Nach Jahrzehnten therapeutischen Stillstands: Multikinase-Inhibitor Midostaurin verlängert das Leben von AML-Patienten mit FLT3-Mutation

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

21. August 2017

Sie zählt zu den besonders aggressiven Leukämieformen mit seit einem Vierteljahrhundert unverändert schlechter Prognose: die Akute Myeloische Leukämie (AML). „Die AML ist eine heterogene Erkrankung und es bleibt eine Herausforderung, diese Patienten zu behandeln“, schreiben Prof. Dr. Richard Stone vom Dana Farber Cancer Center in Boston, USA, und seine Kollegen einleitend zu ihrer Studie mit dem Multikinase-Inhibitor Midostaurin, der die derzeitige Behandlungspraxis wahrscheinlich ändern wird.

Mit „heterogen“ meinen die Hämatoonkologen das unterschiedliche Alter der Patienten, koexistierende Krankheiten sowie vor allem auch intrinsische biologische Faktoren der Erkrankung. Diese Faktoren müssen offenbar gezielt angesprochen werden, um die Erfolgsaussichten von Therapien bei AML maßgeblich zu verbessern.

Solche Faktoren sind Mutationen im FLT3(FMS-like tyrosine kinase 3)-Gen. Mit Midostaurin sei ein erster Schritt hin zur Anwendung der personalisierten Medizin bei AML getan worden, so Stone vor anderthalb Jahren bei einer ersten Vorstellung der RATIFY-Studienergebnisse beim Kongress der American Society of Hematology (ASH) in Orlando, USA, die jetzt vollständig im New England Journal of Medicine erschienen sind [1].

Demnach lässt sich mit der neuen Substanz, zusätzlich zur Chemotherapie gegeben, die Gesamtüberlebenszeit von AML-Patienten mit FLT3-Mutation im Vergleich zur herkömmlichen Therapie signifikant und relevant verlängern.

Die FLT3-Mutation findet sich bei etwa 30% der Erwachsenen mit neu diagnostizierter AML und sie ist mit einer schlechten Prognose und hohen Rezidivraten assoziiert. Das FLT3-Gen auf Chromosom 13 kodiert einen Tyrosinkinase-Rezeptor, der eine Schlüsselrolle spielt für das Überleben, die Proliferation und die Differenzierung hämatopoetischer Zellen.

Mutationen des Gens bringen die Balance zwischen Proliferation und Differenzierung durcheinander. FLT3 wird im Knochenmark und in weiteren hämatopoetischen Organen wie etwa der Milz, der Leber und im Thymus exprimiert.

 
Die AML ist eine heterogene Erkrankung und es bleibt eine Herausforderung, diese Patienten zu behandeln. Prof. Dr. Richard Stone und Kollegen
 

Medianes Gesamtüberleben mit Midostaurin: Mehr als 6 Jahre

Stone und seine Kollegen haben, übrigens unter Beteiligung von 5 deutschen Zentren, 717 zuvor unbehandelte AML-Patienten mit FLT3-Mutation im Verhältnis 1:1 in 2 Gruppen randomisiert. Sie erhielten eine Induktionstherapie mit Daunorubicin und Cytarabin. Außerdem bekamen die Teilnehmer 2-mal täglich doppelblind Midostaurin oral oder Placebo an den Tagen 8 bis 21. Wer an Tag 21 noch leukämische Residuen im Knochenmarksausstrich aufwies, erhielt einen zweiten Zyklus.

Bei kompletter Remission folgte eine Konsolidierungstherapie mit Hochdosis-Cytarabin und weiterhin Midostaurin/Placebo sowie bei Remission dann die Erhaltungstherapie mit Midostaurin/Placebo für insgesamt 12 28-Tage-Zyklen. Ob eine hämatopoetische Stammzelltransplantation erfolgte, blieb den Studienärzten überlassen. Die teilnehmenden AML-Patienten waren im Median 48 Jahre alt.

In der Interventionsgruppe betrug das mediane Gesamtüberleben 74,7 Monate, in der Kontrollgruppe dagegen 25,6 Monate. Dies war gleichbedeutend mit einem um 22% reduzierten Mortalitätsrisiko, wenn die Chemotherapie mit dem Multikinase-Inhibitor kombiniert wurde.

Nach 4 Jahren lebten noch 51,4% der Patienten in der Midostaurin-Gruppe und 44,3% in der Placebo-Gruppe – ebenfalls ein signifikanter Unterschied. Zu diesem Zeitpunkt ereignisfrei überlebt hatten 28,2% bzw. 20,6% der Patienten. Diese Ergebnisse traten konsistent in Subgruppen mit verschiedenen FLT3-Subtypen auf. Knapp ein Drittel der Teilnehmer erreichten nie eine Komplettremission.

Welchen Einfluss hatten die Stammzelltransplantationen?

Für die Studienautoren überraschend war, dass relativ häufig Stammzelltransplantationen vorgenommen worden waren, und zwar häufiger in der Midostaurin-Gruppe zum Zeitpunkt der ersten Komplettremission (28,1%) als in der Placebo-Gruppe (22,7%). Insgesamt hatten sich 57% aller Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt der allogenen Transplantation unterzogen.

Während der Transplantationsphase wurde die Studienmedikation unterbrochen. „Demzufolge kann die frühe Transplantation zu einer eingeschränkten Midostaurin-Exposition geführt haben, was den Studieneffekt limitieren würde“, schreiben Stone und Kollegen. Dennoch sei der hochsignifikante Effekt beim Gesamtüberleben eingetreten.

Mit der Studie ist nachgewiesen, dass junge Patienten mit AML und FLT3-Mutation von dem Multikinase-Inhibitor Midostaurin, zusätzlich zur Chemotherapie gegeben, profitieren. Die Rate schwerer unerwünschter Ereignisse war in den Gruppen insgesamt gleich, wenngleich es unter Midostaurin häufiger zu Anämien und Hautausschlägen kam.

Ob ältere AML-Patienten als diejenigen in dieser Studie und ob Erwachsene mit Wildtyp-FLT3 ebenfalls von dieser Kombinationstherapie profitieren, bleibt zu klären. Zumindest für junge AML-Patienten mit FLT3-Mutation stellt Midostaurin nach Stones Ansicht einen neuen Therapiestandard dar.



REFERENZEN:

1. Stone RM, et al: NEJM 2017;377(5):454-464

Kommentar

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