Eine Infektion mit Chlamydien ist in den Industrieländern nach wie vor die häufigste sexuell übertragbare Erkrankung (Sexually Transmitted Infection, kurz STI), die durch Bakterien hervorgerufen wird. Darauf weist ein Expertengremium der WHO in einer Übersichtsarbeit hin, die in der Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht ist [1].
Trotz verbreiteter Empfehlungen zu entsprechenden Tests, vorhandener Testmethoden, die sensitiv, spezifisch und nicht-invasiv sind, sowie einer preiswerten und effektiven Therapie habe man die Erkrankung bislang nicht gut in den Griff bekommen, konstatiert das Team um Prof. Dr. Magnus Unemo von der schwedischen Universität Ørebro, der dem WHO Collaborating Centre for Gonorrhoea and Other Sexually Transmitted Infections vorsteht.
Die Übersichtsarbeit fasst den aktuellen Wissensstand bei STIs zusammen
In ihrer 45 Seiten langen Publikation befassen sich Unemo und seine Kollegen neben den Chlamydien-Infektionen noch mit 4 weiteren Themengebieten: der Gonorrhoe und den zunehmenden Resistenzen bei ihren Erregern, der bakteriellen Vaginose und dem Problem des häufigen Therapieversagens, der Kontrolle von STIs in Ländern der Zweiten und Dritten Welt sowie STIs bei homosexuellen und HIV-gefährdeten Männern.
„Es handelt sich um eine sehr schöne Übersichtsarbeit, die ich jedem, der sich für STIs interessiert, zur Durchsicht empfehlen kann“, kommentiert Prof. Dr. Dr. Ioannis Mylonas, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Infektionen und Infektionsimmunologie (AGII) der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), gegenüber Medscape.
Dr. Klaus Jansen von der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Berliner Robert Koch-Institut (RKI) sieht das ähnlich. „Die Publikation liefert einen guten Überblick und fasst die bestehende Evidenz gut zusammen“, sagt er im Gespräch mit Medscape. Die Arbeit zeige allerdings auch, dass man über STIs in vielerlei Hinsicht noch immer wenig wisse. „Obwohl es sich um sehr verbreitete Krankheiten handelt, die zum Teil schwere Folgeschäden nach sich ziehen, liegen bis heute zu vielen epidemiologischen und auch klinischen Fragen keine ausreichenden Daten vor“, sagt er.
Auch in Deutschland gehören Infektionen mit Chlamydien zu den häufigsten STIs
Laut Jansen ist eine Chlamydien-Infektion auch hierzulande sehr wahrscheinlich die häufigste bakterielle sexuell übertragbare Krankheit. Genaue Zahlen liegen seit Abschaffung der Meldepflicht im Jahr 2001 zwar nicht mehr vor. Doch eine seit 2010 laufende Studie liefere Hinweise, dass bei gesunden, nicht schwangeren Frauen etwa 5% der 15- bis 24-Jährigen mit Chlamydien infiziert seien, sagt Jansen. Bei schwangeren Frauen oder solchen mit Beschwerden ließen sich in dieser Altersklasse sogar bei bis zu 10% der Untersuchten die Erreger, Bakterien der Art Chlamydia trachomatis, nachweisen.
Jansen vermutet eine hohe Prävalenz auch noch aus einem anderen Grund. „Bis zu 80% der Infektionen mit Chlamydien verlaufen asymptomatisch“, sagt er. „Und die Erfahrung, auch aus anderen Ländern, hat gezeigt: Je mehr man testet, desto mehr Fälle findet man.“ Dass vor allem junge Frauen infiziert sind, führt Jansen auf 2 mögliche Ursachen zurück. „Zum einen haben sie in der Regel öfter wechselnde Sexualpartner als ältere Frauen, zum anderen scheint die noch weichere Schleimhaut der Genitalien empfänglicher für bakterielle Infektionen zu sein“, sagt er.
Frauen unter 25 Jahren können sich einmal jährlich auf Chlamydien testen lassen
In Deutschland bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen einen jährlichen Test auf Chlamydien derzeit nur Frauen unter 25 Jahren. Dazu wird meist der Urin im Labor auf Partikel des Bakterienerbguts untersucht. „Das Screening an sich ist zwar eine gute Sache“, findet der DGGG-Experte Mylonas. „Aber meines Erachtens müsse es Frauen bis 35 Jahren angeboten werden.“ Zudem sei es seiner Ansicht nach sehr viel sinnvoller, einen Abstrich vom Muttermund zu nehmen und diesen anstatt des Urins zu untersuchen. „Die Beschränkung auf Urinproben führt nachweislich zu einer höheren Zahl falschnegativer Ergebnisse“, sagt Mylonas.
Da eine Infektion mit Chlamydien mitunter schwerwiegende Folgen habe, sei es wichtig, sie rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln, betont Mylonas. Unbehandelt kann die Erkrankung zu Unterleibsentzündungen und daraus resultierender Unfruchtbarkeit führen. Ist eine schwangere Frau unwissentlich mit Chlamydien infiziert, erhöht sich das Risiko, eine Fehlgeburt zu erleiden.
„Die vom G-BA festgelegte Altersgrenze ist für Deutschland willkürlich und basiert auf amerikanischen Daten“, kritisiert Mylonas. „Angesichts der unterschiedlichen Sexualität von Amerikanern und Europäern sowie der zunehmenden Anzahl von Schwangerschaften bei Frauen jenseits von 30 Jahren ist diese Grenze so nicht mehr zu vertreten.“
Auch Männer sollten stärker in die Früherkennung und Therapie eingebunden werden
Zugleich fordert der Gynäkologe, auch Männer in die Früherkennung einzubeziehen, da die Prävalenz von Chlamydien-Infektionen bei ihnen vergleichbar hoch sei. In Ländern wie Großbritannien oder den Niederlanden werde dies längst praktiziert, weil man dort erkannt habe, dass sich das Erregerreservoir auf diese Weise reduzieren lasse, sagt Mylonas.
Auch die WHO-Experten um Unemo würden die Früherkennung gerne auf die Männer ausweiten. Sie betonen insbesondere die Notwendigkeit von Strategien, um die Sexualpartner infizierter Frauen auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich selbst testen und gegebenenfalls behandeln zu lassen.
„Die Sexualpartner der vergangenen 6 Monate sollten grundsätzlich auch auf das Vorliegen einer STI getestet und bei einem positiven Ergebnis behandelt werden, um einen Ping-Pong-Effekt zu vermeiden“, sagt RKI-Experte Jansen. Allerdings gebe es in Deutschland keine Pflicht zur Partnernotifikation. Mithilfe der gewährleisteten Anonymität wolle man sicherstellen, dass das bestehende Testangebot von den Frauen überhaupt angenommen werde. Allerdings, so Jansen, bemühe man sich auch hierzulande derzeit verstärkt um Strategien, mit deren Hilfe Frauen ein positives Testergebnis in anonymisierter Form ihren Sexualpartnern mitteilen könnten.
Bei nicht schwangeren Frauen gilt Doxycyclin als das Mittel der Wahl
Bei nachgewiesener Infektion ist die Behandlung keine große Sache. Laut der zuletzt im August 2016 aktualisierten S2-Leitlinie gilt als Therapie der ersten Wahl bei asymptomatischen Frauen und Männern die einwöchige orale Gabe von 2x täglich 100 mg Doxycyclin und als Therapie der zweiten Wahl, sofern keine Co-Infektion mit Bakterien der Art Mycoplasma genitalium vorliegt, die einmalige orale Gabe von 1,5 g Azithromycin.
Die Wirksamkeit von Gyrasehemmern der 3. und 4. Generation, z.B. Levofloxacin und Moxifloxacin, sei allerdings ebenfalls bewiesen, berichtet Mylonas: „Der Einsatz dieser Medikamente wird vor allem bei der Behandlung einer Adnexitis in den Leitlinien des mitteleuropäischen Raums, unter anderem Frankreichs, favorisiert.“
Deutsche Therapie-Empfehlungen für Schwangere ungeeignet?
Etwas schwieriger gestaltet sich offenbar die Behandlung schwangerer Frauen. Bei ihnen präferiert die Leitlinie eine einmalige Azithromycin-Gabe. „Aus Sicht der AGII ist diese Empfehlung allerdings für Deutschland nicht passend“, sagt Mylonas. Es gebe mittlerweile eindeutige Hinweise darauf, dass das Antibiotikum das Risiko von Spontanaborten erhöhe. „Auch gehen die entsprechenden europäischen Zulassungsdaten von einer strengen Indikationsstellung nach Risiko-Nutzen-Analyse aus“, sagt der DGGG-Experte. Die Empfehlungen der deutschen Leitlinie basierten auf den entsprechenden amerikanischen CDC-Empfehlungen und seien für Deutschland so nicht anwendbar.
Mylonas empfiehlt, Schwangeren als Mittel der ersten Wahl, wie bereits seit fast 20 Jahren in Deutschland empfohlen, weiterhin Erythromycin zu verabreichen. Der Wirkstoff habe ein sehr gutes Sicherheitsprofil und sei seit etlichen Jahrzehnten bei der indizierten antibiotischen Behandlung während der Schwangerschaft erprobt. „Erythromycin-Base und Erythromycinestolat sollten aufgrund ihrer Hepatotoxizität allerdings nicht im 2. und 3. Trimenon gegeben werden“, schränkt Mylonas ein. Erythromycinethylsuccinat sei, auch wegen der besseren Compliance, zu bevorzugen.
Resistenzen noch selten
Anders als beispielsweise Gonokokken, die zunehmend schwierig zu behandeln sind, haben Chlamydien bislang offenbar keine nennenswerten Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt – weswegen die WHO-Experten auf die Therapie von Chlamydien-Infektionen auch nur am Rande eingehen und dabei die Gabe von Doxycyclin ebenfalls der von Azithromycin vorziehen.
„Zwar gibt es auch bei Chlamydien erste Hinweise auf Therapieversagen“, sagt der RKI-Experte Jansen. Allerdings könne nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob es sich bei den beobachteten Fällen nicht vielmehr um Reinfektionen handele. Die Studienlage hierzu sei noch recht dürftig.
Behandelte Frauen und Männer sollten nach 8 Wochen erneut getestet werden
In jedem Fall, so empfehlen es die Leitlinien, sollten behandelte Frauen und Männer 8 Wochen nach der antibiotischen Therapie erneut auf Chlamydien getestet werden, um zu überprüfen, ob die Behandlung erfolgreich war. „In der Praxis wird dies allerdings leider viel zu selten gemacht“, kritisiert Jansen. Wenn keine Symptome mehr da seien, werde ein erneuter Test oft vergessen. Hier seien die Ärzte in der Pflicht, ihre Patienten zu der Kontrolluntersuchung deutlicher aufzufordern.
Die WHO-Experten um Unemo sehen das ähnlich. In ihrer Zusammenfassung der Chlamydien-Thematik betonen auch sie die Wichtigkeit solcher Tests, auch um Reinfektionen frühzeitig zu erkennen und auf diese Weise das Risiko von Chlamydien-bedingten Komplikationen zu reduzieren.
REFERENZEN:
1. Unemo M, et al: Lancet Infect Dis (online) 9. Juli 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Chlamydia trachomatis: Verbreitet, aber oft nicht im Griff – Experten kritisieren Empfehlungen der deutschen Leitlinie - Medscape - 15. Aug 2017.
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