PURE mischt gängige Ernährungs-Empfehlungen auf: Fett nicht schädlich, höhere Sterblichkeit unter Kohlenhydraten

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

31. August 2017

Barcelona – Wer viele Kohlenhydrate, dafür aber möglichst wenig Fett zu sich nimmt, könnte seiner Gesundheit schaden. In einer Analyse der weltweiten PURE (Prospective Urban Rural Epidemiology)-Studie nämlich, die die Ernährungsgewohnheiten von rund 135.000 Menschen aus 18 Ländern auf 5 Kontinenten untersucht hat, ging eine Ernährung mit einem hohem Fettanteil (etwa 35%) mit dem geringsten Mortalitätsrisiko einher. Ein hoher Kohlenhydratanteil (mehr als 60%) dagegen war mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert. Das berichtete die PURE-Studiengruppe jetzt auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona [1].

Weniger Kohlenhydrate, mehr Fett

„Unsere Erkenntnisse unterstützen nicht die momentan gültigen Richtlinien, die eine Reduzierung des Fettanteils empfehlen“, sagte Studien-Co-Autor Dr. Mahshid Dehghan, Population Health Research Institute, McMaster University, Hamilton, Kanada. „Es ist unwahrscheinlich, dass eine Beschränkung des allgemeinen Fettkonsums die Gesundheit der Bevölkerung verbessert.”

Vielmehr könne ein Gesamtfettanteil von 35%, gepaart mit einem verminderten Kohlenhydrat-Konsum, eher die Mortalität senken. „In der Tat könnten diejenigen, deren Ernährung zu mehr als 60% aus Kohlenhydraten besteht, von einer Minderung der Kohlenhydrate und einer Erhöhung des Fettverzehrs profitieren”, fügte Dehghan an.  

3- bis 4-mal Gemüse täglich ausreichend

Eine weitere Analyse der Kohortenstudie, die im Gegensatz zu vorherigen epidemiologischen Untersuchungen zum Ernährungsverhalten auch Länder mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen in Regionen wie Südamerika, Afrika, Südasien und dem Mittleren Osten unter die Lupe nahm, brachte zutage, dass schon ein moderater Konsum von Obst und Gemüse – 3 bis 4 Portionen am Tag – mit einem substanziell geringeren kardiovaskulären Risiko assoziiert war.

„Unseres Wissens nach ist das die erste Studie, die über den Zusammenhang des Verzehrs von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten und kardiovaskulärem Risiko in Ländern unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Niveaus und in verschiedenen Teilen der Erde berichtet”, sagte Dr. Andrew Mente, vom Population Health Research Institute, McMaster University, Hamilton, Kanada, bei der Präsentation der Studienergebnisse auf dem ESC-Kongress.

 
Es ist unwahrscheinlich, dass eine Beschränkung des allgemeinen Fettkonsums die Gesundheit der Bevölkerung verbessert. Dr. Mahshid Dehghan
 

„Bisherige Untersuchungen und viele Ernährungsrichtlinien in Nordamerika und Europa empfehlen täglich 400 bis 800 Gramm dieser Lebensmittel – jedoch können sich das viele Menschen in einkommensschwachen Ländern sowie in Ländern mit mittlerem Einkommen nicht leisten”, erklärte er. Eine geringere Menge an Obst und Gemüse wirkte sich den Erkenntnissen von PURE zufolge jedoch „ähnlich positiv auf die Gesundheit aus”.

Beide Analysen der PURE-Studie sind zeitgleich mit der Präsentation auf dem ESC-Kongress in der Online-Version des Lancet erschienen [2,3]

Erstmals auch einkommensschwache Länder untersucht

Für die Kohortenstudie haben 135.335 Teilnehmer (Alter 35-70 Jahre) ohne kardiovaskuläre Vorerkrankungen zu Studienbeginn länderspezifische Fragebögen zu ihren Ernährungsgewohnheiten ausgefüllt. Der durchschnittliche Follow-up der Teilnehmer aus einkommensstarken und einkommensschwachen Ländern sowie Ländern mit mittlerem Einkommen in Nordamerika, Europa, Südamerika, dem Mittleren Osten, China, Südasien, Südostasien und Afrika betrug 7,4 Jahre. In diesem Zeitraum traten 5.796 Todesfälle und 4.784 schwere kardiovaskuläre Ereignisse auf.

 
Diejenigen, deren Ernährung zu mehr als 60% aus Kohlenhydraten besteht, könnten von einer Minderung der Kohlenhydrate und einer Erhöhung des Fettverzehrs profitieren. Dr. Mahshid Dehghan
 

Richtlinien sollten überdacht werden – DGE ändert „10 Regeln“

In der ersten PURE-Analyse brachten Dehgham und Kollegen den Verzehr von Fetten und Kohlenhydraten mit der Gesamtmortalität und kardiovaskulären Ereignissen in Zusammenhang:

  • Ein höherer Anteil von Kohlenhydrate an der Gesamt-Energiezufuhr war assoziiert mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko (HR 1,28; höchster vs. niedrigster Kohlenhydratanteil).

  • Ein höherer Fettanteil (Gesamtfett: HR 0,77) und jede Art von Fett (gesättigte Fettsäuren (FS): HR 0,86; einfach ungesättigte FS: HR 0,81; mehrfach ungesättigte FS: HR 0,80) dagegen stand in umgekehrtem Zusammenhang mit dem Mortalitätsrisiko.

  • Diejenigen, die viele Lebensmittel mit gesättigten Fettsäuren zu sich nahmen, hatten außerdem ein niedriges Schlaganfallrisiko (HR 0,79). Keine signifikanten Auswirkungen ergaben sich auf das Herzinfarktrisiko und die kardiovaskuläre Mortalitätsrate.

  • Ersetzte man den Verzehr von Kohlenhydraten (5% der Energiezufuhr) durch ungesättigte Fettsäuren, war die Mortalitätsrate um 11% niedriger, berichtet die Studiengruppe. Ebenso reduzierte sich das Schlaganfallrisiko um 20% beim Ersatz von Kohlenhydraten durch gesättigte Fettsäuren.

„Die weltweiten Ernährungsrichtlinien sollten angesichts dieser Erkenntnisse überdacht werden“, schreiben die Autoren. Speziell sollten Einschränkungen des Fettkonsums aufgehoben, der Kohlenhydratverzehr hingegen reduziert werden. Aktuell wird, basierend auf Untersuchungen aus Europa und Nordamerika, eher eine fettarme Ernährung empfohlen mit weniger als 30% Fettkalorien und weniger als 10% der Energiezufuhr aus gesättigten Fettsäuren. „Wir haben herausgefunden, dass Fette . . . nicht schädlich sind und eine kohlenhydratreiche Ernährung negative Auswirkungen hat auf die Gesamtmortalität“, erklären Dehghan und Kollegen.

Am Tag der  Veröffentlichung der PURE-Studie hat auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ihre 10 Regeln für eine gesunde Ernährungsweise aktualisiert. Konkrete Vorgaben zur Nährstoff-Zusammensetzung macht die DGE darin allerdings nicht. Sie empfiehlt lediglich eine „abwechslungsreiche“ Kost, 5 Portionen Gemüse bzw. Obst pro Tag, täglich Milchprodukte und „gesundheitsfördernde“ Fette zu bevorzugen.

 
Die weltweiten Ernährungsrichtlinien sollten angesichts dieser Erkenntnisse überdacht werden. Die Autoren der PURE-Studie
 

Mehr als die Hälfte der PURE-Studienteilnehmer (52%) folgte einer kohlenhydratreichen Ernährung (mehr als 60% der Energiezufuhr); ein Viertel brachte es sogar auf 70% der Energie aus Kohlenhydraten. Die Ernährung weltweit hat nach den PURE-Erkenntnissen im Schnitt einen Kohlenhydratanteil von mehr als 60% und einen Fettanteil von 24%. Die meisten Kohlenhydrate werden in China, Südasien und Afrika verzehrt; den höchsten Fettanteil konsumieren die Menschen in Nordamerika, Europa, im Mittleren Osten und Südostafrika.

Kein Plädoyer für eine kohlenhydratarme Kost  

Die Studie unterstütze jedoch keine kohlenhydratarme Kost, betonte Dehghan. „Am besten eignet sich eine ausgewogene Kost, die zu etwa 50-55% aus Kohlenhydraten und zu rund 35% aus Fetten besteht, was gesättigte und ungesättigte Fettsäuren einschließt.“

Bei den „schlechten“ Kohlenhydraten, die die Mortalitätsrate in die Höhe treiben, handle es sich wahrscheinlich um verarbeitete Kohlenhydrate, vermutet Dr. Christopher E. Ramsden vom National Institute on Aging, National Instituts of Health, Baltimore, USA, in einem Editorial zu der PURE-Analyse [4]. „Dazu zählen Zuckerzusätze und verfeinerte Körner. In einer künftigen Veröffentlichung solle die PURE-Gruppe über den Zusammenhang zwischen Zuckerzusätzen, verfeinerten Körnern, Vollkorn und Mortalität berichten“, fordert er.

Zudem stelle sich die Frage, ob in der Tat die Hauptquellen gesättigter Fettsäuren, nämlich Fleisch und Milchprodukte, einen frühzeitigen Tod verhindern können, schreibt Ramsden. Das müsse eine „gründliche Analyse klären, die verschiedene Tiererzeugnisse mit der Mortalität in Zusammenhang bringt“.

Ebenfalls sei es möglich, dass nährstoffreiche Tiererzeugnisse ein Spurenelemente-Defizit, mit dem eine kohlehydratreiche Kost einhergehen kann, ausgleiche, und die Ergebnisse der PURE-Studie auf diese Weise zustande kamen. Dem könnten ebenfalls künftige Analysen nachgehen, schlägt Ramsden vor. 

Gesamtgesunde Kost im Fokus behalten

Die zweite Analyse der PURE-Gruppe hat ergeben, dass alle Teilnehmer im Schnitt 3,91 Portionen Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte – exklusive Kartoffeln und andere Knollen sowie Fruchtsäfte –  pro Tag verzehrten. Eine Portion entsprach in der Studie 125 Gramm Obst oder Gemüse bzw. 150 Gramm gekochten Hülsenfrüchten. Die WHO dagegen berechnet 1 Portion mit 80 Gramm.

 
Wir haben herausgefunden, dass Fette . . . nicht schädlich sind und eine kohlenhydratreiche Ernährung negative Auswirkungen hat. Dr. Mahshid Dehghan
 

Wer 3 bis 4 Portionen pro Tag zu sich nahm, hatte im Vergleich zu Studienteilnehmern, die weniger als eine Portion verzehrten, ein um 35% niedrigeres Sterberisiko und eine um 27% geringere  kardiovaskuläre Mortalität.  „Das indiziert, dass man selbst durch moderaten Konsum einen optimalen gesundheitlichen Effekt erzielen kann“, kommentiert Estefania Toledo vom Department of Preventive Medicine and Public Health an der University of Navarra, Pamplona, Spanien, in einem Kommentar zu der PURE-Studie im Lancet [5].

Allerdings, so ergänzt sie, sei dabei nicht nur der Gemüseverzehr zu betrachten: „Das übrige Ernährungsmuster außen vor zu lassen, könnte zu einer groben Vereinfachung führen.“ Die Frage sei nicht, ob mehr Obst und Gemüse verzehrt werden solle, sondern eher, welche ungesunden Lebensmittel es durch Gemüse zu ersetzen gelte, und in welchen Mengen. Sie nennt hier zum Beispiel  zuckerhaltige Getränke, rotes und verarbeitetes Fleisch sowie süße Frühstücks-Cerealien.



REFERENZEN:

1. Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC), 29. August 2017, Barcelona/Spanien, Präsentation der PURE-Studie

2. Miller V, et al: Lancet (online) 29. August 2017

3. Dehghan M, et al: Lancet (online) 29. August 2017

4. Ramsden CE, et al: Lancet (online) 29. August 2017

5. Toledo E, et al: Lancet (online) 29. August 2017

Kommentar

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