Einer Demenz kann man nicht davonlaufen: Megastudie erbrachte keinerlei Nachweis für einen Schutz-Effekt

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

23. August 2017

47 Millionen Menschen lebten 2015 mit der Diagnose Demenz, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) errechnet. Diese Zahl, so die WHO-Prognose, wird sich bis 2050 verdreifachen. Weil trotz aller Bemühungen bis heute keine Heilmittel für die verschiedenen Demenzformen zur Verfügung stehen, drehen sich viele Diskussionen um das Thema Vorbeugung, z.B. durch Lebensstilfaktoren wie Ernährung und körperliche Aktivität.

Dass damit kardiovaskulär protektive Wirkungen erreicht werden, gilt als erwiesen. Der fitte Senior, der auf diese Weise auch der Demenz im wörtlichen Sinne davonläuft – dies ist ein gern bemühtes Bild. Ein Bild, das eine französisch-britische Arbeitsgruppe nun zerstört hat. „Körperliche Aktivität schützt nicht vor kognitivem Leistungsabfall und senkt nicht das Demenzrisiko“, teilen Dr. Séverine Sabia, Epidemiologin an der Universität Paris-Saclay, und ihre Kollegen im British Medical Journal mit [1].

Zweifel an der Kausalität von Sport und verringertem Demenzrisiko

Dabei war in den vergangenen Jahren doch immer wieder genau das Gegenteil in der Publikums- und Fachpresse zu lesen: Wer in seinem Leben viel in Bewegung sei, aktiv Sport treibe, hieß es, könne unter anderem auch das Demenzrisiko im Alter senken. Dafür sprachen die Ergebnisse einer ganzen Reihe von Beobachtungsstudien. Selbst Interventionsstudien schienen in diese Richtung zu deuten, so z.B. ein 2008 veröffentlichter Review der Cochrane Collaboration.

Hirnatrophien sowie Schäden der weißen Substanz ließen sich hinauszögern, glaubten Wissenschaftler beobachtet zu haben. Das World Dementia Council (WDC) resümierte vor 3 Jahren, es liege eine „suffziente Evidenz“ dafür vor, dass unter anderem regelmäßige körperliche Aktivität das Risiko kognitiven Abbaus und einer Demenz mindern könne.

Andererseits waren solche Ergebnisse nicht konsistent reproduzierbar. So erbrachte ein moderates Trainingsprogramm bei 70- bis 89-jährigen US-Amerikanern im Vergleich zu einer allgemeinen Gesundheitsberatung in der 2015 publizierten LIFE-Studie keinerlei Verbesserungen bei globalen oder spezifischen kognitiven Funktionen. Ähnlich waren verschiedene 36-monatige Lebensstil-Interventionen im Multidomain Alzheimer Preventive Trial ausgegangen. Dies nährte Zweifel an der Kausalität des Zusammenhangs.

Studie mit 27 Jahren Nachbeobachtung

Sabia und ihre Kollegen liefern nun eine prospektive Kohortenstudie mit 10.308 Menschen im Alter zwischen 35 und 55 Jahren ab, die im Durchschnitt 27 Jahre nachbeobachtet worden waren. Es handelt sich um die laufende Whitehall-II-Studie. Darin waren in den 1980er-Jahren Angestellte des britischen Civil Service aufgenommen und unter anderem 7-mal zwischen 1985 und 2013 per Fragebogen Angaben zur körperlichen Aktivität erhoben worden.

Bis zu 4-mal konnten sich die Teilnehmer validierten Testbatterien zur Prüfung der Kognition unterziehen. Über elektronische Krankenakten hat das Forscherteam die Demenz-Erkrankungen im Laufe der Zeit ermittelt und bei seinen Berechnungen soziodemografische Faktoren, Komorbiditäten sowie das Gesundheitsverhalten wie Rauchen und Alkoholkonsum berücksichtigt.

 
Körperliche Aktivität schützt nicht vor kognitivem Leistungsabfall und senkt nicht das Demenzrisiko. Dr. Séverine Sabia
 

Abnehmende körperliche Aktivität als Vorbote einer Demenz?

Insgesamt 329 Demenzerkrankungen ermittelte die Arbeitsgruppe. Hauptrisikofaktoren waren zunehmendes Alter, weibliches Geschlecht und geringe Schulbildung. „Wir fanden keine Assoziation zwischen körperlicher Aktivität, beurteilt in den Jahren 1997 bis 1999, und der Abnahme des globalen Kognitionsscores in den folgenden 15 Jahren“, erklären die Wissenschaftler. Egal ob wenig, moderat oder viel Sport getrieben worden war, dies änderte nichts am durchschnittlichen Erkrankungsalter von 75 Jahren.

Was aber auffiel war, dass im Vorfeld einer Demenz die körperliche Aktivität signifikant abnahm – ein Vorgang, der bis zu 9 Jahre vor Diagnosestellung begann und der besonders ausgeprägt ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen. Schaute man dann bei Demenzkranken und Nicht-Demenzpatienten 10 und 28 Jahre in die Vergangenheit, ließ sich kein Unterschied in der körperlichen Aktivität feststellen. Soll heißen: Deutlich abnehmende körperliche Aktivität könnte in der präklinischen Phase einer Demenz neben weiteren Hinweisen auf die sich entwickelnde Gedächtnis- und kognitive Störung hinweisen.



REFERENZEN:

1.  Sabia S, et al: BMJ 2017;357:j2709

Kommentar

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