Die Therapie bei Krebserkrankungen ist zwar erfolgreicher geworden – aber nach wie vor oft mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden. Übelkeit und Erbrechen sind dabei bei weitem nicht die einzigen Komplikationen, mit denen die Patienten zu kämpfen haben. Die neue S3-Leitlinie „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen“ gibt Empfehlungen, wie Ärzte ihren Patienten Chemo- oder Strahlentherapie erträglicher machen können.
Allerdings: Die Evidenz, auf der die neue Leitlinie beruht, könnte besser sein: Die verfügbaren Studien sind heterogen und von unterschiedlicher Qualität, betonen die Autoren. Sie schreiben: „Es besteht Forschungsbedarf dazu, wie Nebenwirkungen gemindert und vorgebeugt werden können.“ Denn noch gebe es zu wenige Studien zu supportiven Maßnahmen, wie auch Prof. Dr. Karin Jordan, leitende Oberärztin der Abteilung Innere Medizin V – Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg, bestätigt.
„Die Forschung konzentriert sich stark auf Medikamente, die gegen den Tumor selbst gerichtet sind“, fügt die Koordinatorin der S3-Leitlinie hinzu. Das sei zwar notwendig, aber: „Für unsere Patienten sind die Nebenwirkungen einer Krebstherapie ein großes Problem, wir Ärzte verlieren das manchmal ein wenig aus den Augen und konzentrieren uns zu sehr darauf, dass das gegen den Tumor eingesetzte Medikament wirkt“, sagt Jordan. Ein wichtiges Ziel der neuen S3-Leitlinie ist deshalb, die Bedürfnisse der Patienten stärker in den Fokus zu rücken.
Nebenwirkungen der Chemotherapie: ESA gegen Anämie
Viele Patienten – laut Jordan etwa 60% – leiden an einer durch die Chemotherapie induzierten Anämie. In diesen Fällen kann laut Leitlinie die Gabe von Erythropoese-stimulierenden Substanzen (ESA) erwogen werden. Das steigere die Lebensqualität und könne die Transfusionsfrequenz verringern. Allerdings kann die Gabe auch zu thromboembolischen Komplikationen führen und Bluthochdruck verursachen.
Übelkeit und Erbrechen gezielt vorbeugen
Verursacht die Tumortherapie Übelkeit und Erbrechen, empfiehlt die neue S3-Leitlinie folgendes Vorgehen: Bei hoch emetogenen Chemotherapien (Emesisrisiko > 90%) sollte eine Prophylaxe mit einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten, einem Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten und Dexamethason erfolgen. Bei moderat emetogener Chemotherapie (Emesisrisiko von 30 bis 90%) wird eine Prophylaxe mit einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Dexamethason empfohlen.
Schmerzlinderung mit Duloxetin und sensomotorischem Training
Zur Behandlung einer Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie (CIPN) existiert dagegen keine wirksame medikamentöse Prophylaxe. Allerdings lässt sich mit Duloxetin eine Schmerzlinderung erreichen – es wird deshalb zur Therapie des neuropathischen Schmerzes empfohlen.
Als wirksam in der Behandlung der CIPN hat sich außerdem sensomotorisches Training erwiesen. Es setzt sich aus Koordinations- und Gleichgewichtsübungen zusammen und zielt auf eine Verbesserung des Zusammenspiels zwischen Nervensystem und Muskulatur. Ein sensomotorisches Training kann schon begleitend zur Chemotherapie eingesetzt werden.
Polyneuropathien seien häufig, bestätigt Jordan: „Unter Taxanen treten zum Beispiel bei 70 bis 80 Prozent der Patienten Chemotherapie-induzierte Polyneuropathien auf.“ Insgesamt gehöre die CIPN zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Krebstherapie. Sensomotorisches Training sei bislang eher selten eingesetzt worden.
Febrile Neutropenie: Wann ist eine Prophylaxe mit G-CSF empfehlenswert?
Zur Vorbeugung febriler Neutropenien sind Granulozyten-Kolonie-Stimulierende Faktoren (G-CSF) zugelassen. Doch ab wann begründet das Risiko, eine febrile Neutropenie zu entwickeln, den Einsatz von G-CSF?
Den Leitlinien-Autoren zufolge lässt sich dies nicht an einem einzigen spezifischen Risikofaktor festmachen. Faktoren, die – insbesondere in Kombination – eine febrile Neutropenie begünstigen, seien ein Alter über 65 Jahren, ein niedriger Performancestatus, Komorbiditäten, eine weit fortgeschrittene Tumorerkrankung, eine bereits stattgehabte Chemotherapie und bestimmte Laborparameter. Eine prophylaktische G-CSF-Gabe sollte der Leitlinie nach ab einem 20-prozentigen Risiko für febrile Neutropenie erfolgen.
Vermeidung von ossären Komplikationen und Mukositis
Bei Brustkrebs-Patientinnen mit Knochenmetastasen lassen sich ossäre Komplikationen verringern oder vermeiden. Die Leitlinie empfiehlt hierfür, nach 1-jähriger Therapie mit Zoledronat im 4-wöchigen Intervall auf eine 12-wöchige Gabe umzustellen.
Zur Behandlung einer durch die Tumortherapie induzierten Mukositis empfehlen die Leitlinien-Autoren Benzydamin und Zink. Von Sucralfat oder Glutamin – das immer wieder eingesetzt wird – raten sie ab. Die wichtigste Maßnahme zur Prävention bleibt also die Mundpflege mit regelmäßigen Mundspülungen und regelmäßige Zahnarztbesuche.
Prophylaxe von Hauttoxizität
Auch zur Vermeidung toxischer Effekte der Tumortherapie auf die Haut gibt die neue S3-Leitlinie Empfehlungen. Zur Prophylaxe des akneiformen Exanthems unter Epidermal Growth Factor Receptor (EGFR)-Inhibitor-Therapie sollten demnach mechanische und chemische Noxen (z.B. Glukokortikoide, Medikamente mit Jodverbindungen, Lithium) vermieden, die Haut vor Sonne geschützt und mindestens 2-mal täglich mit 5- bis 10-prozentiger Harnstoff-Creme behandelt werden. Zusätzlich empfehle sich die Einnahme oraler Tetracycline.
Auch bei der Prophylaxe des Hand-Fuß-Syndroms (HFS) steht das Vermeiden mechanischer Belastung und die Pflege mit harnstoffhaltigen Cremes an 1. Stelle.
Therapieassoziierte Osteoporose häufiger als angenommen
Die Autoren der neuen S3-Leitlinie betonen, dass Ärzte künftig stärker auf eine mögliche therapieassoziierte Osteoporose bei Tumorpatienten achten sollten. Neue Daten weisen nämlich auf ein höheres Risiko für Osteoporose hin, als bisher angenommen wurde. Deshalb soll bei Patienten mit einer östrogen- und androgensuppressiven Therapie schon ab einer Knochendichte unter −1,5 (DXA-Messung) eine antiresorptive Therapie eingeleitet werden.
Zur Vorbeugung einer Osteoporose sollte bei Tumorpatienten bei Einleitung einer antihormonellen Maßnahme, bei therapieinduzierter früher Menopause oder bei längerfristiger Steroidtherapie eine Osteoporose-Basisdiagnostik durchgeführt werden.
Paravasation vermeiden
Die Entstehung von Paravasaten bei der Infusion von Chemotherapeutika seien teilweise schwerwiegende, aber häufig vermeidbare iatrogene Komplikationen, heißt es in der Leitlinie. Zur Vermeidung von Paravasaten empfiehlt sie die Punktion eines geeigneten Gefäßes (gelenkfern, keine Mehrfachpunktion), die Lagekontrolle durch Aspiration und Spülung, eine sichere und sichtbare Fixierung des Gefäßzuganges und die Aufklärung des Patienten über Symptome eines Paravasats.
Kommt es dennoch zur Paravasation, sollte bei einem Anthrazyklin-Paravasat mit Dexrazoxan behandelt werden. Bei Amsacrin-, Cisplatin-, Dactinomycin- und Mitomycin-C-Paravasaten soll die Paravasatstelle dagegen mit 99-prozentigem Dimethylsulfoxid (DMSO) betupft werden.
Diarrhoe: Keine wirksame Prophylaxe, aber symptomatische Therapiemöglichkeiten
Eine wirksame medizinische Prophylaxe für Chemotherapie-induzierte Diarrhoe fanden die Leitlinien-Autoren nicht. Von Behandlungsversuchen mit Heilerde, Cyclosporin A, Glutamin, Neomycin und Octreotid raten sie explizit ab.
Bei unkomplizierten Diarrhoen soll eine symptomatische Behandlung mit Loperamid erfolgen, die durch die Kombination mit Octreotid intensiviert wird (Off-Label-Use). Bei refraktärer Diarrhoe kann zusätzlich zum Elektrolyt- und Flüssigkeitsausgleich eine Eskalation der Therapie mit Tinctura Opii, Codein*, Budenosid*, Racecadotril oder oralen Aminoglykosiden* erwogen werden (*Off-Label-Use).
Unterstützende Maßnahmen in der Radio-Onkologie
Die Bestrahlung des Oberbauches, des Beckens oder des Rektums kann Enteropathie-, Enteritis- oder Proktitis-bedingte Diarrhöen verursachen. Für die Prophylaxe der radiogenen Diarrhoe gibt es eine schwache Empfehlung für den Einsatz von Sulfalazin. Amifostin kann bei einer akuten radiogenen Enteritis die Inzidenz und die Intensität von Durchfällen vermindern, wenn es vor jeder Fraktion appliziert wird. Auch das Risiko einer akuten radiogenen Proktitis reduziert sich durch die Gabe von Amifostin.
Von der rektalen Anwendung von Mesalazin, Osalazin und Misoprostol raten die Leitlinien-Autoren ab, da der Verdacht besteht, dies könnte die Rate an Komplikationen erhöhen. Therapeutisch wird ebenso wie bei der Diarrhoe nach Chemotherapie Loperamid empfohlen; bei Therapieversagen kann mit Tinctura opii behandelt werden.
Radiogene Xerostomie: Vermeidbar und behandelbar
Eine weitere Nebenwirkung der Strahlentherapie ist die radiogene Xerostomie. Sie schränkt den Geschmack sowie die Sprech- und Schluckfähigkeit ein und kann zu Mangelernährung und Zahnschäden führen. Zur medikamentösen Prophylaxe kann laut Leitlinie Amifostin eingesetzt werden, Pilocarpin steht zur Therapie der Xerostomie zur Verfügung.
Um durch die Strahlentherapie induzierte Übelkeit und Erbrechen zu verhindern, sollen bei einer Ganzkörperbestrahlung 5-HT3-Rezeptorantagonisten sowie Dexamethason gegeben werden. Werden oberes Abdomen, Brust- und/oder Lendenwirbelsäule bestrahlt, kann ein 5-HT3-Rezeptorantagonist gegeben und die zusätzliche Dexamathasongabe erwogen werden
Die S3-Leitlinie entstand unter der Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft (Arbeitsgemeinschaft Supportive Maßnahmen in der Onkologie, Rehabilitation und Sozialmedizin, ASORS), der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) sowie der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) und wurde innerhalb des Leitlinienprogramms Onkologie durch die Deutsche Krebshilfe (DKH) gefördert.
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Diesen Artikel so zitieren: Nebenwirkungen der Krebstherapie gezielt lindern – Neue S3-Leitlinie empfiehlt die besten Strategien - Medscape - 10. Aug 2017.
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