Mycoplasma genitalium: Ein eher unbekannter, durchaus problematischer Keim kreiert für Ärzte ein medizinisches Dilemma

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

18. August 2017

Nicht einmal 40 Jahre nach seiner Entdeckung ist in vielen Ländern der Welt bereits jedes zweite Bakterium der Art Mycoplasma genitalium gegen das Antibiotikum Azithromycin und andere Makrolide resistent. Das berichtet der dänische Mikrobiologe Dr. Jørgen Skov Jensen vom Statens Serum Institut in Kopenhagen, der den Keim seit vielen Jahren erforscht, in der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases [1].

Zugleich zeigten sich immer mehr Bakterienstämme mit Multiresistenzen, warnt Jensen. Da die Mycoplasmen bei Frauen und Männern als einer der wichtigsten Auslöser einer Harnröhrenentzündung gelten und laut Schätzungen der WHO bei etwa 2% aller Menschen vorkommen, könnte es zunehmend schwierig werden, die Urethritis zu behandeln.

Infektionen mit Mycoplasmen verlaufen vielfach symptomarm

„Wir wissen nach wie vor sehr wenig über diesen Keim“, sagt Dr. Klaus Jansen von der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Berliner Robert Koch-Institut (RKI) im Gespräch mit Medscape. Eine erste Studie unter Klientinnen von HIV/STI-Beratungsstellen in Nordrhein-Westfalen habe ergeben, dass knapp 4% der Frauen mit Mycoplasma genitalium infiziert seien. Damit wäre die Häufigkeit des Bakteriums ähnlich der von Chlamydien – die wohl häufigsten bakteriellen Auslöser sexuell übertragbarer Erkrankungen (Sexually Transmitted Infections, kurz STIs) in Deutschland. „Trotz der wenigen Daten ist das Thema sicher sehr relevant“, sagt Jansen.

Dr. Klaus Jansen

Infektionen mit Mycoplasmen verlaufen häufig symptomarm. Wenn überhaupt, machen sie sich, ähnlich wie Infektionen mit Chlamydien, durch wässrigen Ausfluss oder Jucken und Brennen beim Wasserlassen bemerkbar. Unbehandelt können sie jedoch zu entzündlichen Komplikationen führen. „Allerdings heilen viele Infektionen mit Mycoplasma genitalium offenbar auch von alleine wieder aus, weshalb Ärzte angesichts der großen Resistenzproblematik vor dem Dilemma stehen, ob sie überhaupt behandeln sollen oder nicht“, sagt Jansen.

Nicht jedes Labor ist in der Lage, Resistenzen des Erregers sicher zu bestimmen

„Viele Gynäkologen sind für die zunehmende Prävalenz von Infektionen mit Mycoplasma genitalium, die zum Teil inzwischen wirklich schwierig zu behandeln sind, aber noch nicht ausreichend sensibilisiert“, sagt Prof. Dr. Dr. Ioannis Mylonas, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen und Infektionsimmunologie (AGII) der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), gegenüber Medscape. Dabei stoße man vor allem in der Geburtshilfe seit 20 Jahren immer häufiger auf die Keime.

 
Wir wissen nach wie vor sehr wenig über diesen Keim. Dr. Klaus Jansen
 

Für die Ärzte sei es schwer, ein geeignetes Antibiotikum zu wählen, sagt Mylonas, zumal nicht jedes Labor die womöglich vorhandenen Resistenzen der Erreger bestimmen könne. Er selbst würde als erstes zu Azithromycin greifen. Und wenn das Bakterium nach 4 Wochen immer noch nachweisbar sei, rate er zu Moxifloxacin, einem Antibiotikum aus der Gruppe der 4. Generation der Fluorchinolone. Offizielle deutsche Empfehlungen gibt es bislang nicht.

Der Austausch von nur einer Base macht den Erreger gegen Makrolide resistent

Da die Symptomatik einer Infektion mit Mycoplasma genitalium der mit Chlamydia trachomatis so sehr ähnele, würden in der Praxis für die Behandlung oft die gleichen Antibiotika verwendet, schreibt der dänische Mikrobiologe Jensen. Das aber sei nicht optimal. Der Wissenschaftler befürchtet zudem, dass sich bei den Mycoplasmen Resistenzen künftig so schnell entwickeln könnten, dass es womöglich sehr viel früher als bei den Gonokokken zu wirklich nicht mehr behandelbaren Infektionen kommen wird.

 
Viele Gynäkologen sind für die zunehmende Prävalenz von Infektionen mit Mycoplasma genitalium … aber noch nicht ausreichend sensibilisiert. Prof. Dr. Dr. Ioannis Mylonas
 

Vor 20 Jahren habe man noch 90% der Infektionen mit Mycoplasma genitalium durch eine einmalige Gabe von 1 mg Azithromycin in den Griff bekommen, schreibt Jensen. Allerdings habe der Wechsel von Doxycyclin zu Azithromycin als Erstlinientherapie für Chlamydien-Infektionen und nicht durch Gonokokken ausgelöste Harnröhrenentzündungen – den viele Länder vorgenommen haben – dazu geführt, dass im Jahr 2009 nur noch 67% der Mycoplasmen-Infektionen auf diese Weise geheilt worden seien.

Die Veränderung einer einzigen Base in der rRNA lasse den Erreger kaum noch auf Azithromycin reagieren, berichtet Jensen. Für den Keim selbst sei diese Mutation hingegen offenbar harmlos, weshalb sie vielerorts schon bei mehr als jedem 2. Bakterium zu finden sei. Interessant sei in diesem Zusammenhang zu beobachten, dass in Schweden, wo Doxycyclin noch immer das Mittel der Wahl gegen Chlamydien-Infektionen ist, nur etwa jedes 5. Bakterium der Art Mycoplasma genitaliumnicht mehr auf Makrolide anspreche. Die Daten aus Schweden unterstüzen die Empfehlungen der WHO-Kommission , Chlamydien wieder bevorzugt mit Doxycyclin zu behandeln, betont der Wissenschaftler [2].

 
Einige Antibiotika, die noch gegen Mycoplasmen wirken, haben so starke Nebenwirkungen, dass man sie asymptomatischen Patienten vielleicht nicht geben möchte. Dr. Klaus Jansen
 

Einige der noch wirksamen Antibiotika haben zugleich schwere Nebenwirkungen

In anderen Teilen der Welt scheint die Lage besonders bedrohlich zu sein. Fast 10% der Mycoplasmen trügen in der Asien-Pazifik-Region genetische Veränderungen, die sie resistent gegen Azithromycin, Moxifloxacin und Doxycyclin machten, schätzt Jensen. Die Wirkstoffe Pristinamycin, Sitafloxacin und Spectinomycin, die allerdings nur in manchen Ländern verfügbar sind, könnten zwar eine Alternative sein. Allerdings sei das Therapieschema zum Teil derart kompliziert, dass eine erfolgreiche Behandlung bereits an der mangelnden Adhärenz der Patienten scheitern könne.

Der RKI-Forscher Jansen sieht noch 2 weitere Probleme. „Einige Antibiotika, die noch gegen Mycoplasmen wirken, haben so starke Nebenwirkungen, dass man sie asymptomatischen Patienten vielleicht nicht geben möchte“, sagt er. Zudem wolle man die Medikamente auch nicht „verbrennen“ und durch vielleicht nicht unbedingt nötige Therapien weitere Resistenzen heraufbeschwören. „Es ist ein echtes medizinisches Dilemma, in dem die Ärzte da stecken“, sagt er.

Neue Kombinationstherapien müssten Experten zufolge dringend evaluiert werden

Einig sind sich Jensen und Jansen darin, dass neue Kombinationstherapien, die bislang wenig erprobt sind, aber auch neue Antibiotika dringend gebraucht werden. Insbesondere die noch nicht zugelassenen Wirkstoffe Zoliflodacin, Gepotidacin and Lefamulin, die möglicherweise gegen diverse bakterielle STIs helfen, verdienten mehr Beachtung, schreibt der Däne Jensen. Kombinationstherapien, die nicht nur gegen Mycoplasmen, sondern auch gegen Chlamydien und Gonokokken wirksam sind, seien insbesondere für ärmere Länder wünschenswert, die sich die molekulare Diagnostik auf absehbare Zeit gar nicht leisten könnten.

 
Es ist ein echtes medizinisches Dilemma, in dem die Ärzte da stecken. Dr. Klaus Jansen
 

„Mit einer willkürlichen und nur unzureichend evaluierten antibiotischen Kombinationstherapie sollte man allerdings sehr vorsichtig sein“, meint der AGII-Vorsitzende Mylonas. Das zeige das Beispiel der Gonorrhoe: „Die mittlerweile trotz unzureichender Daten weltweit empfohlene Kombinationstherapie hat innerhalb weniger Jahre zu einer Multiresistenz der Erreger geführt.“



REFERENZEN:

1. Jensen JS: Lancet Infect Dis (online) 9. Juli 2017

2. Unemo M, et al: Lancet Infect Dis (online) 9. Juli 2017

Kommentar

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