Mit Fingerspitzengefühl: Wie intensiv die Blutdrucksenkung bei Älteren sein sollte, hängt von mehreren Faktoren ab

Roland Fath

Interessenkonflikte

1. September 2017

Barcelona – Die optimalen Zielwerte bei der antihypertensiven Therapie bleiben in der Diskussion. Unabhängig davon sollten aber Ärzte nicht strikt nach Zielwert therapieren, sondern individuell nach Risiko und Nutzen für den einzelnen Patienten. Dies besonders bei Älteren.

Unter den über 70-Jährigen haben 60% (Männer) bis über 70% (Frauen) eine Hypertonie, berichtete Prof. Dr. Sverre Kjeldsen, Kardiologen im Oslo University Hospital, Norwegen. Der Nutzen einer antihypertensiven Therapie ist auch in dieser Altersgruppe dokumentiert, aber die Behandlung erfordert deutlich mehr Fingerspitzengefühl und orientiert sich vor allem am Fitnesszustand des Patienten, so das Fazit von Kjeldsen auf der Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC) [1].

Möglichst früh beginnen und Therapie an den Zustand der Patienten anpassen

In der Präventions-Guideline der ESC aus dem Jahr 2016 wird bei über 80-Jährigen mit einem systolischen Ausgangsblutdruck von 160 mmHg oder höher eine Blutdrucksenkung auf Werte von 140 bis 150 mmHg empfohlen, sofern die Patienten in gutem physischem und mentalem Zustand sind. Bei älteren gebrechlichen Patienten, bei denen man sich für eine Therapie entscheidet, wird zu einer besonders vorsichtigen Vorgehensweise mit regelmäßigen Kontrollen geraten. Nicht ganz unerwartet: „Schwindel ist die häufigste unerwünschte Wirkung einer antihypertensiven Therapie bei älteren Patienten“, so Kjeldsen. Gefährlich ist vor allem das dadurch erhöhte Sturzrisiko bei den Älteren.

Ganz ähnlich wie die ESC-Empfehlungen sehen die der European Society of Hypertension (ESH) aus, in denen zwischen älteren (≥ 65 Jahre) und alten Patienten (≥ 80 Jahre) noch einmal differenziert wird. Bei fitten älteren Patienten könne auch ein systolisches Blutdruckziel von unter 140 mmHg ins Auge gefasst werden, sofern die Patienten die Therapie gut vertragen, heißt es hier.

„Mit der antihypertensiven Therapie sollte bei Senioren so früh wie möglich begonnen werden“, riet Kjeldsen. Der Kardiologe erinnerte an die bereits älteren Placebo-kontrollierten Studien SHEP, STOP und MRC II, in denen vor allem das Schlaganfallrisiko deutlich um 25% (MRCII) bis 47% (STOP) gesenkt wurde.

 
Mit der antihypertensiven Therapie sollte bei Senioren so früh wie möglich begonnen werden. Prof. Dr. Sverre Kjeldsen
 

Die HYVET-Studie bei über 80-Jährigen mit systolischen Ausgangswerten von 160 bis 199 mmHg wurde wegen der Vorteile für die aktiv behandelten Patienten sogar vorzeitig abgebrochen, erinnerte er. Nach einem medianen Follow-up von 1,8 Jahren und deutlicher Senkung der Blutdruckwerte um rund 15/8 mmHg (Ziel: 150/80 mmHg) war das Risiko tödlicher Schlaganfälle um 39% (p = 0,046), das Risiko für Herzinsuffizienz um 64% (p < 0,001) und die Gesamt-Mortalität um 21% (p = 0,019) gegen Placebo verringert .

Zielwerte von unter 130 mmHg auch bei Älteren?

Die aktuellen Daten der SPRINT-Studie sprechen sogar für eine noch tiefere Senkung des systolischen Blutdrucks auch bei Älteren. 28% der SPRINT-Studienteilnehmer waren mindestens 75 Jahre alt und der systolische Blutdruck wurde bei ihnen auf einen Zielwert unter 120 mmHg (Intensivarm) bzw. unter 140 mmHg gesenkt, erinnerte Kjeldsen. Jedoch: Wegen der besonderen Blutdruckmessmethode (automatisiert, unbeaufsichtigt) korrelieren diese Werte eher mit geschätzten Blutdruckwerten bei Standardmessungen in der Praxis von 130 bis 134 mmHg bzw. 150 bis 154 mmHg.

In SPRINT waren bei den älteren Patienten die Ergebnisse ähnlich gut wie in der Gesamtgruppe mit einer Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse um rund ein Drittel im Intensivarm. Vermittelt wurde diese Risikoreduktion allerdings vor allem durch eine Prävention von Herzinsuffizienzen, zu erklären durch die häufig in dieser Altersgruppe eingesetzten Thiaziddiuretika, gab Kjeldson zu bedenken.

Die Nierenfunktion im Blick behalten

Nach Beginn einer antihypertensiven Therapie sollte immer auch auf die Nierenfunktion geachtet werden, gerade bei älteren Risikopatienten. Ein akuter Abfall der Nierenfunktion ist kein so seltenes Phänomen, berichtete Prof. Dr. Josep Redon aus Valencia. Wie darauf zu reagieren sei, hänge von der glomerulären Filtrationsrate (GFR) vor Beginn der Therapie, den eingesetzten Medikamenten und dem Ausmaß der GFR-Änderung ab.

Bei einem Abfall der GFR von 30% oder mehr, sollte bei Einsatz von RAS-Blockern die Dosis reduziert oder die Therapie ganz beendet werden, riet er. Bei Veränderungen um 20% könne die Therapie fortgesetzt werden. Geringgradige Einschränkungen der GFR können langfristig sogar mit einer verbesserten Prognose einhergehen.



REFERENZEN:

1. Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 30. August 2017, Barcelona/Spanien

Kommentar

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