Gegenwind für Heilpraktiker – Expertenkreis fordert: Entweder Zusatzqualifikation oder ganz abschaffen!

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

21. August 2017

Der Beruf des Heilpraktikers und deren Qualifikation geraten zunehmend in die Diskussion. Ein Jahr ist es her, dass Todesfälle im alternativen Krebszentrum Brüggen bekannt geworden sind: Ein Heilpraktiker hatte Krebskranke mit dem unerforschten 3-Bromopyruvat behandelt, mindestens 3 Patienten starben.

Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert

Bereits 2009 waren Patienten gestorben, weil ihnen von ihrer Heilpraktikerin Drogen verabreicht worden waren. Und die Folgen eines Psycholyse-Seminars von Heilpraktikern, das unter Drogeneinfluss außer Kontrolle geriet, werden demnächst in Stade verhandelt. Es sind Fälle wie diese, die massive Zweifel an der Befähigung von Heilpraktikern aufkommen lassen.

„Um es deutlich zu sagen: Wir wollten den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinnehmen“, stellt Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert, Medizinethikerin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), klar. Auf Initiative Schöne-Seiferts hat sich der Münsteraner Kreis gegründet.

Kritisches Positionspapier zum Heilpraktikerberuf

Mit dem Münsteraner Memorandum Heilpraktiker legt der Münsteraner Kreis jetzt ein 10-seitiges Positionspapier vor, das das Heilpraktikerwesen kritisch unter die Lupe nimmt [1]. Der Appell der Experten richtet sich gegen „unangemessene Ausbildung und die meist unhaltbaren Krankheitskonzepte“ und macht Vorschläge, wie das Heilpraktikerwesen zum Nutzen der Patienten reformiert werden sollte.

Die Experten sehen 2 Lösungsmöglichkeiten: Entweder der Beruf Heilpraktiker wird abgeschafft oder es muss durch Zusatzqualifikationen massiv nachgebessert werden. Als Kompetenzlösung schlagen sie vor: An Stelle des bisherigen Heilpraktikers mit seinem problematischen Globalzuschnitt und dem gleichzeitig nicht garantierten Kompetenzniveau den Fach-Heilpraktikermit wissenschaftsorientierter Ausbildung und staatlicher Prüfung zu stellen.

 
Um es deutlich zu sagen: Wir wollten den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinnehmen. Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert
 

Staatlich anerkannter Fach-Heilpraktiker soll dabei aber nur werden können, wer bereits eine Ausbildung in einem der speziellen nicht-akademischen/teilakademischen Heilberufe absolviert hat, etwa als Ergotherapeut, Gesundheits- und Krankenpfleger, Logopäde oder Physiotherapeut. Ein Physiotherapie-Fachheilpraktiker etwa bliebe beschränkt auf Beschwerden und Erkrankungen im Bewegungsapparat.

2 Parallelwelten im deutschen Gesundheitswesen

Wie die Medizinethikerin Schöne-Seifert deutlich macht, existieren im deutschen Gesundheitswesen 2 Parallelwelten: die der akademischen Medizin und die der Heilpraktiker. Während die akademische Medizin sich an Evidenz orientiere und nach wissenschaftlich basiertem Fortschritt strebe, seien Heilpraktiker in der überwiegend unwissenschaftlichen Gedankenwelt der Komplementären und Alternativen Medizin (KAM) verankert.

Auch der Ausbildungsgang ist völlig verschieden: Während Mediziner ein langes Studium absolvieren, ist die Ausbildung zum Heilpraktiker kurz und weitgehend unreguliert. „Vergleicht man die Heilpraktiker-Ausbildung mit dem Medizinstudium, ist es schon sehr erstaunlich, dass Heilpraktiker diagnostizieren und therapieren dürfen“, sagt der Biologe Dr. Christian Weymayr, Mitglied des Münsteraner Kreises, im Gespräch mit Medscape. „Erschwerend kommt hinzu, dass die Diagnosen und Therapien beim Heilpraktiker meist esoterisch und nicht wissenschaftlich begründet sind“, fügt er hinzu.

Schöne-Seifert lud im Juni 2016 KAM-Experten verschiedener Fachrichtungen nach Münster ein, um über KAM und das Heilpraktikerwesen zu diskutieren, darunter Prof. Dr. Edzard Ernst, Prof. Dr. Manfred Anlauf, Mitglied der Arzneimittelkommission der Bundesärztekammer, Prof. Dr. Jutta Hübner, Stiftungsprofessorin für Integrative Onkologie in Jena, Dr. Natalie Grams von der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften und Medizinethiker, Medizinrechtler und Versorgungsforscher.

„Wir wollten ausloten, wie ein solidarisches Gesundheitswesen verantwortlich und fair mit dem Clash zwischen gefährlicher Pseudowissenschaft und Selbstbestimmung umgehen sollte“, erklärt Schöne-Seifert.. Einige der beteiligten Experten hatten von Heilpraktikern angebotene Verfahren erforscht, andere die Motivation von Patienten, einen Heilpraktiker aufzusuchen, untersucht. Auch diese Ergebnisse flossen in das Münsteraner Memorandum Heilpraktiker ein.

Welchem Lösungsvorschlag – der Abschaffungslösung oder der Kompetenzlösung – nun der Vorzug zu geben ist, dazu herrschen unter den Mitgliedern des Münsteraner Kreises geteilte Meinungen, sagt Weymayr. Doch ist eine Abschaffung überhaupt durchsetzbar? „Das hängt vom politischen Willen ab. Ich denke, das muss irgendwann passieren. Die Frage ist doch, wie konnte das Heilpraktikerwesen in dieser Form überhaupt so lange überdauern“, sagt Weymayr.

 
Vergleicht man die Heilpraktiker-Ausbildung mit dem Medizinstudium, ist es schon sehr erstaunlich, dass Heilpraktiker diagnostizieren und therapieren dürfen. Dr. Christian Weymayr
 

Heilpraktiker-Ausbildung: Aktualisierung der Leitlinien löst das Problem nicht

Im September 2016 hatte der Pflegebeauftragte der Bundesregierung Josef Karl Laumann vorgeschlagen, die Heilpraktiker-Ausbildung prüfen zu lassen. Wie Sebastian Gülde, Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums auf Nachfrage von Medscape bestätigt, ist dies auch geschehen.

Gülde: „Durch Regelungen, die am ersten Januar diesen Jahres in Kraft getreten sind, wird das Heilpraktikergesetz geändert.“ Künftig gibt es einheitliche Überprüfungsrichtlinien für Heilpraktiker-Anwärter – das war bislang nicht der Fall. „Die Änderungen verbessern die Qualität der Überprüfung und damit auch den Patientenschutz. Das Bundesministerium für Gesundheit macht Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktiker-Anwärtern bis spätestens zum 31. Dezember 2017 im Bundesanzeiger bekannt. Bei der Erarbeitung der Leitlinien sind die Länder zu beteiligen. Diese Leitlinien zur Überprüfung sind künftig rechtsverbindlich, so Gülde, und müssen von den zuständigen Behörden der Länder angewandt werden.

Doch diese geplante begrenzte Novellierung des Heilpraktiker-Gesetzes ändert nichts daran, dass sich angehende Heilpraktiker auf die verlangte Prüfung autodidaktisch vorbereiten können – ohne je einen Patienten zu sehen.  Das  löst das eigentliche Problem nicht, betont Weymayr.

Bereits in einer Stellungnahme im September 2016 hatte das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) kritisiert, dass Heilpraktikern „mehr dürfen als sie können“ und Lösungsansätze skizziert. Einige Aspekte der INH-Stellungnahme sind ins Münsteraner Memorandum mit eingeflossen.

Tatsächlich ist die Ausbildung zum Heilpraktiker nach wie vor nicht geregelt: Während Medizinstudenten ein der Wissenschaftlichkeit verpflichtetes Studium durchlaufen, an dessen Ende eine staatliche Prüfung steht, haben Heilpraktiker nur eine einzige Prüfung zu bestehen, in der sie nachweisen müssen, dass sie sich bestimmter Grenzen ihres Kompetenzbereichs bewusst sind, etwa bei der Behandlung von Infektionskrankheiten.

Darüber hinaus gibt es keine staatliche Regulierung und keine festgelegten Ausbildungsinhalte. Die vor dem Amtsarzt abzulegenden Prüfungen beschränken sich auf die Abfrage theoretischen Wissens z.B. zu Herz, Haut, Verdauung und Stoffwechsel. Das kann man sich aneignen, ohne je einen Patienten gesehen zu haben.

Die praktische Therapie ist nicht Gegenstand der Amtsarztprüfung. Für Heilpraktiker gibt es auch keine gesetzlich geregelte Pflicht zur Weiterbildung. Es gibt keinerlei Qualitätskontrolle, kein Berichtswesen, das die Ergebnisse statistisch erfasst und auswertet, keine Kammern, die über die Einhaltung von Behandlungsgrundsätzen wachen und ermächtigt wären, eine Zulassung zu entziehen.

Eine Überwachung greift derzeit erst dann, wenn gesetzliche Verstöße aufgetreten sind; also z.B. meldepflichtige Infektionskrankheiten alternativ therapiert wurden, statt z.B. bakterielle Infektionen mit Antibiotika zu behandeln. Der Mangel an Daten zu Behandlungsfehlern, negativen Verläufen und unnötigen Therapien kann leicht dahingehend fehlgedeutet werden, dass es diese Problematiken im Gegensatz zur ärztlichen Medizin nicht gibt, stellt das Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) fest.

Das begünstige in der Bevölkerung einen erheblichen, wenig gerechtfertigten, Vertrauensvorschuss und stärke ein (oftmals übersteigertes) Selbstvertrauen beim Heilpraktiker. „Wir sehen in den Heilpraktikern selbst eine wesentliche Triebfeder zur weiteren Verbreitung esoterischer Heilslehren und eines negativen Bildes unseres Gesundheitssystems“, sagt INH-Sprecher Dr. Norbert Aust.

KBV: Ein in 6 Monaten ausgebildeter Heilpraktiker kann einen Facharzt nicht ersetzen

Die KBV hat sich ebenfalls bereits Ende Mai dieses Jahres in einem 8-Punkte-Plan kritisch zu Heilpraktikern geäußert: Den Arzt durch andere Heilberufe ersetzen zu wollen, sei nicht im Sinne der Patienten, so KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Ein in 6 Monaten ausgebildeter Heilpraktiker könne nun mal einen in 16 Jahren ausgebildeten Facharzt nicht ersetzen.

Hier würden auch die Krankenkassen falsche Signale setzen: „Es ist doch absurd, wie viel Geld manche gesetzliche Versicherung für Kügelchen und Tinkturen aus dem Fenster wirft, deren Wirksamkeit – selbst nach eigenem Bekunden der Kassen – nicht belegt ist. Wenn aber ein Arzt einem Patienten ein erwiesenermaßen wirksames Arzneimittel verordnet und hinterher in Regress genommen wird, weil die Studienlage für diese spezifische Patientengruppe nicht ausreichend ist, dann läuft etwas gewaltig schief!“, so Gassen.

Mehr sprechende Medizin anstatt Heilpraktiker?

Doch Heilpraktiker sind bei Patienten beliebt. „Es wäre gut, wenn in der Medizin gar keine Lücke entstünde, in der sich die Patienten auf die Suche nach ‚Alternativen‘ machen müssen“, stellt Dr. Natalie Grams, die Sprecherin des Informationsnetzwerks Homöopathie (INH) fest. Entsprechend setzt sich das Netzwerk für eine bessere Bezahlung der sprechenden Medizin ein. „Das wäre eine sinnvolle flankierende Maßnahme“, sagt auch Weymayr.

Denn eine wichtige Rolle spielt aus Sicht des INH, dass das „Sprechzimmer“ quasi „wegrationalisiert“ worden sei, dies mit der Folge, dass Patienten sich alleingelassen, als „Fall“ behandelt und abgefertigt fühlten. Es müsse wieder gelingen, Patienten die Zeit zuzugestehen, die sie auch benötigen. Gleichzeitig sollte es kein wirtschaftliches Risiko für den Arzt mehr sein, sich um einzelne Patienten ausführlicher zu kümmern.

 
Es wäre gut, wenn in der Medizin gar keine Lücke entstünde, in der sich die Patienten auf die Suche nach ‚Alternativen‘ machen müssen. Dr. Natalie Grams
 

Weshalb der Gesetzgeber wohl bislang noch keine klareren Regeln für die Homöopathie-Ausbildung und Qualifikation erlassen hat? „Viele Patienten haben keine durchgehend rationale Sichtweise (‚Ich glaube zwar nicht daran, aber es hat mir geholfen.‘) und gehen gerne zum Heilpraktiker. Politiker scheuen sich dann zu sagen: ‚Das ist keine vertrauenswürdige Medizin, sondern meist einfach Unsinn‘“, erklärt Weymayr.

Memorandum ist erst der Anfang

Die Autoren des Memorandums sind überzeugt, dass ihre Lösungsvorschläge das Vertrauen in das deutsche Gesundheitswesen stärken und die Versorgung verbessern. Und das Label „staatlich anerkannt“ wäre dann wieder ein echtes Qualitätsmerkmal, an dem sich Patienten orientieren könnten.

Der Münsteraner Kreis ruft dazu auf, sich dem Statement anzuschließen. Dazu reicht eine E-Mail (unterstuetzer@muensteraner-kreis.de). Die Liste der Unterstützer ist unter www.muensteraner-kreis.de einsehbar. Dies soll Politiker dazu motivieren, das Heilpraktikerwesen grundlegend zu reformieren. Beim Memorandum soll es nicht bleiben. „Wir haben Kontakte zu einigen Politkern und Abgeordneten und werden das Thema weiterverfolgen bzw. an dem Thema dran bleiben“, sagt Christian Weymayr.



REFERENZEN:

1. Münsteraner Kreis: Münsteraner Memorandum Heilpraktiker, 21. August 2017

Kommentar

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