Rund ein Fünftel aller nicht Übergewichtigen tragen ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes – dies aufgrund einer Fehlfunktion bei der Fettspeicherung. Zu diesem Schluss kommt eine Studiengruppe des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) und des Helmholtz Zentrums München, die diese Subgruppe von schlanken Menschen mit geschädigtem Stoffwechsel in einer Studie mit 981 Probanden untersucht hat [1].
Auffällig sei bei diesen schlanken, stoffwechselkranken Menschen, dass sie wenig Fett im Oberschenkel speichern, bemerken Prof. Dr. Norbert Stefan vom Universitätsklinikum Tübingen und seine Kollegen. „Bei Normalgewichtigen zeigte sich ein geringer Beinfettanteil, der auf eine gestörte Fettverteilung im Unterkörper hindeutet, als markantester Prädiktor eines metabolischen Risikos“, schreiben sie. Bei Übergewichtigen dagegen deute eher das Bauchfett auf metabolische Störungen hin.

Dr. Julia Szendrödi
KHK-Risiko mehr als 3-fach erhöht
Dass schlanke Oberschenkel bei Menschen mit normalem BMI mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko verbunden sind, sei neu, sagt Dr. Julia Szendrödi, Leiterin des Studienzentrums am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Gespräch mit Medscape. „Das Fehlen dieses subkutanen Fettgewebes führt zu ektoper Lipidspeicherung und damit zur Insulinresistenz“, erklärt die Expertin, die selbst zu Lipodystrophie und ihren Ursachen und Auswirkungen forscht.
Obwohl ein BMI im normalen Bereich (von 18,5 bis unter 25 kg/m2) mit einem verminderten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Mortalität einhergeht, zeigen epidemiologische Studien, dass rund 20% dieser schlanken Menschen metabolische Störungen aufweisen und daher kein niedriges, sondern ein im Vergleich zu metabolisch Gesunden ein mehr als 3-fach erhöhtes kardiovaskuläres Mortalitätsrisiko aufweisen. Deren Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zu erkranken sei sogar größer als das gesunder übergewichtiger Menschen, bemerken die Studienautoren.
4 Risiko-Phänotypen
Um den Ursachen für diese Erkrankung auf den Grund zu gehen, haben die Wissenschaftler des Universitätsklinikums Tübingen und des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen (IDM) des Helmholtz Zentrum München Daten von 981 Probanden (Durchschnittsalter 45 Jahre, 62% Frauen) untersucht.
Sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie in den Meta-Analysen: Insgesamt wurden bei 33 (18%) der 181 als normalgewichtigen Studienteilnehmer 2 oder mehr Risikofaktoren für ein Metabolisches Syndrom festgestellt – abdominelle Fettleibigkeit, Hypertonie, Fettstoffwechselstörung mit Hypertriglyzeridämie und niedrigem HDL-Cholesterin oder Insulinresistenz bzw. gestörte Glukosetoleranz.
Um herauszufinden, ob sich diese „kranken Schlanken“ durch phänotypische Besonderheiten von gesunden Schlanken unterscheiden, hat das Team um Stefan ihr Körperfett, die Fettverteilung und den Fettanteil in der Leber mittels Magnetresonanz-Spektroskopie untersucht und 4 Risiko-Phänotypen festgelegt:
Fettleber,
viszerale Adipositas,
hoher Prozentsatz subkutanes Abdominalfett (Verhältnis von Bauchfett zur gesamten Körperfettmasse)
und niedriger Prozentsatz subkutanes Beinfett (Verhältnis Beinfett zur gesamten Körperfettmasse).
„Durch die MRT-Untersuchung zeigen die Forscher am Individuum, dass in der Tat, wie aufgrund der Ergebnisse epidemiologischer Studien vermutet, fast 20% der Normalgewichtigen von dieser Stoffwechselstörung betroffen zu sein scheinen“, sagt Szendrödi.
„Was die Studie jedoch nicht zeigen konnte, ist, ob die 33 metabolisch nicht gesunden, schlanken Probanden tatsächlich eine koronare Herzkrankheit oder einen Diabetes entwickeln“, fügt Szendrödi an.
Wenig Beinfett – Phänotyp ähnelt Lipodystrophie
Auffälligste Erkenntnis der Ganzkörper-Untersuchung zur Bestimmung eines Phänotyps von schlanken, metabolisch kranken Menschen: Die Patienten speichern nur wenig Fett im Oberschenkel und zeigten insgesamt ein ähnliches Erscheinungsbild wie Menschen mit einer Lipodystrophie.
„Bei Normalgewichtigen, nicht jedoch bei Übergewichtigen, erwies sich ein geringer Fettanteil im Oberschenkel, gefolgt von einer Fettleber, als stärkster Prädiktor eines metabolischen Risikos“, schreibt die deutsche Forschergruppe. Zum Vergleich: Bei Menschen mit Übergewicht sind eine nichtalkoholische Fettleber und ein erhöhter Bauchfettanteil die größten Risikofaktoren für eine Entgleisung des Stoffwechsels.
Auffälligkeiten zeigten sich auch hinsichtlich der Insulin-Empfindlichkeit, und -Sekretion sowie der körperlichen Fitness. Letztere war bei schlanken stoffwechselkranken Probanden eher beeinträchtigt als bei übergewichtigen Menschen mit beeinträchtigter Stoffwechselfunktion. „Übergewichtige, die regelmäßig Sport treiben und daher körperlich fit sind, die ‚fit fat individuals‘ also, haben ein geringeres kardiovaskuläres Risiko als schlanke unsportliche Menschen“, bemerkt Szendrödi hierzu.
„Das fehlende Fett an den Beinen ist bei Schlanken am stärksten mit einem Risiko für einen ungesunden Stoffwechsel assoziiert. Man könne daher auch sagen: „,Hüftgold‘ hält Schlanke gesund“, resümiert Stefan.
Risiko bei Normalgewichtigen früh erkennen
Stefan und Kollegen raten Ärzten daher, auch schlanke Menschen auf Merkmale des metabolischen Syndroms hin zu untersuchen. „Es ist wichtig herauszufinden, ob bei diesen Patienten eine verminderte Glukosetoleranz, eine Fettleber oder eine frühe Atherosklerose vorliegt, um diese Risikofaktoren früh behandeln zu können“, schreiben sie.
„Sieht ein Arzt einen schlanken Patienten, denkt er meist, dieser sei ohnehin gesund“, moniert Szendrödi. Dem sei jedoch, was den Stoffwechsel betreffe, in etwa jedem fünften Fall offensichtlich nicht so. „Es lohnt also nicht nur Übergewichtige, sondern alle Patienten auf metabolische Risiken hin zu screenen, um auch die 18% schlanken, die Störungen aufweisen, herauszufischen und deren Risikofaktoren konsequent zu behandeln“, empfiehlt sie.
Zudem stehe bei Schlanken zum Feststellen einer Insulinresistenz nicht wie bei Übergewichtigen das Bauchfett, sondern das Beinfett im Fokus. „Dass eine Verminderung des Beinfetts bei schlanken Patienten auf metabolische Störungen hinweist, ist neu und sollte den Ärzten von nun an bewusst sein“, erklärt die Expertin vom DDZ.
Zudem sollten körperliche Fitness sowie Leberfett auch bei Schlanken mit Verdacht auf ein metabolisches Syndrom überprüft werden. Eine verbesserte maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) gehe mit einer Verbesserung der Insulinsensitivität ein. „Daher sollten schlechtere VO2max-Werten bei Schlanken mehr Bedeutung als bisher zugemessen werden“, rät Szendrödi.
Ebenfalls mehr Beachtung sollten Ärzte dem Leberfett schenken. „Schon ab 5,6% Fettanteil spricht man bei einer Protonenspektroskopie von einer Fettleber.“ Im Ultraschall können Kliniker diese jedoch erst ab einem Fettanteil von 20% feststellen, bemerkt sie. Dann jedoch haben Patienten bereits ein „drastisch erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Es ist noch nicht so sehr in den Köpfen, dass auch schlanke Menschen eine Steatose entwickeln können. Diese Menschen sterben nicht an der Fettleber, sondern an der kardiovaskulären Folgeerkrankung.“
Stefan und Kollegen aus Tübingen fordern für schlanke Menschen, bei denen ein metabolisches Syndrom diagnostiziert wurde, die Entwicklung „maßgeschneiderter Lebensstil-Interventionen oder spezifische medikamentöse Behandlungen für eine personalisierte Prävention“. Das beinhalte aufgrund des geringen Beinfettanteils als wichtigsten Indikator für die metabolische Störung auch Medikamente zur besseren Fettverteilung, etwa Thiazolidindione (TZD).
REFERENZEN:
1. Stefan N, et al: Cell Metabolism (online) 1. August 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Schlanke Oberschenkel – Risiko fürs Herz? Fehlgesteuerte Fettspeicherung erhöht Diabetes- und kardiovaskuläres Risiko - Medscape - 22. Aug 2017.
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