Barcelona – Der renommierte Kardiologe Prof. Dr. Paul M. Ridker von der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, hat quasi sein ganzes wissenschaftliches Leben der Erforschung der Rolle der Inflammation bei Herz- und Gefäßerkrankungen gewidmet; er gilt als „Vater“ des klinischen Einsatzes des Entzündungsmarkers hsCRP bei kardiovaskulären Erkrankungen – und gestern war auf dem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) in Barcelona sein großer Tag. Denn dort hat er die CANTOS-Studie mit über 10.000 Teilnehmern vorgestellt: Die Studie, die den endgültigen Beweis für die Bedeutung von Entzündungsprozessen für kardiovaskuläre Ereignisse erbringen sollte [1].

Prof. Dr. Paul M. Ridker
Bislang sprechen die Forscher nämlich nur von der „Inflammations-Hypothese“. Sie besagt, dass Entzündungszellen und deren Signale die Entstehung und das Wachstum arteriosklerotischer Plaques vorantreiben, und Entzündungsreaktionen zur Instabilität dieser Läsionen beitragen, was deren Ruptur begünstigt und damit das Risiko für Herzinfarkte und ischämische Schlaganfälle erhöht. Wenn diese Hypothese richtig ist (wovon Ridker sein gesamtes Forscherleben lang überzeugt war, er hat zahlreiche große klinische Studien dazu gemacht und sogar ein Buch mit dem Titel C-Reactive Protein and Cardiovascular Disease geschrieben), dann müsste eine anti-entzündliche Therapie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren.
Hoffnung auf besseren Schutz – jenseits der Cholesterinsenkung
Denn etwa jeder zweite Infarkt tritt bei „quasi gesunden“ Menschen auf, die LDL-Werte unterhalb der derzeitigen Grenzwerte haben. Diese entgehen den bisherigen Präventionsstrategien. So lautet Ridkers Argumentation schon seit Jahren. Seine Hoffnung ist, solche Gefährdeten anhand des hsCRP zu erkennen und durch eine anti-entzündliche Strategie besser zu schützen.
Auch etablierte kardiovaskuläre Medikamente wie ASS und Statine haben bekanntlich anti-entzündliche (Zusatz-)Effekte. Jedoch der kardiovaskuläre Schutz, den diese Medikamente in großen klinischen Studien gezeigt haben, wird in erster Linie anderen Wirkungen, nämlich der Plättchenhemmung oder der LDL-Senkung, zugeschrieben.
Und so hatte Ridker zwar als Erstautor der JUPITER-Studie (Justification fort he Use of Statins in Prevention: an Intervention Trial using Rosuvastatin) mit über 17.000 Teilnehmern schon im Jahr 2008 nachweisen können, dass Rosuvastatin bei Menschen mit niedrigen LDL-Werten (unter 130 mg/dl), die aber erhöhte Level des Entzündungsmarkers hsCRP (2 mg/l oder höher) aufwiesen, nicht nur das hsCRP, sondern auch deren Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis senkte. Weil aber natürlich auch das LDL-Cholesterin der Probanden unter Rosuvastatin abnahm, ließ auch diese Studie keinen Schluss zu, welchen Beitrag die anti-entzündliche Wirkung am kardiovaskulären Schutz tatsächlich hatte.
CANTOS: Canakinumab in 3 Dosierungen für Patienten nach Infarkt
Nun also CANTOS. Das Einmalige an dieser Studie: Sie nutzte Canakinumab, einen monoklonalen Antikörper, der gegen Interleukin-1β gerichtet ist, und tatsächlich nichts anderes macht, als die Entzündung zu reduzieren. Canakinumab ist bereits unter dem Namen Ilaris® (Novartis) zugelassen, etwa zur Behandlung einiger seltener Syndrome wie dem CAP-Syndrom, einem genetischen Defekt, der zu einer Überproduktion von Interleukin-1β (IL-1β) führt, sowie bei schwerer Gicht-Arthritis oder der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis.
In CANTOS (Canakinumab Antiinflammatory Thrombosis Outcome Study) waren es nun aber rund 10.000 Patienten nach Myokardinfarkt und mit erhöhtem hsCRP (2 mg/l oder höher), die den Antikörper erhalten haben. Dies in den Dosierungen 50 mg, 150 mg oder 300 mg subkutan alle 3 Monate. Die Vergleichsgruppe in der doppelblind randomisierten Studie erhielt Placebo.
Der primäre Endpunkt war eine Kombination von Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulärem Tod, der sekundäre Endpunkt beinhaltete noch instabile Angina pectoris, die eine Revaskularisierung erfordert. Die Studienteilnehmer waren im Schnitt 61 Jahre alt, hatten diverse kardiovaskuläre Risikofaktoren und Vorschädigungen, aber auch eine intensive kardiovaskuläre Basismedikation, so bekamen z.B. 90% ein Statin.
Wie erwartet hatte nach 4 Jahren der hs-CRP-Spiegel unter Canakinumab dosisabhängig stärker abgenommen als unter Placebo (um 26, 37 bzw. 41%-Punkte mehr). Auf die Lipidspiegel hatte der Antikörper keinen Effekt. Der primäre Endpunkt wurde nach einem medianen Follow-up von 3,7 Jahren bewertet.
Ein eher geringer Effekt auf die Herzinfarktrate
Tatsächlich ging die Studie aber nur in Bezug auf die 150 mg-Dosis positiv aus: Unter dieser Dosis wurde der primäre Endpunkt signifikant gesenkt (HR: 0,85; 95%-KI: 0,74–0,98; p = 0,021). Das Ergebnis für die 300-mg-Gruppe sah zwar ähnlich aus (HR: 0,86; 95%-KI: 0,75–0,99: p = 0,031), erreichte aber nach der zuvor festgelegten komplexen statistischen Adjustierung keine Signifikanz mehr. Auch für den sekundären Endpunkt waren die Ergebnisse ähnlich. Insgesamt war der Effekt des anti-entzündlichen Antikörpers auf die kardiovaskuläre Ereignisrate eher gering – und ging auch nur auf eine Reduktion der Herzinfarkte zurück.
Illustriert wird dies durch die Ereignisraten, die die Autoren für die einzelnen Teilnehmer-Gruppen errechnet haben.
Therapie-Gruppe |
Inzidenz des primären Endpunkts (Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod) |
---|---|
Placebo |
4,5 Ereignisse/100 Patientenjahre |
Canakinumab 50 mg alle 3 Monate |
4,11 Ereignisse/100 Patientenjahre |
Canakinumab 150 mg alle 3 Monate |
3,86 Ereignisse/100 Patientenjahre |
Canakinumab 300 mg alle 3 Monate |
3,9 Ereignisse/100 Patientenjahre |
Mehr Todesfälle an Infektionen – aber weniger Lungenkrebs-Tote
Für die Bewertung der Nebenwirkungen fassten die Autoren alle 3 Canakinumab-Gruppen zusammen – und es zeigte sich, dass es unter dem anti-entzündlichen Antikörper signifikant mehr Todesfälle an Infektionen gegeben hatte. Weil aber gleichzeitig (etwas unerklärlich) die Krebsmortalität – vor allem an Lungenkrebs, aber auch die Neu-Diagnosen an Lungenkrebs – unter dem Antikörper geringer waren als unter Placebo, hob sich dies wieder auf – und es zeigte sich kein Effekt auf die Gesamtmortalität.
Kein neues kardiovaskuläres Medikament – aber das Feld für neue Ansätze ist offen
Was fängt man nun mit diesen Ergebnissen an? Canakinumab ist sicherlich kein vielversprechender neuer Blockbuster gegen kardiovaskuläre Erkrankungen, betont auch Prof. Dr. Robert Harrington von der Stanford Universität, Kalifornien, in einem die Publikation der Studie im New England Journal of Medicine begleitenden Editorial [2,3]. „Wir benötigen ein besseres Verständnis des Nutzens und der Risiken der Therapie“, schreibt er.
Er verweist auch darauf, dass sich in der Studie kein Effekt auf die kardiovaskuläre Mortalität habe nachweisen lassen. „Wir benötigen auch mehr Details über die Infarkte wie deren Größe, ob Q-Wave- oder Non-Q-Wave-Infarkte, ob sie spontan oder prozedural bedingt auftraten, um den Nutzen von Canakinumab besser zu beurteilen. Und wir benötigen mehr Informationen zu den tödlichen Infektionen in der Studie.“
Darüber hinaus verweist Harrington darauf, dass Canakinumab schon aus einem anderen Grund nicht als kardiovaskuläre Schutz-Strategie für die Breite taugt – nämlich wegen der Kosten. Bei den zugelassenen Indikationen – und in der Regel monatlicher Gabe – liegen die Therapiekosten (in den USA) bei rund 200.000 US-Dollar jährlich.
Für Harrington kann aber die CANTOS-Studie ein „Türöffner“ sein: „CANTOS hat dazu beigetragen, die Inflammations-Hypothese der koronaren Herzerkrankung wissenschaftlich voranzubringen“, formuliert er es vorsichtig. „Nun, da ein Wirkstoff, der gegen die Inflammation und Autoimmunität gerichtet ist, einen klinischen Nutzen gezeigt hat, ist das Feld für weitere Untersuchungen offen – um Substanzen zu finden, die vielleicht einen ausgeprägteren Benefit haben und dabei nicht das Sterberisiko an Infektionen erhöhen wie dies in CANTOS mit Canakinumab der Fall war.“
Er verweist auf eine laufende Studie mit niedrig dosiertem Methotrexat, die vom National Heart, Lung, and Blood Institute gesponsert wird und an der ebenfalls Patienten nach Myokardinfarkt und mit zusätzlichen Risiken wie Diabetes oder Metabolischem Syndrom teilnehmen.
Ridker selbst, sieht seine jahrzehntelange Arbeit nun bestätigt
Und was sagt der Hauptakteur Ridker nun zu „seiner“ Studie? „Diese Daten liefern uns den Beweis, dass die Inhibition der Inflammation – auch ohne Lipidsenkung – atherothrombotische Endpunkte verbessern kann und möglicherweise auch die Progression einiger tödlicher Krebsarten verändert”, lautete sein Fazit auf der Pressekonferenz.
Und er sieht seine jahrzehntelange Arbeit nun endlich bestätigt. In der offiziellen Pressemitteilung des Kongresses wird er mit den Worten zitiert: „Diese Ergebnisse sind das Finale von mehr als zwei Jahrzehnten Forschung, ausgehend von der Beobachtung, dass die Hälfte der Herzinfarkte bei Menschen stattfindet, die kein erhöhtes Cholesterin haben. Zum ersten Mal haben wir definitiv zeigen können, dass die Inflammation zu verringern, unabhängig vom Cholesterin, das kardiovaskuläre Risiko senkt. Das hat weit reichende Implikationen. Indem wir an einem völlig neuen Weg ansetzen, um die Patienten zu behandeln – nämlich an der Entzündung – ist es uns vielleicht möglich, die Ergebnisse für einige dieser Hochrisiko-Patienten signifikant zu verbessern.“
REFERENZEN:
1. Kongress der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 30. August 2017, Barcelona/Spanien. CANTOS - The Canakinumab Anti-Inflammatory Thrombosis Outcomes Study, präsentiert am 27. August 2017
2. Ridker PM, et al: (online) 27. August 2017
3. Harrington RA. (online) 27. August 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Das Finale von Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung: CANTOS schafft Klarheit zur Inflammations-Hypothese bei KHK - Medscape - 28. Aug 2017.
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