In den letzten Jahren gab es vor allem Erfolgsmeldungen zur Immuntherapie bei verschiedenen Krebsarten. Umso mehr kamen jüngste Nachrichten, die vom Versagen der Therapie berichteten, einem Schock gleich.
Es war ein schwarzer Tag für AstraZeneca im Juli, als die Stammaktien um mehr als 16% einbrachen, weil die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der Phase-3-Studie MYSTIC bei Lungenkrebs nicht zeigen konnten, dass die Kombinations-Immuntherapie effektiver war als die Standard-Chemotherapie.
Die Studie setzte 2 Immuntherapien ein – den PD-L1 Checkpoint Inhibitor Durvalumab (Imfinzi™) und den zu prüfenden Antikörper gegen CTLA-4, Tremelimumab. Die Studie verglich Durvalumab alleine und in Kombination mit Tremelimumab gegen eine Platin-basierte Chemotherapie als First-Line-Therapie bei metastasierendem, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs. Sie konnte aber nicht zeigen, dass die Kombination das progressionsfreie Überleben verbessert.
2 weitere enttäuschende Studien
Der Rückschlag für AstraZenecas fiel zeitlich zusammen mit einer anderen negativ ausgefallenen Studie. Dabei handelte es sich um die Keynote-040-Studie zu Pembrolizumab (Keytruda®, Merck) bei Kopf-und Hals-Tumoren. Sie war eine zentrale Phase-3-Studie und sie scheiterte darin, die Überlegenheit der Immuntherapie gegenüber der Chemotherapie bei wiederkehrenden Karzinomen der Kopf- und Halsregion (HNSCC) nachzuweisen. Die Studie erreichte nicht ihren primären Endpunkt, ein verbessertes Gesamt-Überleben nachzuweisen.
Und nur 2 Monate früher war eine dritte Phase-3-Studie nicht in der Lage, die Überlegenheit einer Immuntherapie zu zeigen. Dieses Mal traf es Roche/Genentech. In der IMvigor211-Studie scheiterte Atezolizumab (Tecentriq®) darin, den primären Endpunkt zu erreichen – das Gesamtüberleben von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem Urothel-Krebs zu verlängern.
Nicht das Ende der Immuntherapie
Das Versagen dieser 3 Studien war wie ein Schock – es war erwartet worden, dass sie positiv ausfallen, so wie eben frühere Studien mit anderen Immuntherapien bei denselben Indikationen positiv gewesen waren.
Doch diese wenigen enttäuschenden Resultate läuteten nicht das Ende der Immuntherapie ein, sagt Dr. Ryan Sullivan, ein Mitglied des Centers for Melanoma and Termeer Center for Targeted Therapy at Massachusetts General Hospital und ein Mitglied des Melanom Programms am Dana Farber Center in Boston, USA.
„Es hat enorme Fortschritte gegeben und dass die Leute angesichts der jüngsten Ergebnisse möglicherweise enttäuscht sind, ist ein bisschen so, wie sich über einen verstopften Abfluss zu beklagen – im Wesentlichen ein Erste-Welt-Problem“, sagt er Medscape Medical News. „Was wir jetzt sehen ist ein Next-level-Problem.“
Sullivan erinnert daran, dass es bislang bei Melanomen keine Therapien gibt, die besonders nützlich sind. „Wir geben hin und wieder den Patienten, von denen wir glauben, dass sie überleben könnten, hochdosiertes Interleukin-2 und manchmal werden Leute dadurch geheilt“, sagt er. „Doch die große Mehrheit wird nicht geheilt.“
„Als die Immuntherapien auf den Markt kamen, begannen wir danach zu gieren und dachten, dass wir damit eine substanzielle Minderheit heilen können“, erklärt Sullivan. „Doch nun sehen wir, dass wir verschiedene Faktoren beachten müssen: Wer sind die Patienten, die am wahrscheinlichsten profitieren, welche Kombinationen funktionieren oder wie bauen wir eine erfolgreiche Sequenz-Therapie auf?“
Trotz jüngster Rückschläge zeichne sich bei den Daten zu einigen Krebsarten, einschließlich der Melanome, ab, dass die Immuntherapie funktionieren könne. „In der onkologischen Gemeinschaft sehen wir jetzt, dass wir fähig sind, das Immunsystem des Patienten so zu aktivieren, dass es den Krebs zerstört“, sagt er. „Und das ist eine großartige Aussage, denn bis vor 6 oder 7 Jahren hat kaum jemand geglaubt, dass das wahr oder überhaupt möglich werden könnte. Wir haben die wichtigste Hürde genommen, den Beweis des Wirkprinzips”, so Sullivan. „Wir können es tun.“
Die Immuntherapie ist ein äußerst vielversprechendes Gebiet in der Onkologie, und eines, das noch kaum erschlossen ist. Es heißt, es sei eine „neue Dimension“ und ein „Impulsgeber“. Sie rückte noch mehr in den Fokus der Medien, nachdem das Melanom des früheren Präsident Jimmy Carter erfolgreich mit Pembrolizumab therapiert worden war. Er ist derzeit komplett krebsfrei.
Doch alle Fortschritte in der Medizin haben ihren Anteil an Treffern als auch Fehlschüssen, die Immuntherapie ist da keine Ausnahme. Zeitgleich mit den jüngsten Fehlschlägen, über die in den Medien stärker berichtet worden war, kamen einige Fragen unter Experten auf.
Eine mehr als 100 Jahre alte Idee
Die Idee, dass das natürliche Immunsystem des Körpers nutzbar gemacht werden kann, um Krankheiten zu bekämpfen, ist nicht wirklich neu. Aktive immuntherapeutische Ansätze in Form von Vakzinen wurden 1796 eingeführt, als Edward Jenner die Impfung mit Kuhpocken dazu nutzte, eine Immunität gegenüber Pocken hervorzurufen.
Die Nutzung der Immuntherapie zur Krebsbehandlung datiert auch mehr als 125 Jahre zurück, als Dr. William Coley, ein Chirurg, der in New York arbeitete, die Ansicht vertrat, dass die Antwort des Körpers auf Infektionen auch einen Anti-Tumor-Effekt haben könnte. Seine Arbeit beschränkte sich im Wesentlichen auf Knochen- und Weichteilsarkome und während seiner Amtszeit als Leiter des Bone Tumor Service am Memorial Hospital in New York injizierte er mehr als 100 Krebspatienten Bakterien und bakterielle Produkte.
Trotz der von Coley und anderen Medizinern berichteten Erfolge wurde seine Arbeit von vielen kritisiert, die seinen Ergebnissen nicht glaubten und mit dem Aufkommen der Strahlenbehandlung und der Chemotherapie wurden bakterielle Mittel allmählich nicht mehr eingesetzt.
Revival der Immuntherapie-Idee
Allerdings ändert sich das Paradigma der Krebsbehandlung rapide aufgrund neuester Fortschritte in den genomischen Technologien und die Immuntherapie wurde Teil des Strebens nach personalisierteren, effektiveren und weniger toxischen Behandlungen. Doch während den anfänglichen Versuchen, Vakzine und andere Therapien dazu zu nutzen, das Immunsystem quasi dazu zu überreden, Tumoren zu zerstören, nur geringer Erfolg beschieden war, scheint sich das jetzt zu ändern.
Immuntherapie ist bereits als Behandlung für einige Krebsarten anerkannt. Gegenwärtige Strategien schließen Krebsvakzine, onkolytische Viren, den Transfer von ex vivo aktivierten T- und natürlichen Killerzellen ein sowie den Einsatz von Antikörpern oder rekombinanten Proteinen, die Zellen co-stimulieren oder die Wege der Immun-Checkpoints (IC) blockieren.
Den Checkpoint-Inhibitoren wird derzeit die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Zu ihnen gehören Arzneimittel, die CTLA-4 blockieren, Ipilimumab (Yervoy®, Bristol-Myers-Squibb) für Melanome und Arzneimittel, die den Checkpoint-Rezeptor PD-1 blockieren, einschließlich Nivolumab (Opdivo®, Bristol-Myers Squibb), Pembrolizumab, Atezolizumab, Avelumab (Bavencio®, Pfizer) und Durvalumab. Diese PD1-Hemmer wurden für eine Vielzahl von Krebstypen zugelassen, einschließlich kleinzelligem Lungenkrebs, Nierenkrebs, Blasenkrebs, Kopf-und Hals-Tumoren und das Hodgkin-Lymphom. Analysten schätzen den Wert des Immuntherapie-Marktes auf 50 Milliarden US-Dollars pro Jahr.
Klinische Studien zu neuen Mitteln und Kombinationen finden nun in nahezu atemberaubendem Tempo statt. Nach manchen Schätzungen laufen derzeit mehr als 1.000 Studien, die mehr als 100.000 Patienten einschließen. 2015 beispielsweise war bei einer von 22 Studien, die bei ClinicalTrials-gov registriert waren, Immuntherapie beteiligt.
Allerdings profitiert nur ein Bruchteil der Patienten. Obwohl manche Patienten auf diese Mittel dramatisch ansprechen, ist auch eine Tatsache, dass nur 20% bis 40% der Patienten überhaupt auf Immuntherapie ansprechen und das häufig auch nicht dauerhaft. Ein anderes Thema sind die Kosten, da die neuen Immuntherapien sehr teuer sind und damit unerschwinglich für viele Patienten.
Auszeit für den „Goldrausch“?
Daher ist es nicht überraschend, dass es einige Rückschläge und Kritik gegeben hat, insbesondere gegenüber dem Tempo, mit dem die Studien durchgeführt wurden. In einem kürzlich in Lancet Oncology erschienenen Editorial wurden Bedenken angesichts des „Goldrauschs“ in der Immuntherapie laut [1]. Die Herausgeber zeigten auf, dass manche Meinungsführer nun fordern, die Art und Weise, wie viele dieser Studien durchgeführt werden, zu überdenken.
„Viele wenden jetzt ein, es sei Goldrausch, dass die meisten Pharmahersteller nach eigenen Versionen von Arzneimitteln trachten, die aufs Immunsystem abzielen. Das erstickt die Forschung und führt zu Studien, die hastig durchgeführt werden ohne ausreichende präklinische Untersuchung. Dies ist eine ineffiziente Nutzung von Geldern für Forschung und Entwicklung“, schreiben sie.
Gerade obwohl das Interesse an der Immuntherapie beispiellos scheint, erinnern die Lancet-Herausgeber die Leser daran, dass sich dasselbe Szenario beim Aufkommen der zielgerichteten Krebstherapien abgespielt hat, wie den EGFR-Inhibitoren und den VEGF-Inhibitoren. „Das führte zu vielen ‚Me too‘-Versionen dieser Mittel“, kommentieren die Herausgeber.
„Obwohl Wettbewerb ein effektiver Weg ist, um ein Ziel schnell zu erreichen, kann zu viel davon dazu führen, dass der Nutzen abnimmt, und Patienten haben durch den ineffizienten Einsatz von limitierten Ressourcen Nachteile“, schreiben sie.
Studien müssen sorgfältiger konzipiert werden
Agieren Pharmahersteller zu schnell und investieren deshalb nicht genug Zeit in die Analyse, weshalb eine Studie erfolgreich ist oder scheitert? Der Investor und Analyst Brad Loncar, der auch den Loncar Cancer Immunotherapy Index führt, der die gemeinsamen Auftritte einer Reihe von Unternehmen, die diese Therapien entwickeln, verfolgt, sagt Medscape Medical News, dass Unternehmen schneller agieren, als wissenschaftliche Erkenntnisse zur Hand sind.
„Ich weiß nicht, ob sie per se zu schnell starten“, sagt er. „Doch manche Studie ist mit weniger Vorab-Information und wissenschaftlicher Begründung gestartet, als das normalerweise der Fall wäre.“
Dr. Laura Q.M. Chow, Professorin für medizinische Onkologie an der University of Washington School of Medicine in Seattle, stimmt zu, dass Studien besser konzipiert sein könnten.„Wir könnten Biomarker dazu nutzen um Patienten besser auszuwählen”, sagt Chow in einem Interview. „Wir müssen außerdem verstehen, weshalb Patienten therapieresistent werden oder weshalb sie nicht ansprechen.“
Das Immunsystem ist außerordentlich komplex und Immunität wird beeinflusst vom Tumor, vom Patienten und von Umweltfaktoren, die die Antikrebs-Antwort auf die Therapie bestimmen. Mehr Forschung ist notwendig, um für Patienten die Therapien auszuwählen, ihnen am ehesten hilft, „anstatt wahllos Studien durchzuführen in der Hoffnung, dass irgendetwas funktioniert“.
„Es gibt eine riesige Anzahl laufender Studien. Ich denke wir haben ein Plateau erreicht und ich fürchte, dass manches davon rausgeworfenes Geld ist”, stellt Chow fest. „Wir sehen eine Menge negativ ausfallende Studien. Es mag einen oder 2 Gewinner geben, doch ich denke, es wird lange dauern, bevor wir solche Ergebnisse sehen.“
„Der Schlüssel ist, wirklich gute frühe und Phase-1-Studien zu machen, um die Dynamiken zu verstehen“, fügt sie hinzu, „und nicht zu zögern, ein Arzneimittel oder eine Kombination sterben zu lassen, wenn es nicht die erhofften Resultate bringt. Es ist falsch, Phase-3-Studien zu machen, die auf praktisch keinen Phase-1-Informationen basieren.“
Vorsicht, Nebenwirkungen
Ein anderer Grund dafür, warum das hektische Tempo der Studien gedrosselt werden sollte, sind die mit den Wirkstoffen assoziierten Nebenwirkungen. Obwohl sie sich von den beobachteten unerwünschten Ereignissen durch zytotoxische Mitteln unterscheiden, können unerwünschte Effekte der Immuntherapie ebenfalls schwerwiegend sein.
Wie im Lancet-Editorial festgestellt wird, zeigt sich bei vielen der ältesten Studien, die jetzt ein Follow up von mindestens 5 Jahren aufweisen, eine breite Palette ungewöhnlicher Nebenwirkungen, die unterschiedliche unterstützende Interventionen erfordern. Letztes Jahr beispielsweise zog Juno Therapeutics dauerhaft den Stecker zu einer Studie, nachdem 5 Patienten an zerebralen Ödemen infolge der Behandlung mit JCARO15 gestorben waren, einem chimären Antigenrezeptor in klinischer Erprobung.
„Diese Erkenntnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, vor dem Start einer weiteren Studie suffiziente Daten zu sammeln, insbesondere wenn die neue Studie multiple, auf das Immunsystem zielende Arzneimittel kombiniert, jedes davon mit unbekannten Sicherheitsprofilen“, so das Editorial.
„Sie machen die falschen Studien“
Ungereimtheiten in Studienergebnissen haben gezeigt, wie viel über die Immuntherapie noch unbekannt ist. Letztes Jahr ereilte Bristol-Myers Sqibb ein ähnliches Schicksal wie AstraZeneca, als seine Aktien um 26% fielen nachdem Nivolumab als First-Line-Monotherapie für Lungenkrebs gescheitert war. Im Gegensatz dazu war Mercks Pembrolizumab erfolgreich und konnte Ergebnisse vorweisen, die denen einer Chemotherapie bei gleicher Indikation überlegen waren.
Doch letztes Jahr zeigte Nivolumab sich einer Standard-Chemotherapie bei Patienten mit Platin-refraktären, wiederkehrenden oder metastasierenden Karzinomen der Kopf- und Halsregion überlegen, während Pemprolizumab seinen Endpunkt in diesem Setting verfehlte.
In den Lungenkrebs-Studien sieht Sullivan diese „Enttäuschungen“ mehr als Versagen der Studien als ein Versagen der Arzneimittel. „Sie machen die falschen Studien“, sagte er. „Nivolumab und Pemprolizumab sind im Wesentlichen dieselben Mittel“, sag Sullivan. „Sie haben das gleiche Toxizitäts-Profil und wenn man damit dieselbe Krankheit behandelt, produzieren sie dieselben Ergebnisse.“
Vergleicht man die 2 Studien Punkt für Punkt miteinander, dann ergibt sich ein anderer Effekt. „In einer Studie gab es eine sehr hohe Messlatte für die PD-L1-Expression, während es in der anderen Studie eine viel niedrigere gab“, sagte er. „Diejenige, die eine hohe Messlatte anlegte, war eine positive Studie und änderte unser Bild von der ‚Front-Line-Therapie‘ bei Lungenkrebs. Die andere Studie nutze die niedrigere Messlatte, was, offen gesagt, nicht sehr klug war.“
Bei Lungenkrebs gibt es Patienten, die von einer Immuntherapie profitieren und andere, die nicht davon profitieren. Das Nutzen einer Schranke von hoher PD-L1-Expression (mindestens 50% der Tumorzellen) ist eine „sehr gute Diskriminante dafür, wer davon einen Nutzen hat und wer nicht“, merkt er an.
Im Gegensatz zu Melanomen steht für nicht-kleinzelligen Lungenkrebs eine andere effektive Therapie zur Verfügung: Chemotherapie. „Es ist nicht toll, aber doch ziemlich gut“, sagt er. „Es ist besser als alles, was wir für Melanome haben. Wenn wir Immuntherapie mit Chemotherapie bei Melanomen vergleichen, müssen wir nicht die Patienten herausfiltern, die aus einer Gesamtpopulation am meisten von einer PD-1-Therapie profitieren. Doch bei Lungenkrebs müssen wir das tun.“
Insgesamt war es für Bristol-Myers Squibb eine schmerzhafte und teure Lektion. „Sie führten die falsche Studie durch und sind daran gescheitert, die beste Population dafür zu wählen“, sagt Sullivan. „Ich würde sagen, das war nicht enttäuschend, sondern eher erwartbar.“
AstraZenencas kürzlich gescheiterte MYSTIC-Studie der Durvalumab und Tremelimumab-Kombinationstherapie könnte als Enttäuschung angesehen werden, doch „wir sollten zugeben, dass wir über die Idee hinauskommen sollen: Wir haben 2 Mittel, also lasst sie uns zusammen stellen und sehen, was passiert“, sagt er. „Und das Positive an Studien zur Kombinationstherapie, die ihren Endpunkt verfehlt haben, ist doch die Erkenntnis, dass wir frühzeitig herausfinden sollten, welches die beste Studienpopulation ist. Das erfordert ein feines Verständnis des Immunsystems, ein Verständnis der Mechanismen der PD-1-Entwicklung und der präklinischen Daten.“
Das „Me too“-Thema
Eine wichtige Rolle in der Immuntherapie werden „me too“-Präparaten spielen, erklärt Loncar. „Krebs wird heute schon mit einer Kombination aus Arzneimitteln behandelt und in wenigen Jahren wird das Standard sein“, sagt er. „Und die Kosten werden zum großen Thema werden, weil diese Therapien sehr teuer sind und das ist nicht nachhaltig.“
Anstatt für jedes Arzneimittel separat zu zahlen, sollten sie als Kombinationspackung angeboten werden, etwa so, wie das für Hepatitis und HIV-Cocktails der Fall sei. „Diese Mittel werden vermarktet und mit einem Preis versehen wie eine Packung“, sagte Loncar. „Doch der einzige Weg das zu erreichen ist, wenn einem Unternehmen alle Komponenten gehören. Unternehmen, die die PD-1/PD-L1-Mittel entwickeln, haben das erkannt.“
„Das ist ein Grund dafür, dass sich Unternehmen bemühten, die gleichen Produkte zu produzieren“, so Loncar. „Ob dieser Trend nun gut oder schlecht ist, kann ich nicht sagen, doch es ergibt Sinn für beide – Patienten und Unternehmen.“
Mangel an Probanden
„Me too“-Studien haben allerdings mit einem Mangel an einzuschließenden Patienten zu kämpfen. Mit über 1.000 klinischen Studien und weiteren, die noch hinzukommen, bleibt die Menge an geeigneten Patienten, um überhaupt daran teilzunehmen, hinter der Nachfrage zurück.
Laut einem kürzlich erschienenen Artikel in der New York Times ist an vielen der medizinischen Hauptzentren die Zahl der eingeschlossenen Patienten in die „Me too“-Studien zurückgegangen, die PD1/PD-L1-Inhibitoren bei den gleichen Krebsarten testen. Das Yale Center in Connecticut ist ein solches Beispiel – es nimmt an weniger als 10% der immuntherapeutischen Studien teil, zu deren Teilnahme es eingeladen wird.
Dr. Roy Herbst, Chef der medizinischen Onkologie in Yale, erklärt, dass diese Studien aus wissenschaftlicher Sicht uninteressant sind und dass die „Unternehmen, die diese Studien sponsern, keine neuen Forschungsfragen aufwerfen. Sie versuchen urheberrechtlich geschützte Arzneimittel genehmigt zu bekommen.“
Um eine Kombinationstherapie zu testen, verbrachte GlaxoSmithKline mehr als ein Jahr damit, in den USA; Japan, Südkorea 59 Patienten zu finden, deren Tumoren den Einschluss-Kriterien entsprachen. In ähnlicher Weise verbrachte Pfizer 3 Jahre mit der Suche nach 50 Patienten mit Lungentumoren, die ROS1-Verbindungen aufwiesen.
Perspektiven in der Immuntherapie
Loncar merkt an, dass es wichtig ist, die Langzeit-Perspektive zu betrachten. „Die Entwicklung von Arzneimitteln beansprucht eine lange Zeit, mit vielen Erfolgen und Misserfolgen“, sagt er. „Man muss nur einmal dran denken, wo wir vor 6 Jahren standen, als es keine zugelassenen Immuntherapien gab. Da muss man auf Zeit setzen.“
„Die MYSTIC-Studie mag jetzt nicht gut gelaufen sein“, sagt er. „Aber das sind Zwischen-Ergebnisse, und es gab ein sehr gutes Ansprechen“, betont er. „Manchmal braucht es einfach Zeit, bis sich die Kurven trennen.“ Er hat auch das Gefühl, dass nun wohl der Höhepunkt bei der Zahl der Studien erreicht ist und dass die „nächste Runde“ kleiner und präziser ausfällt.
Dr. Jeffrey Weber, Deputy Director des Perlmutter Cancer Center am New York University Langone Medical Center, meint, dass „wir nun auf die Ära der Biomarker und der personalisierten Immuntherapie zusteuern. Da gibt es keinen Zweifel mehr.“
„Ich denke wir werden schlussendlich Impfstrategien entwickeln, die funktionieren, auch wenn sie bislang noch nicht sehr erfolgreich waren“, sagt Weber Medscape Medical News.
Die Entwicklung neuer Arzneimittel scheint kein Problem zu sein. „Es gibt so viele neue Mittel die derzeit entwickelt werden und das wird höchstwahrscheinlich so bleiben, doch die wirklichen Aufgaben sind bessere Ansätze und bessere Biomarker“, sagt er. „Wir brauchen bessere Biomarker, dann können wir die Patienten auswählen, die am wahrscheinlichsten profitieren. Da gibt es noch Nachholbedarf.“
Chow glaubt, dass mehr Austausch zwischen den Pharma-Unternehmen nötig wäre. „Der gemeinsame Zugriff auf Tumorproben und inhaltliche Kooperation, wären wirklich nützlich dabei herauszufinden, was mit den Patienten geschieht“, sagt sie.
Weil die gegenwärtigen Arzneimittel nur bei einem kleinen Prozentsatz von Patienten funktionieren und nur Erfolg bei wenigen Tumorarten haben, konzentriert sich die Forschung nun darauf, die Anwendbarkeit dieser Arzneimittel zu erhöhen. Ein Weg ist das vielversprechende Konzept von „heißen“ versus „kalten“ Tumoren.
„Kalte“ in „heiße“ Tumoren umwandeln
Checkpoint-Inhibitoren scheinen bei hoch mutierten Tumoren, die „heiß“ sind – hoch infiltriert mit Immunzellen – am effektivsten zu sein. Allerdings sind die meisten menschlichen Tumoren „kalt“, also liegt die Herausforderung darin, „kalte“ Tumoren in „heiße“ umzuwandeln. Dann wären Checkpoint-Inhibitoren möglicherweise in einer dramatisch größeren Population effektiv.
Eine kleine Studie zeigt nun, dass die Transition von kalt nach heiß praktikabel ist. Auf ein innovatives Vakzin, HS-110 (Viagenpumatucel-L), kombiniert mit Nivolumab, sprachen 5 von 15 Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkrebs in einer Phase-1B-Studie an.
„3 von den 5 Patienten wechselten von kalt zu heiß, sie sprachen klinisch auf die Therapie an und es kam auch zur Transition“, sagt Dr. Jeff Hutchins, wissenschaftlicher Leiter und Senior Vize-Präsident der präklinischen Entwicklung bei Heat Biologics, dem Entwickler von HS-110. „Wir haben jetzt eine laufende Phase-2-Studie dazu.“
Hutchins räumt ein, dass ihre Ergebnisse auf einer sehr kleinen Population basieren. Doch es bedeute, dass 60% der Patienten, die auf die Therapie ansprachen, eine signifikante Tumor-Reduktion erfahren haben, die höher ist als die 10%-Response-Rate der Patienten mit kaltem Tumor, die hauptsächlich auf Nivolumab alleine ansprechen.
„Dieser Ansatz lässt sich auf alle Tumortypen anwenden“, sagt er. „Wir hatten ein früheres Programm für Blase und Prostata und wir warten auf die Zustimmung für das ‚Front-Line-Setting‘, bevor wir damit beginnen.“
Derzeit ist es schwierig, die Patientenpopulation zu identifizieren, die den größten Nutzen aus dieser Strategie schöpft, „doch vermutlich sind es die mit niedriger PD-1/PD-L1-Expression und diejenigen mit kalten Tumoren“, sagt er.
„Wäre Immuntherapie ein Baseballspiel, dann sind wir im zweiten oder dritten Inning (ein Spiel besteht üblicherweise aus 9 Innings, also Spielabschnitten) und haben bis zur Heilung einen weiten Weg zurückzulegen“, fügt Hutchins hinzu. „Unglücklicherweise verfügt die Mehrheit der Patienten nicht über den Luxus, warten zu können, und braucht vielfältige und nachhaltige Strategien, um geheilt zu werden.“
Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Lancet Onkology 2017;18(8):981
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Immuntherapie bei Krebs: Die Fehlschläge häufen sich – droht das Ende des „Goldrausches“? - Medscape - 25. Aug 2017.
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