Vaterfreuden Fehlanzeige: Fruchtbarkeit von Männern in Industrieländern sinkt besorgniserregend

Marcia Frellick

Interessenkonflikte

1. August 2017

Die Spermienkonzentration bei Männern in Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland hat sich zwischen 1973 und 2011 um mehr als die Hälfte verringert. Dies besagt ein systematischer Review mit Metaanalyse [1].

„Wegen der signifikanten Auswirkungen dieser Ergebnisse auf die öffentliche Gesundheit ist es nun dringend notwendig, die Ursachen dieser Verringerung zu erforschen“, schreiben die Autoren um Dr. Hagai Levine von der Braun School of Public Health and Community Medicine am Hadassah-Krankenhaus der Hebräischen Universität Jerusalem, Israel. Denn der Abfall von Spermienkonzentration und -zahl gipfele in der Tatsache, dass immer mehr Männer in den westlichen Ländern als subfertil oder gar infertil klassifiziert werden müssten.

Absinken der Spermienzahl bis zur Unfruchtbarkeit

Insgesamt gingen 185 Studien mit 42.935 männlichen Teilnehmern aus 50 Ländern aller Kontinente in die Analyse ein. Alle Probanden hatten im Rahmen der Studie irgendwann in den Jahren 1973 bis 2011 Spermaproben abgegeben. Für die Auswertung wurden „unselektierte“ Studien (Studien mit Männern, die hinsichtlich ihrer Fertilität nicht bewertet worden waren) unterschieden von Studien mit ausdrücklich als „fruchtbar“ bezeichneten Männern.

Das Resultat ist Besorgnis erregend: In den unselektierten Studien in westlichen Ländern zeigte sich ein Abfall der mittleren Spermienkonzentration um 1,4% pro Jahr. In der 38-jährigen Beobachtungszeit summierte sich dies zu einem Absinken um 52,4%. Auch bei der Gesamtspermienzahl war der Trend ähnlich: Sie sank sogar um 1,6% pro Jahr und insgesamt um 59,3% im Beobachtungszeitraum.

Im Gegensatz dazu fanden sich keine signifikanten Trends bei unselektierten Männern in Südamerika, Asien und Afrika, die als Vergleichsgruppe gewählt wurden.

„Der hohe Anteil an Männern aus westlichen Ländern, die nur noch Spermienkonzentrationen unter 40 Mio/ml aufweisen, ist besonders Besorgnis erregend, wenn man bedenkt, dass dies die Grenze ist, ab der die Fertilität sinkt“, schreiben die Forscher.

 
Wegen der signifikanten Auswirkungen dieser Ergebnisse auf die öffentliche Gesundheit ist es nun dringend notwendig, die Ursachen dieser Verringerung zu erforschen. Dr. Hagai Levine
 

Wie man es dreht und wendet: Die Zahlen bleiben erschreckend

Der steile Abfall der Werte für Spermakonzentration und -zahl hatte auch dann noch Bestand, wenn man die Zahlen im Hinblick auf Faktoren wie das Lebensalter der Männer, die Häufigkeit der Ejakulationen („Abstinenzzeit“), die Methoden der Spermiengewinnung und -zählung sowie die Ein- und Ausschlusskriterien für die Probandenpopulation adjustierte. Verschiedenste Sensitivitätsanalysen änderten nichts am Ergebnis.

Frühere Studien reichen teilweise bis ins Jahr 1931 zurück. Sie waren oftmals kritisiert worden, weil es wahrscheinlich war, dass damals noch unzuverlässige Messmethoden angewendet wurden. In dieser Zeit hatte die durchschnittliche Spermienkonzentration jedenfalls bei 81 Mio/ml gelegen und die durchschnittliche Spermienzahl pro Ejakulat war damals 260 Millionen.

Die Forscher gingen auch der Frage nach, ob der ungünstige Trend sich wenigstens allmählich abschwächt – sie wurden aber enttäuscht: Wenn nur die Zahlen für Spermaproben aus den Jahren 1985 bis 2011 berücksichtigt wurden, sah es nicht besser aus als in der Gesamtanalyse. Und nahm man nur die Zahlen von 1996 bis 2011, war der Abfall sogar noch etwas steiler.

Zusammenhang mit Umwelt- und Lebensstilfaktoren?

Die Studienergebnisse hätten auch Auswirkungen jenseits der Frage nach der Fertilität, so die Autoren. Denn die jetzt veröffentlichten Zahlen zur Spermienkonzentration passen zu den aktuellen (ungünstigen) Trends hinsichtlich Hodenkrebs, Kryptorchismus (z.B. Hodenhochstand) sowie zur Entwicklung der Testosteronspiegel und zu Beobachtungen hinsichtlich des Einsetzens der männlichen Pubertät. Eine niedrige Spermienzahl wurde sogar schon mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko in Verbindung gebracht.

 
Der hohe Anteil an Männern aus westlichen Ländern, die nur noch Spermienkonzentrationen unter 40 Mio/ml aufweisen, ist besonders Besorgnis erregend ... Dr. Hagai Levine
 

Levine und Kollegen sehen ihre Beobachtungen deshalb als „einen Kanarienvogel im Bergwerk“, also als ein Warnzeichen. Denn obwohl die Studie nicht dafür designt war, nach Gründen für die abfallende Spermienzahl zu forschen, sei doch ein Zusammenhang mit Umwelt- und Lebensstilfaktoren wahrscheinlich, wie etwa die Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren (bestimmten Umwelthormonen) oder auch der Tabakkonsum der Mutter in Zeitkorridoren, die für die Entwicklung der männlichen Fruchtbarkeit bedeutsam sind. Auch die Exposition gegenüber Pestiziden könnte eine Rolle spielen, meinen die Studienautoren.

Zu den Limitationen der Studie zählt der Ausschluss nicht-englischsprachiger Publikationen: Er könnte dazu geführt haben, dass Studien aus den Nicht-Industrieländern nicht ausreichend berücksichtigt worden sind.


Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.



REFERENZEN:

1. Levine H, et al Human Reproduktion Update (online) 25. Juli 2017

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....