Wenn nichts mehr hilft gegen Gonorrhoe – WHO warnt vor Resistenzen eines „cleveren Bakteriums“

Megan Brooks

Interessenkonflikte

29. August 2017

Antibiotika-Resistenzen machen die Gonorrhoe deutlich schwerer und manchmal unmöglich zu behandeln, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Wir werden bald in der Zukunft die herausfordernde Situation einer nicht mehr behandelbaren Gonorrhoe haben“, sagte Dr. Teodora Wi, Medizinalrätin beim Department of Reproductive Health and Research der WHO, während eines Presse-Briefings, veranstaltet von WHO und dem Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP). GARDP ist eine Non-Profit-Forschungs-und Entwicklungs-Organisation, die 2016 von der WHO und den Drugs for Neglected Diseases Iniative (DNDi) gegründet wurde.

Schon Resistenzen auf neueste Antibiotika

„Der Gonorrhoe-Erreger ist ein sehr cleveres Bakterium. Jedes Mal wenn man eine neue Klasse von Antibiotika zur Gonorrhoe-Therapie einführte, ist das Bakterium resistent geworden. Wir sehen jetzt schon Resistenzen auf die Behandlung mit den neuesten Antibiotika, wie Cephalosporin und Azithromycin. Wir müssen also aufmerksamer sein und zusammenarbeiten, um das Thema Antibiotika-Resistenzen bei Gonorrhoe anzugehen“, sagte Wi.

Wir werden bald in der Zukunft die herausfordernde Situation einer nicht mehr behandelbaren Gonorrhoe haben. Dr. Teodora Wi

Insbesondere in reicheren Ländern, in denen die Überwachung am besten ist, werden jetzt Fälle von Gonorrhoe gefunden, die mit keiner der bekannten Antibiotika mehr behandelbar sind, fügte sie hinzu. Und diese Fälle könnten „nur die Spitze des Eisbergs“ sein, denn Systeme zur Diagnose und Berichterstattung über unbehandelbare Infektionen fehlen in Ländern mit niedrigem Einkommen, also in Ländern in denen Gonorrhoe tatsächlich häufiger vorkommt“, so Wi in einer gemeinsamen News-Veröffentlichung von WHO und DNDi hinzu.

„Das ist eine ernste Situation“, sagte auch GARDP-Direktorin Dr. Manica Balasegaram beim Briefing. Momentan sind lediglich 3 neue Antibiotika-Kandidaten in der Pipeline, „und es gibt keine Garantie, dass sie es heraus schaffen“, so Balasegaram.

In einem Bericht, der in einem speziellen Anhang von PLOS Medicine veröffentlicht wurde, halten Wi und Kollegen fest, dass sich schätzungsweise 78 Millionen Menschen jedes Jahr mit Gonorrhoe infizieren [1]. Davon leben 35,2 Millionen in der Westpazifik-Region, 11,4 Millionen in der südostasiatischen Region, 11,4 Millionen in der afrikanischen Region, 11 Millionen in der Region USA, Mittel-und Südamerika, 4,7 Millionen in der europäischen Region und 4,5 Millionen in der östlichen Mittelmeer-Region.

Nach dem WHO Global Gonococcal Antimicrobial Surveillance Programm, das Trends bei der Arzneimittel-resistenten Gonorrhoe aufzeichnet, zeigen Daten von 2009 bis 2016 eine weitverbreite Resistenz auf Ciprofloxacin. 97% der Länder berichten von Arzneimittel-resistenten Stämmen, erklären die Autoren.

Zusätzlich berichten 81% der Länder von zunehmenden Resistenzen auf Azithromycin und 66% berichten von Resistenzen gegen ESC (extended-spectrum cephalosporins) – also gegen orales Cefixim oder injizierbares Ceftriaxon – die derzeit in den meisten Ländern die letztmöglichen singulären Behandlungsoptionen sind. Die Resistenz auf Cefixim – und, seltener, auf Ceftriaxon – wird aus mehr als 50 Ländern berichtet, so Wi und Kollegen.

Jedes Mal wenn man eine neue Klasse von Antibiotika zur Gonorrhoe-Therapie einführte, ist das Bakterium resistent geworden. Dr. Teodora Wi

Diese Tatsache hat die WHO 2016 dazu veranlasst, aktualisierte globale Behandlungsempfehlungen aufzulegen, die Kliniker dazu anleiten, 2 Antibiotika einzusetzen: Ceftriaxon und Azithromycin.

3 Antibiotika in der Pipeline

In einem separaten Artikel in PLOS Medicine umreißen Balasegaram und Kollegen einen Forschungs- und Entwicklungsplan, um neue Antibiotika für multi-resistente Gonorrhoe zu entwickeln und um mehr Informationen zu 3 Arzneimittel-Kandidaten zusammenzutragen, die derzeit in der Pipeline sind [2]:

  • Solithromycin (Cempra Inc) ist ein orales Fluoroketolid, das gegen gram-positive und anspruchsvolle gram-negative Bakterien einschließlich Neisseria gonorrhoe, Mycoplasma genitalium und Chlamydia trachomatis wirksam ist.Solithromycin zielt auf 3 prokaryotische ribosomale Stellen. Es zeigte eine gute Effektivität in einer Phase-2-Studie mit einer 100%igen Effektivität für genitale, orale und rektale Infektionsstellen bei Männern und Frauen. Eine Phase-3-Studie dazu läuft, so die Autoren.

  • Zoliflodacin (Entasis Therapeutics) ist der erste Spiropyrimidinetrion-Topoisonmerase-II-Inhibitor, der gegen einige Pathogene einschließlich N. gonorrhoeae und C. trachomatis aktiv ist. Zoliflodacin zeigte sich in vitro hoch effektiv gegen geographisch und genetisch diverse N.-gonorrhoeae-Isolate. Die Ergebnisse einer Phase-2-Studie zeigten hohe Effektivität bei urogenitalen Infektionen (98-100% mikrobiologische Heilungsrate; dosisabhängig). Mehr als 90% der Teilnehmer waren männlich.

  • Gepotidacin (GlaxoSmithKline) ist ein anderer bakterieller Topoisomerase-II-Inhibitor mit guter In-vitro-Aktivität gegen einen breiten Bereich von Arzneimittel-resistenten Bakterien, einschließlich Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus, extended-spectrum beta-lactamase-produzierenden Enterobacteriaceae und N. gonorrhoeae. Eine Phase-2-Studie wurde kürzlich abgeschlossen. Heilungsraten von 96,7% und 94,8% wurden erreicht mit 1.500 mg und 3000 mg. Mehr als 90% der Teilnehmer waren Männer.

Bisher keine unbehandelbare Gonorrhoe in Deutschland

Prof. Dr. Norbert Brockmeyer

„Generell gibt es bei der Gonorrhoe große Resistenzprobleme“, bestätigt Prof. Dr. Norbert Brockmeyer, der die Interdisziplinäre Immunologische Ambulanz am Walk In Ruhr (WIR) – Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin – in Bochum leitet. „Nach wie vor schwierig ist die Situation vor allem in Asien und Afrika wegen sehr ausgeprägter Gonokokken-Resistenzen und weil gut wirksame Medikamente wie Ceftriaxon nicht immer verfügbar sind.“ In Deutschland hat sich die Resistenzsituation etwas gebessert, zeitgleich mit dem Beginn der dualen Therapie mit Ceftriaxon  und Azithromycin auf die in Deutschland seit 2013 gesetzt wird.

„Ceftriaxon ist zur Zeit das am besten wirksame Medikament gegen Gonorrhoe. Allerdings haben wir – sollten beim Ceftriaxon Resistenzen auftreten, quasi keine Medikamente, die das kompensieren könnten. Man muss also bei der Behandlung der Gonorrhoe sehr vorsichtig und sorgfältig vorgehen und darauf achten, die Resistenzraten nicht noch weiter zu erhöhen“, erklärt Brockmeyer. Nicht nur bei der Behandlung der Gonorrhoe treten verstärkt Resistenzen auf, bei Mycoplasma genitalium beispielsweise zeigen sich unter Azithromycin weltweit in 20 bis 40% der Fälle Resistenzen und unter dem alternativen Medikament Moxifloxacin finden sich ebenfalls bis zu 20% Resistenzen.

Fälle von unbehandelbarer Gonorrhoe gibt es in Deutschland (noch) nicht. Brockmeyer führt das auch auf die S2k-Leitlinie zurück, die zu einer hochdosierte dualen Therapie der Gonorrhoe rät. Die Autoren der AWMF-Leitlinie empfehlen zur ungezielten Therapie der unkomplizierten Gonorrhoe in Urethra, Zervix und Rektum eine Kombi-Therapie aus Ceftriaxon 1 g intramuskulär oder intravenös plus Azithromycin 1,5 g peroral – jeweils als Einmaldosis.

„Mit dieser hohen Dosierung sind alle bisher beschriebenen Gonokokken-Stämme therapierbar – im Gegensatz zu den Empfehlungen der Leitlinien anderer Länder, die mit niedrigeren Dosierungen arbeiten“, sagt Brockmeyer. Gleichwohl hält die Diskussion um die Höhe der Antibiotika-Dosierung an. Nicht wenige Experten tendieren zu vorsichtiger Dosierung: „Wir gehen einen anderen Weg. Ich bin überzeugt, dass unser Vorgehen richtig ist und ich halte die duale Therapie in dieser Dosierung für wichtig und wertvoll.“

Seit 2001 gibt es in Deutschland keine Meldepflicht für die Gonorrhoe mehr, entsprechend liegen kaum aktuelle epidemiologische Daten vor. Nur in Sachsen besteht eine Labormeldepflicht. Die zeigt eine Zunahme der Gonorrhoe-Infektionen. Lag die Zahl der gemeldeten Gonokokken-Infektionen im Jahr 2003 noch bei 6,8 Infektionen pro 100.000 Einwohner, liegt sie 2016 bei 21 pro 100.000 Einwohner. „Rechnet man das auf ganz Deutschland hoch, dürften wir zwischen 20.000 und 25.000 GO-Infektionen haben.“ In den letzten Jahren kam es bundesweit zu einem Anstieg um den Faktor 12 bis 14.


„Um den dringenden Bedarf an neuen Therapeutika gegen Gonorrhoe zu decken, müssen wir dringend die Chancen ergreifen, die wir mit existierenden Arzneimitteln und den Kandidaten in der Pipeline haben. Kurzfristig zielen wir darauf ab, die Entwicklung und die Einführung von mindestens einem Kandidaten aus dieser Pipeline zu beschleunigen und wollen die mögliche Entwicklung von Kombinationstherapien für den Einsatz im Gesundheitswesen evaluieren“, so Balasegaram in der PLOS-Medicine-Veröffentlichung. „Jegliche neu entwickelte Therapie sollte für jeden, der sie braucht, zugänglich sein, wobei sichergestellt werden muss, dass sie sachgerecht genutzt wird, so dass die Entwicklung einer Arzneimittel-Resistenz so weit wie möglich verlangsamt wird.“

Speziell brauchen wir so schnell wie möglich neue Antibiotika und präzise Point-of-care-Diagnose-Tests … und langfristig ein Vakzin um Gonorrhoe zu verhindern. Dr. Marc Sprenger

„Um Gonorrhoe zu kontrollieren, brauchen wir neue Instrumente und Systeme für eine bessere Prävention, Behandlung, frühere Diagnose und eine vollständige Nachverfolgung und Berichterstattung über neue Infektionen, Antibiotika-Einsatz, Resistenzen und Therapieversagen“, so Dr. Marc Sprenger, Direktor der antimikrobiellen Resistenzen bei der WHO. „Speziell brauchen wir so schnell wie möglich neue Antibiotika und präzise Point-of-care-Diagnose-Tests (POCT) – idealerweise solche, mit denen sich prognostizieren lässt, welche Antibiotika bei dieser speziellen Infektion wirksam sind – und langfristig ein Vakzin um Gonorrhoe zu verhindern.“


Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.



REFERENZEN:

1. Wi T, et al: PLOS Medicine (online) 7. Juli 2017

2. Alirol E, et al: PLOS Medicine (online) 26. Juli 2017

Kommentar

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