz, oxidativem Stress und Entzündungen lässt sich jedoch rückgängig machen, nämlich durch Luftreiniger in Wohnräumen.

Als „sehr spannend“ bezeichnet Prof. Dr. Annette Peters, die das Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München leitet, im Gespräch mit Medscape diese randomisierte, doppelblinde Crossoverstudie. „Es ist der erste Nachweis dafür, dass durch Schadstoffbelastung die Stresshormone steigen.“ Ein Novum in diesem Fachgebiet sei auch der Rundumschlag der Metabolomik. Das Metabolom umfasst alle charakteristischen Stoffwechsel-Eigenschaften einer Zelle, eines Gewebes bzw. Organismus.

Für bemerkenswert hält die Biologin und Umweltmedizinerin weiterhin, dass es sich um einen experimentellen Ansatz handelt, also nicht um eine epidemiologische Beobachtungsstudie, wie es meist in der Forschung zu Feinstaub der Fall ist.

„Das eröffnet einen ganz neuen Blickwinkel“, sagt Peters. Ihre Arbeitsgruppe z.B. habe etwa beim KORA-Projekt in Augsburg eine Bevölkerungskohorte über längere Zeit beobachtet und biochemische Parameter gemessen, etwa inflammatorische Marker oder Metaboliten des Fettstoffwechsels. Das primäre Ziel war, das Herzinfarktrisiko in Abhängigkeit von der Aerosolbelastung zu ermitteln.

9 Tage mit oder ohne Luftreinigung im Raum

Die Forscher um Huichu Li und Dr. Jing Cai von der Fudan University in Shanghai dagegen wollten die Wirkung der Luftverschmutzung auf den Zucker-, Aminosäure- und Fettstoffwechsel untersuchen. Dazu hatten sich 55 gesunde Studenten – 28 Männer, 27 Frauen – in Shanghai bereit erklärt, 9 Tage lang hauptsächlich (75% der Zeit) in ihren Zimmern zu verbringen.

Dort waren Geräte zur Entfernung von Feinstaub installiert, die eine Hälfte funktionsfähig, die andere durch Entnahme der Filter funktionsunfähig gemacht. Nach einer 12-tägigen Pause wurden die beiden Probandengruppen für eine zweite 9-tägige Phase mit Reinigung und Scheinreinigung getauscht.

Währenddessen analysierten die Wissenschaftler in Blut- und Urinproben eine Vielzahl charakteristischer Serummetabolite durch Gas- und Hochleistungs-Flüssigchromatographie, jeweils gekoppelt mit Massenspektrometrie. Sowohl in den Räumen als auch im Freien bestimmten sie außerdem den Gehalt von Partikeln in der Atemluft. Dabei konzentrierten sie sich auf Teilchen mit einem Durchmesser von höchstens 2,5 µm (PM2.5), weil deren ungünstige Wirkung auf kardiovaskuläre und metabolische Parameter gut belegt ist.

Höhere Feinstaubbelastung – höhere Stresshormonspiegel

Während der Scheinreinigung war jeder Teilnehmer durchschnittlich – Aufenthalte im Freien eingerechnet – einer PM2.5-Konzentration von 53,1 m3 ausgesetzt, während der tatsächlichen Filtration dagegen der um 54% niedrigeren Konzentration von 24,3 µg/m3. Das liege noch unterhalb jenes Wertes von 25 μg/m3, den die WHO-Richtlinie zur Luftqualität als sicher empfiehlt, schreiben die Autoren.

 
Es ist der erste Nachweis dafür, dass durch Schadstoffbelastung die Stresshormone steigen. Prof. Dr. Annette Peters
 

Bei hohem PM2.5 fanden sie signifikant erhöhte Hormonspiegel, etwa der Glukokortikoide Kortisol (1,33-fach) und Kortison (1,18-fach) sowie der Katecholamine Adrenalin (1,2-fach) und Noradrenalin (1,57-fach). Erhöht waren außerdem die Serumspiegel des Corticotropin-Releasing Hormons CRH (um 28,03%), des Adrenocorticotropen Hormons ACTH (um 6,71%) sowie von Melatonin.

Insgesamt ließen sich bei 97 Serummetaboliten merkbare Veränderungen feststellen. Erhöht waren etwa Biomarker für oxidativen Stress wie Superoxid-Dismutase und für Entzündung wie Interleukine und C-reaktives Protein. Unterschiede wurden auch beobachtet für Glukose, Lipide, Fett- und Aminosäuren. Zum Beispiel nahmen mit steigender PM2.5-Exposition die Fettsäureoxidation und die Membranhydrolyse zu.

Bei erhöhter PM2.5-Exposition kam es weiterhin zu einem Blutdruckanstieg. Im Vergleich zur tatsächlichen Reinigung war der systolische Blutdruck um 2,61% höher. Anders ausgedrückt, ging jede PM2.5-Zunahme um 10 μg/m3 mit einer 0,86-%igen Zunahme des systolischen Blutdrucks einher. Umgekehrt nahmen sowohl systolischer als auch diastolischer Blutdruck signifikant ab, wenn die Teilnehmer gesäuberte Luft atmeten.

Die Autoren folgern daraus, dass die Partikel physiologische und biochemische Veränderungen auslösen, indem sie in hormonelle Regelkreise eingreifen, und zwar in die Achsen Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde und Sympathikus-Nebennierenrinde-Medulla. So steige der Blutdruck wahrscheinlich dadurch, dass der Hypothalamus vermehrt CRH freisetzt, das den Hypophysenvorderlappen zur Sekretion von ACTH stimuliert. Folglich werden in der Nebennierenrinde Glukokortikoide synthetisiert, die das Herz-Auswurfvolumen steigern, die Blutgefäße verengen und die Retention von Natrium und Flüssigkeit fördern.

Die Zunahme von proinflammatorischen Zytokinen, von Glyko- und Lipolyse werde vermutlich durch die Bindung von Adrenalin und Noradrenalin an Zellrezeptoren bewirkt, spekulieren die Autoren.

Luftreiniger als Problemlösung?

Die klinische Bedeutung der Ergebnisse liege darin, dass damit die kardiovaskulären und metabolischen Auswirkungen der PM-Exposition erklärt werden könnten, schreiben Huichu Li und Cai. Wichtig sei zudem der Nachweis, dass die Stresshormone durch die Luftreinigung rasch sinken. Langfristig könnten die Erkenntnisse der Gesundheit zugute kommen, hoffen die Autoren.

Nach Ansicht von Peters hat eine solche Intervention für Deutschland allerdings wenig Sinn, denn die Außenluft ist hier wesentlich sauberer als z.B. in China. Für Städte mit überdurchschnittlicher Feinstaubbelastung müsse das vorrangige Ziel bleiben, den PM2.5-Ausstoß von Autos, Fabriken, Heizungen und Kraftwerken zu vermindern.

„Wir verbringen zwar viel Zeit in Innenräumen, trotzdem will und muss man ja nach draußen, wo allerdings schon kurze Aufenthalte in stark verschmutzter Luft bei gefährdeten Personen Herzinfarkte auslösen können.“ Peters weist außerdem darauf hin, dass Luftreiniger Strom verbrauchen und damit das Problem der Umweltbelastung zusätzlich verschärfen.

Auch Prof. Dr. Robert D. Brook von der University of Michigan würdigt in einem Editorial die chinesische Studie als „ausgefeilte Analyse des metabolomischen Fußabdrucks“ und betont, sie fülle eine Lücke im Verständnis komplexer physiologischer Zusammenhänge. Doch zu Luftreinigern äußert er sich ebenfalls skeptisch. Dadurch werde die Gesamtexposition ja nur um circa die Hälfte verringert, argumentiert er.

In der chinesischen Studie habe sie sogar während der Reinigung mit 24 μg/m3 um das 3-fache über dem Wert von 8,4 μg/m3 gelegen, den US-Amerikaner durchschnittlich einatmen. Jedenfalls stehe der Nachweis noch aus, dass diese Geräte einen klinischen Vorteil bringen, etwa zur Prävention von Herzinfarkten. Als Schutz bei starker Luftverschmutzung schlägt Brook vor, auf der Straße N95-Atemmasken zu tragen, die mehr als 95% der Partikelinhalation verhindern, sofern sie richtig angepasst sind.

Luftreinhaltung könnte Millionen Leben retten

Wie dringend Luftreinhaltung ist, untermauert Brook mit Zahlen: So gehen nach jüngsten Schätzungen 4,2 Millionen Tote – 7,6% der Todesfälle weltweit, 700.000 mehr im Jahre 2015 als 1990 – auf das Konto von PM2.5, davon etwa 60% infolge kardiovaskulärer Erkrankungen. Im Jahre 2015 rangierten global gesehen hohe PM2.5-Werte – dicht hinter Hypertonie, Rauchen, erhöhten Glukose- und Cholesterinspiegeln – unter den gravierendsten Risiken für Morbidität und Mortalität.

Sie begünstigen zahlreiche Krankheiten, einschließlich Krebs und Lungenerkrankungen, besonders aber Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz, weshalb sowohl die American Heart Association als auch die European Society of Cardiology Luftverschmutzung offiziell als unabhängigen Risikofaktor einstufen.

Doch trotz erheblicher Fortschritte bei der Luftqualität etwa in Nordamerika hat die PM2.5-Exposition für die Bevölkerung zwischen 1990 und 2015 weltweit von 39,7 μg/m3 auf 44,2 μg/m3 zugenommen. Beträchtliche Verbesserungen, so prognostiziert Brook, wären durch rigorose Maßnahmen in Indien und China zu erwarten, wo die mittlere PM2.5-Exposition 74,3 μg/m3 und 58,4 μg/m3 beträgt.



REFERENZEN:

1. Li H, et al: Circulation (online) 14. August 2017

2. Brook RD, et al: Circulation (online) 14. August 2017

Kommentar

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