Auch nach FOURIER noch zu teuer – Kosten-Nutzen-Analyse: PCSK9-Inhibitor Evolocumab müsste um 70 Prozent günstiger sein

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

25. August 2017

Die FOURIER-Studie hat die klinische Wirksamkeit des cholesterinsenkenden PCSK9-Inhibitors Evolocumab bestätigt (wie Medscape berichtete). Aber das Problem bleibt der Preis für die Therapie: In Deutschland liegen die Kosten bei etwa 7.500 € pro Jahr und Patient. Im Journal of American Medical Association wurde jetzt eine Kostenanalyse vorgestellt, die auf einer Patientenpopulation in den USA basiert, die den Einschlusskriterien von FOURIER entspricht [1]. Das Ergebnis: Der Preis für Evolocumab sollte um 71% gesenkt werden, um die Therapie in ein rationales Preis-Leistungs-Verhältnis zu bringen.

In den USA wurden bereits mehrere Kostenanalysen durchgeführt, die eine Senkung der Preise der PCSK9-Inhibitoren um etwa 2 Drittel forderten. Die Hersteller antworteten darauf bisher mit dem Hinweis auf ausstehende Daten ihrer großen Endpunktstudien. Jetzt liegen diese für Evolocumab (Repatha®, Amgen) vor: In der FOURIER-Studie reduzierte der Wirkstoff zwar die Risiken für Herzinfarkt um 27% und für Schlaganfall um 21%. Die Ergebnisse blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück, die einen 36 bis 39%igen Rückgang der kardiovaskulären Ereignisse vorhergesagt hatten.

Eine darauf basierende Kostenanalyse der Gruppe um Prof. Dr. Kirsten Bibbins-Domingo, Department for Medicine, University of California, Los Angeles, kommt jetzt zu dem Schluss, dass die Kosten für den cholesterinsenkenden Antikörper um 71% gesenkt werden sollten, um kosteneffektiv zu sein. Der aktuelle Preis liegt in den USA bei 14.500 US-Dollar pro Jahr und Patient.

Wirksamkeit gut – Kosten jenseits der Wirtschaftlichkeit

Sowohl das Wirkprinzip der Proprotein-Convertase vom Subtilisin/Kexin-Typ 9 (PCSK9) als auch die klinischen Erfolge stehen dabei außer Frage. Das Problem: In den USA erfüllen nach der Analyse von Bibbins-Domingo und Kollegen etwa 8,8 Millionen Patienten zwischen 40 und 85 Jahren die Einschlusskriterien der FOURIER-Studie. 

Prof. Dr. Wilhelm Krone

„Die FOURIER-Studie bestätigt zwar die gute Senkung der LDL-C-Werte und des kardiovaskulären Risikos. Sie rechtfertigt damit auch den Einsatz von PCSK9-Inhibitoren, aber aufgrund der hohen Preise nur bei klarer Indikation“, wertet Prof. Dr. Wilhelm Krone, Leiter der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin der Universitätsklinik Köln. „Wir sind deshalb gezwungen, individuell sehr genau abzuwägen, welche Patienten für eine PCSK9-Inhibitor-Therapie in Frage kommen.“

Zwar würden mit den hochgerechneten Therapieerfolgen in den USA etwa 2,9 Millionen Fälle von Herzinfarkten und Schlaganfällen gegenüber den bisherigen Therapieoptionen mit Statinen verhindert, allerdings würden damit auch die Kosten rein rechnerisch – beim gegenwärtigen Preis für  Evolocumab von 14.500 Dollar pro Therapiejahr – um jährlich etwa 120 Milliarden US-Dollar steigen.

Indikationsbeschränkungen sind wohl oder übel notwendig

Aus diesen Zahlen errechneten die Autoren Kosten von durchschnittlich etwa 450.000 Dollar pro qualitätsadjustiertem Lebensjahr (QALY) mit einem 80%igen Unsicherheitsintervall, also zwischen 300.000 und 787.000 Dollar.

Erst bei einer Preisreduktion von 71% auf unter 4.215 Dollar für eine Jahrestherapie mit Evolocumab errechnete sich eine Summe von durchschnittlich 100.000 Dollar pro QALY, die die Autoren als vertretbar erachteten. Dabei muss man berücksichtigen, dass es in allen Betrachtungen – in Analogie zur FOURIER-Studie – keine Indikationsbeschränkung für Evolocumab gilt.

 
Wir sind deshalb gezwungen, individuell sehr genau abzuwägen, welche Patienten für eine PCSK9-Inhibitor-Therapie in Frage kommen. Prof. Dr. Wilhelm Krone
 

In einem begleitenden Editorial beziehen sich Prof. Dr. Daniel Mark und Prof. Dr. Kevin Schulman, beide vom Duke Clinical Research Institute, Durham, USA, auf diesen Punkt [2]. Sie bedauern, dass Indikationseinschränkungen das einzige Mittel zu sein scheinen, um auf hohe Medikamentenpreise zu reagieren, die keine Rücksicht auf die Budgets der Gesundheitssysteme nehmen. Sie sehen hier den US-amerikanischen Kongress in der Verantwortung, die Kosten durch entsprechende Regelungen zu begrenzen.

Auch hierzulande beschränkt der G-BA die Indikation von Evolocumab auf Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie, auf solche mit hohem kardiovaskulären Risiko und auf Patienten, die Statine nicht oder in nicht ausreichender Dosierung vertragen sowie auf Patienten, die mit den bisherigen Medikamenten keine ausreichende LDL-Senkung erreicht haben.

„Die FOURIER-Studie untersucht eine andere Patientenpopulation als diejenige, für die Evolocumab momentan in Deutschland eingesetzt wird. Deshalb sind die US-amerikanischen Preis-Kalkulationsmodelle schwer auf die Praxis in Deutschland zu übertragen“, bestätigt Krone.

 
Die FOURIER-Studie untersucht eine andere Patientenpopulation als diejenige, für die Evolocumab momentan in Deutschland eingesetzt wird. Prof. Dr. Wilhelm Krone
 

Trotz Indikationsbeschränkung: Der Arzt muss auswählen, wer PCSK9-Inhibitoren bekommt

Für diese 3 Patientengruppen liegt bereits seit 2015 ein US-amerikanisches Gutachten zur Wirtschaftlichkeit vor mit Preisempfehlungen von 2.100 bis 2.600 Dollar pro Jahr, also einem Bruchteil der momentanen 14.500 Dollar (wie Medscape berichtete). Für diese Berechnungen wurden allerdings pro QUALY nur 50.000 Dollar zugrunde gelegt, so dass sie größenordnungsmäßig den Empfehlungen von Bibbins-Domingo und Kollegen entsprechen.

In diesem Gutachten werden die Patientenzahlen der 3 Zielgruppen in den USA auf etwa 2,6 Millionen geschätzt, also auf etwa 30% der nach den FOURIER-Einschlusskriterien berechneten 8,8 Millionen Patienten.

Geht man davon aus, dass in USA etwa viermal so viele Menschen leben wie in Deutschland, ergäbe sich in Analogie eine Zahl von etwa 650.000 Patienten (ein Viertel von 2,6 Millionen), die zu einer der 3 Indikationsgruppen für Evolocumab gehören. Daraus errechnet sich beim gegenwärtigen Preis von 7.500 € eine Summe von 4,9 Milliarden Euro pro Jahr für eine indikationsgemäße Therapie mit einem PCSK9-Inhibitor.

 
Es muss uns Ärzten jedoch erlaubt sein, bei klarer Indikation auch hochpreisige Präparate im Sinne der Patienten einzusetzen. Prof. Dr. Wilhelm Krone
 

„In der Praxis, wenn es um kardiovaskuläre Hochrisikopatienten geht, sind solche Berechnungen schwierig zu berücksichtigen“, gibt Krone kritisch zu bedenken. „Wir bemühen uns in jedem Fall, die therapeutischen Möglichkeiten auszureizen, um das kardiovaskuläre Risiko der Patienten leitliniengerecht zu minimieren. Besonders wichtig hierbei ist die Gabe der maximal verträglichen Statindosis. Es muss uns Ärzten jedoch erlaubt sein, bei klarer Indikation auch hochpreisige Präparate im Sinne der Patienten einzusetzen.“



REFERENZEN:

1. Bibbins-Domingo K, et al: JAMA 2017;318(8):748-750   

2. Mark DB, et al: JAMA 2017;318(8):711-712

Kommentar

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