Patienten mit myalgischer Enzephalomyelitis (ME) oder chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS, Chronic Fatigue Syndrome) unterscheiden sich von Gesunden in den Konzentrationen zweier zirkulierender Zytokine, hat eine Studie ergeben. Außerdem korrelieren die Spiegel von 17 zirkulierenden Zytokinen mit dem Schweregrad der Erkrankung.
Dr. Jose G. Montoya von der Stanford University School of Medicine in Kalifornien und seine Kollegen publizierten die Resultate ihrer Querschnittsstudie in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) [1].
„Obwohl nur bei 2 Zytokinen Unterschiede entdeckt wurden – der transformierende Wachstumsfaktor (Transforming Growth Factor-β, TGF-β) ist bei ME/CFS-Patienten höher, das Resistin niedriger als bei Kontrollpersonen – korrelieren 17 Zytokine mit dem ME/CFS-Schweregrad“, schreiben die Autoren. „13 dieser Zytokine wirken pro-inflammatorisch und könnten zu vielen der Symptome beitragen, an denen diese Patienten jahrelang leiden.“
Ergebnisse bestätigen die Entzündungshypothese
„Es gibt jede Menge Kontroversen und Ungereimtheiten zu ME/CFS, sogar zu der Frage, ob es sich tatsächlich um eine Krankheit handelt“, so der Immunologe und Mikrobiologe Prof. Dr. Mark Davis, Seniorautor und Direktor des Stanford Institute for Immunity, Transplantation and Infection, in einer Pressemitteilung. „Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass es sich um eine entzündliche Erkrankung handelt, und sie liefern eine solide Basis für einen diagnostischen Bluttest.“
Mehr als eine Million Amerikaner sind an ME/CFS erkrankt. Charakteristisch ist eine unerklärliche chronische Erschöpfung, hinzukommen weitere Symptome einschließlich Kraftlosigkeit, Kopfschmerzen, Myalgien, Schlafstörungen und kognitive Defizite. Obwohl die Pathogenese dieser starken Beeinträchtigungen völlig rätselhaft bleibt, wird seit langem vermutet, dass Entzündungen eine entscheidende Rolle spielen.
Erstaunlicherweise jedoch sind traditionelle, in der klinischen Praxis genutzte Entzündungsmarker wie Erythrozyten-Senkungsgeschwindigkeit und C-reaktives Protein bei ME/CFS-Patienten selten erhöht. Trotzdem haben Studien bei dieser Patientenpopulation Veränderungen in anderen inflammatorischen Markern ergeben.
Beispielsweise fanden mehrere Studien bei diesen Patienten eine erhöhte Zahl von zirkulierenden zytotoxischen CD8+-Zellen, die gegen Antigene aktiviert waren. In einer Studie wurden außerdem tägliche Schwankungen des pro-inflammatorischen Adipokinleptins beschrieben und in einer weiteren Studie war ein ausgeprägtes Profil entzündlicher Zytokine mit der frühen Krankheitsphase assoziiert.
Daher wollten die Forscher untersuchen, ob das Profil zirkulierender Zytokine bei ME/CFS-Patienten von den Normwerten abweicht, und ob dieses Profil mit dem Schweregrad und der Dauer der Erkrankung in Zusammenhang steht.
Pro-inflammatorische Zytokine erhöht
Sie nahmen Blutproben von 192 ME/CFS-Patienten sowie 392 Gesunden und unterzogen sie immunologischen Analysen. Für jeden Teilnehmer bestimmten sie die Konzentrationen von 51 Zytokinen.
Beim Vergleich der ME/CFS-Patienten mit den Gesunden fanden die Forscher nur bei 2 der 51 zirkulierenden Zytokine Konzentrationsunterschiede: TGF-β war bei ME/CFS-Patienten erhöht (p = 0,0052), Resistin dagegen war erniedrigt (p = 0,0052). Darüber hinaus waren die Resistinspiegel bei Patienten mit mildem (p = 0,0370) und mit schwerem (p = 0,0208) ME/CFS-Verlauf signifikant erniedrigt.
Die Konzentrationen von 17 Zytokinen korrelierten mit dem Schweregrad der Erkrankung, mit einer statistisch signifikanten linearen Zunahme von milden über moderaten bis hin zu schweren ME/CFS-Manifestationen:
CCL11 (p = 0,0069)
CXCL1 (p = 0,0266)
CXCL10 (p = 0,0100)
G-CSF (p = 0,0110)
GM-CSF (p = 0,0063)
Interferon γ (p = 0,0101)
Interleukin 4 (p = 0,0103)
IL-5 (p = 0,0073)
IL-7 (p = 0,0063)
IL-12p70 (p = 0,0069)
IL-13 (p = 0,0069)
IL-17F (p = 0,0103)
Leptin (p = 0,0100)
Leukämiehemmender Faktor LIF (p = 0,0100)
Nervenwachstumsfaktor NGF (p = 0,0069)
Stammzellfaktor SCF (p = 0,0145
TGF-α (p = 0,0367)
13 dieser Zytokine sind pro-inflammatorisch. Die Erhöhung dieser pro-inflammatorischen Zytokine beleuchte nicht nur die starke Immunkomponente der Krankheit, sondern trage wahrscheinlich auch zu den vielfältigen Symptomen der ME/CFS-Patienten bei, schreiben die Autoren.
Irritierende Ergebnisse
Obwohl die Forscher auch die Beziehungen zwischen Zytokinkonzentrationen und Dauer der Fatigue untersuchten, fanden sie lediglich eine inverse Korrelation zwischen dem Spiegel von CXCL9 (monokine induced by interferon γ) und der Dauer der Erschöpfung (p = 0,0123).
Zwar gilt TGF-β vor allem als anti-inflammatorisches Zytokin, doch die Wissenschaftler haben eine Erklärung parat: Die erhöhten Konzentrationen bei ME/CFS-Patienten könnten eine Gegenregulation des Immunsystems gegen die anhaltende Entzündung widerspiegeln. Allerdings: Wenn diese Hypothese zutreffen würde, wäre zu erwarten, dass die Spiegel von TGF-β mit dem ME/CFS-Schweregrad korrelieren. Das war jedoch in der Studie nicht der Fall.
Daher wäre es möglich, dass TGF-β nicht immer Entzündungen entgegenwirkt. Stattdessen könnte der Nettoeffekt vom lokalen immunologischen Milieu im Zielgewebe und den TGF-β-Konzentrationen insgesamt abhängen, so ihre Vermutung.
Resistin besitzt eine signifikante pro-inflammatorische Aktivität und ist Berichten zufolge ein Entzündungsmarker bei Patienten mit systemischem Lupus erythematodes und Morbus Crohn. Jedoch sind sich die Autoren im Unklaren, warum die Resistin-Spiegel bei den Patienten einem ungewöhnlichen Trend folgen, indem sie von milder bis moderater ME/CFS zunehmen, von moderater bis schwerer Erkrankung aber abnehmen.
Längsschmittstudien nötig
Da ihnen das Querschnittsdesign als Einschränkung ihrer Studie bewusst ist, betonen die Autoren, dass Längsschnittstudien nötig seien, um festzustellen, ob das Zytokinmuster und der Schweregrad der Erkrankung bei ME/CFS-Patienten im Zeitverlauf gleich bleiben oder fluktuieren.
„Künftige Zytokinforschung im peripheren Blut von ME/CFS-Patienten sollte Längsschnittstudien umfassen, und sie sollte die Verbindung mit neuroradiologischen Methoden, mit Studien zur Neuroinflammation und Liquoruntersuchungen anstreben“, fügen die Autoren hinzu.
Dieser Artikel wurde von Dr. Angela Speth aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Montoya JG, et al: PNAS (online) 31. Juli 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Diagnose-Bluttest des CFS bald möglich? Neue Biomarker für das chronische Erschöpfungssyndrom entdeckt - Medscape - 30. Aug 2017.
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