Eine Behandlung mit dem eigentlich bei Typ-2-Diabetes eingesetzten GLP-1-Rezeptor-Agonisten Exenatid führte bei Patienten mit der Parkinson-Krankheit zu Verbesserungen der motorischen Funktion. Liefert eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie britischer Autoren damit möglicherweise sogar Hinweise auf eine neuroprotektive Wirkung der Substanz [1]?
Dieselbe Forschungsgruppe hatte zuvor bereits in einer offenen Pilotstudie gezeigt, dass Exenatid bei Patienten mit moderat aktiver Parkinson-Krankheit motorische und kognitive Funktionen verbessern kann – und dies anhaltend bis zu 12 Monate nach Absetzen des GLP-1-Rezeptor-Agonisten.
„Mittlerweile wissen wir, dass die Parkinson-Erkrankung multisystemisch ist. Die dopaminerge Stimulation ist zwar weiterhin die wichtigste therapeutische Säule, genügt aber deshalb nicht für zukünftige innovative Ansätze“, meint Prof. Dr. Wolfgang Jost, Chefarzt der Parkinson-Klinik Ortenau, Wolfach. „Es müssen neue Wege gefunden werden, die wir uns möglicherweise heute noch nicht vorstellen können. Somit ist diese Studie sehr interessant.“
Erstautor Dr. Dilan Athauda vom Institute of Neurology am University College London und seine Kollegen fanden im primären Studienendpunkt nach 60 Wochen einen signifikanten Unterschied zwischen Exenatid und Placebo. Bei den Patienten, die mit Exenatid behandelt worden waren, hatte sich der Score auf der motorischen Subskala der Movement Disorders Society Unified Parkinson`s Disease Rating Scale (MDS-UPDRS) im Vergleich zu den Placebo-Patienten um durchschnittlich 3,5 Punkte reduziert.
„Es gibt somit starke Evidenz, dass ein GLP-1-Rezeptor-Agonist künftig eine Rolle in der Behandlung der Parkinson-Krankheit spielen könnte“, schließen sie daraus.
Josts Beurteilung der Studienergebnisse fällt weniger positiv aus: „Die Studie definiert falsche Endpunkte, da die UPDRS viel zu grob ist und nur die Symptome des fortgeschrittenen Stadiums erfasst“, erklärt er im Gespräch mit Medscape. „Vielleicht handelt es sich um eine symptomatische Wirkung“, räumt er ein, aber auch das bleibe Spekulation. Bedauerlicherweise würden oft viel zu schnell klinische Hypothesen gebildet und Schlüsse gezogen.
„Seit Jahrzehnten suchen wir eine neuroprotektive Therapie. Aber alle bisherigen Ansätze setzen viel zu spät an, nämlich erst nach Auftreten der motorischen Symptome“, berichtet Jost. „Zu diesem Zeitpunkt dürfte die Erkrankung schon Jahre bestehen und viele neuronale Zentren betreffen. Selbst die Substantia nigra ist in dieser Krankheitsphase schon erheblich beeinträchtigt, da mindestens 60 % der dopaminergen Neuronen betroffen sind. Wie sollte Exenatid hier noch eine neuroprotektive Wirkung entfalten können?“
Zielgruppe: Patienten mit nachlassender Dopamin-Wirkung
Insgesamt wurden in die Studie 62 Patienten mit idiopathischem Morbus Parkinson einbezogen, deren Dopamin-Behandlung nachlassende Wirkung zeigte. Sie waren zwischen 25 und 75 Jahre alt, wurden im Schnitt seit 6,4 Jahre behandelt und befanden sich im Hoehn/Yahr-Stadium von höchstens 2,5, meist zwischen 1 und 2 (leichte Symptome, minimale Behinderung).
Die Patienten erhielten über 48 Wochen randomisiert 1-mal pro Woche subkutan entweder 2 mg Exenatid oder Placebo zusätzlich zu ihrer bestehenden Parkinson-Therapie. Der UPDRS-Score wurde 12 Wochen nach Ende der Studienmedikation ermittelt.
Im Vergleich hatten sich Patienten in der Exenatid-Gruppe 60 Wochen nach Beginn der Injektionen auf der MDS-UPDRS um 1 Punkt verbessert, während es unter Placebo zu einer Verschlechterung um 2,1 Punkte gekommen war. Nach statistischer Adjustierung ergab sich daraus ein durchschnittlicher signifikanter Unterschied von 3,5 Punkten zugunsten der Exenatid-Gruppe.
Subkutane Anwendung ohne Komplikationen
Die Patienten injizierten die Studienmedikamente nach einer ersten Anleitung selbst. Sie kamen aber alle 12 Wochen in das Studienzentrum, wo MDS-UPDRS-Tests und Blut- sowie Liquor-Untersuchungen zur pharmakokinetischen Verlaufskontrolle durchgeführt wurden. Alle Untersuchungen wurden morgens zur selben Uhrzeit durchgeführt, um die Fluktuation der Symptomatik zu berücksichtigen. Dabei zeigte sich eindeutig, dass Exenatid in einer für die Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassenen Dosis die Blut-Hirn-Schranke überwunden hatte.
Die Exenatid-Injektionen wurden abgesehen von einigen gastrointestinalen und injektionsseitigen Symptomen gut vertragen und beeinflussten die Compliance nicht; lediglich 1 Patient pro Studienarm beendete das Studienprotokoll nicht wie vorgesehen. Gewichtsverluste traten während der Behandlungszeit in beiden Armen auf, waren aber innerhalb von 12 Wochen nach dem Absetzen reversibel.
Sekundäre Endpunkte blieben hinter den Erwartungen zurück
Im Gegensatz zum primären Endpunkt konnte für die meisten sekundären Endpunkte keine Überlegenheit von Exenatid gegenüber Placebo gezeigt werden. Dies galt für die übrigen Teile der MDS-UPDRS, für motorische Tests (Gangstrecke in 10 Minuten, Tastaturanschläge in 30 Sekunden) sowie für die Anwendung einer Demenz-Skala.
Lediglich bei der computertomographischen quantitativen Analyse der präsynaptischen Dopamintransporter-Bindung im Striatum zeigten sich in der Exenatid-Gruppe signifikant geringere Rückgänge im rechten Caudatum sowie im rechten und linken Putamen. Der Wirkstoff schien somit in einigen Hirnarealen eine Verzögerung des Dopamintransporter-Abbaus bewirkt zu haben. Die Messung des Dopamintransporter-Abbau ist ein typischer Test zum diagnostischen Nachweis der Parkinson-Krankheit.
Position von Exenatid in der Parkinson-Therapie bleibt offen
„Exenatid hat positive Effekte auf die motorische Funktion bei Patienten mit der Parkinson-Krankheit“, schlussfolgern Athauda und seine Kollegen. „Ob der Wirkstoff die zugrundeliegende Pathophysiologie beeinflusst oder schlicht zu lang andauernden symptomatischen Effekten führt, ist unklar.“
Josts Fazit lautet: „Für eine generelle Aussage ist die untersuchte Population zu klein. Der dokumentierte Effekt von Exenatid kann unspezifisch sein, die Motorik könnte sich auch durch geringere Schmerzempfindung oder eine positivere psychische Stimmung verbessert haben“, betont er im Gespräch mit Medscape.
In einem Editorial bewerten Prof. Werner Poewe und Prof. Klaus Seppi, beide von der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, die Ergebnisse als interessant: „Die Studie von Athauda und seinen Kollegen könnte einen möglichen neuen Weg in der Behandlung der Parkinson-Krankheit aufzeigen [2].“ Wie die Studienautoren selbst stellen sie allerdings auch fest, dass die Frage, ob Exenatid nur symptomatisch oder auch neuroprotektiv wirkt, durch die bisherigen Ergebnisse nicht beantwortet werden kann.
Um einen tatsächlichen Vorteil von Exenatid für das tägliche Leben von Parkinson-Patienten mit nachlassender Dopamin-Wirksamkeit zu zeigen, schlagen die Studienautoren eine Langzeitstudie an einer größeren Patientenpopulation vor, aber auch einen Vergleich von Exenatid mit anderen GLP-1-Rezeptor-Agonisten.
REFERENZEN:
1. Athauda D, et al: The Lancet (online) 3. August 2017
2. Poewe W, et al: The Lancet (online) 3. August 2017
MEHR
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Antidiabetikum gegen Parkinson: GLP-1-Rezeptor-Agonist Exenatid bessert Motorik – neuer Ansatz für die Parkinson-Therapie? - Medscape - 14. Aug 2017.
Kommentar