London – Ein simpler, 1-minütiger Sprachtest könnte als unkompliziertes und effektives Screeninginstrument dienen, um Patienten mit frühen Anzeichen einer leichten kognitiven Störung (mild cognitive impairment, MCI) zu identifizieren. Dies legen Daten einer aktuellen Studie nahe, die bei der Alzheimer's Association International Conference (AAIC) 2017 in London präsentiert wurden [1]. Die Studie zeigt, dass allmählich auftretende, subtile Veränderungen des zusammenhängenden Sprechens – insbesondere Verschlechterungen des Redeflusses und Sprechinhaltes – mit einer sehr frühen kognitiven Beeinträchtigung verbunden sind.
„Wortfindungsstörungen im Gespräch sind oft die ersten Zeichen kognitiver Störungen”, berichtet Erstautorin Dr. Kimberly Mueller von der University of Wisconsin School of Medicine and Public Health, Madison, USA, im Gespräch mit Medscape. „Unsere Studie ist die bislang größte prospektive Längsschnittuntersuchung spontaner Sprachproben und kognitiver Beeinträchtigung.”
„Womöglich ist das zusammenhängende Sprechen eine auf der kognitiven Leistungsfähigkeit basierende Alltagsaktivität, die sich gut als Screeningtest auf MCI in der Praxis eignen würde, da sie weder den Arzt noch den Patienten zu sehr belastet”, sagt Mueller. „Wenn wir diese Personen erst einmal ausfindig gemacht haben, können wir vielleicht kognitive Therapien entwickeln, die ihnen helfen, länger zurechtzukommen.”
Einfacher Test auch für die Hausarztpraxis
Auf Nachfrage von Medscape sagte Prof. Dr. David Knopman, Professor für Neurologie an der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, USA, und Vorsitzender des Medical and Scientific Advisory Council (MSAC) der Alzheimer's Association: „Wir wissen, dass sprachliche Veränderungen – wie etwa der Verlust der Fähigkeit, ein benötigtes Wort zu bilden – eine der frühesten Manifestationen kognitiver Beeinträchtigung sind. Und eine verminderte Leistung beim ‚Letter Naming Fluency Test’, bei dem die Patienten so viele Wörter wie möglich mit einem bestimmten Buchstaben bilden sollen, ist ein Prädiktor für eine künftige Demenz.”
Weiter erklärt Knopman: „Die Forscher haben für die aktuelle Studie Sprachproben von jeweils nur einer Minute untersucht, und sie fanden heraus, dass diese kurzen Aufzeichnungen bereits einen prädiktiven Wert hatten hinsichtlich der Frage, welche der Probanden eine frühe MCI entwickeln würden.”
Er fügte hinzu: „Die Idee ist, diese Sprachproben als einfaches Screeninginstrument in der Primärversorgung anzuwenden. Wir wissen, dass Hausärzte die kognitiven Störungen ihrer Patienten zu selten erkennen und diagnostizieren. Das liegt auch daran, dass die herkömmlichen Tests zehn Minuten dauern.” In der aktuellen Studie wurden aber nur 1-minütige Sprachaufzeichnungen verwendet, die automatisch analysiert wurden. „Das ist sehr effizient“, so Knopman. „Diese Idee lässt sich weiterentwickeln.”
Auswertung des Wisconsin Registry for Alzheimer's Prevention (WRAP)
Mueller und ihre Kollegen analysierten für ihre Studie jeweils 2 Sprachproben von insgesamt 264 Probanden, die im Wisconsin Registry for Alzheimer's Prevention (WRAP) erfasst sind. In diesem Register werden Personen registriert, die Mitte 50 und noch kognitiv gesund sind, aber einen an Alzheimer erkrankten Elternteil haben. Zwischen der 1. und 2. Sprachaufzeichnung lagen jeweils 2 Jahre.
Kognitive Tests über 8 bis 10 Jahre kamen zu dem Schluss, dass 64 der Teilnehmer eine sehr frühe MCI aufwiesen.
Sprache messbar gemacht
Für die Aufzeichnung der 1-minütigen Sprachproben wurden die Teilnehmer gebeten, ein einfaches Bild zu beschreiben. Anschließend beurteilten die Forscher 4 Parameter, mit denen sich das zusammenhängende Sprechen bewerten lässt:
die lexikalische Qualität (Wortschatz, Diversität, relevante Gedanken)
die semantische Qualität (Verwendung von Substantiven, Substantiv-Pronomen-Relation)
den Satzbau (grammatikalische Komplexität)
den Redefluss (Pausen und Wiederholungen)
Die Studienergebnisse zeigen, dass sich die Teilnehmer, bei denen eine frühe MCI festgestellt worden war, hinsichtlich Redeflüssigkeit und Inhalt signifikant rascher verschlechterten. Und umgekehrt: Eine steilere Abnahme der Redeflüssigkeit war ein Prädiktor für eine MCI-Diagnose beim vorherigen Untersuchungstermin.
Kürzere Sätze, weniger Wörter, mehr Unterbrechungen
Mueller beschreibt die Testergebnisse genauer: Demnach verwendeten Teilnehmer mit früher kognitiver Beeinträchtigung kürzere Sätze und äußerten pro Minute weniger Worte und Ideen. Ihre Beschreibungen waren inhaltlich weniger spezifisch und sie nutzten einen höheren Anteil von Pronomen (im Verhältnis zu Substantiven). Ihr Wortfluss wies mehr Unterbrechungen auf, sie zögerten öfter, wiederholten Wörter und füllten ihre Redepausen mit „hm” und „äh”.
„Wir wissen nicht, ob die Personen mit früher MCI tatsächlich an einer Alzheimer-Demenz erkranken werden; wir werden sie also weiter beobachten”, sagt Mueller. „Unser nächster Schritt wird sein, diese Analysen mit Teilnehmern zu wiederholen, bei denen noch weitere Anzeichen [für eine kognitive Beeinträchtigung bzw. beginnende Alzheimer-Demenz] vorhanden sind, etwa im PET nachgewiesene Amyloidplaques und Neurofibrillenbündel.”
Sprachprobe identifiziert kognitive Beeinträchtigung extrem früh
Die Sprachanalyse könnte ein wertvoller kognitiver Marker sein, die vorhandene klinische Tests der kognitiven Funktion künftig ergänzen könnte, fügt Mueller hinzu und betont, dass Unterbrechungen im Redefluss „selbstverständlich normal sind im Laufe des Lebens und an sich kein Grund zur Sorge“. Wenn hier aber Veränderungen auffallen, sollte man sie im Auge behalten.
„Wir haben in unserer Kohorte eine Gruppe identifiziert, die früheste Zeichen einer kognitiven Beeinträchtigung zeigt. Sie waren in einem noch früheren Stadium als das, was wir bisher als MCI bezeichnet haben”, so Mueller. Die Menschen in dieser Kohorte waren hoch gebildet, mit einer im Durchschnitt 16 Jahre dauernden Schul- und Studienzeit; ihre kognitiven Leistungen waren grundsätzlich im normalen Bereich. „Aber über den Zeitverlauf konnten wir eine Abnahme dieser Leistungen feststellen und eine sehr frühe MCI diagnostizieren – verglichen mit dem individuellen Normalwert der Teilnehmer.”
Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Alzheimer's Association International Conference (AAIC) 2017, 16. bis 20. Juli 2017, London/Großbritannien
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Demenzdiagnose mittels 1-Minuten-Sprachtest beim Hausarzt? Kurze Sprachprobe zeigt sehr frühe kognitive Störungen - Medscape - 2. Aug 2017.
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