Es dauert mit der Neuorientierung beim Pflege-TÜV. Deshalb macht nun die Bertelsmann Stiftung Druck und hat ein eigenes Konzept vorgestellt, um die Qualität von Pflegeeinrichtungen zu bewerten [1]. Damit zieht die Stiftung an dem so genannten Qualitätsausschuss vorbei. Er versucht seit 2016, das bisherige System der Pflegenoten (Pflege-TÜV) zu verbessern, so hat es das Pflegestärkungsgesetz II bestimmt.
Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung ist dies aber ein aussichtsloses Unterfangen. „Denn das Notensystem des bisherigen Pflege-TÜV hat dazu geführt, dass die Pflegeeinrichtungen „im Schnitt eine 1,3 bekommen haben”, kritisiert Johannes Strotbek von der „Weißen Liste”, einer Einrichtung der Bertelsmann Stiftung, die bei der Suche nach Gesundheitseinrichtungen hilft. Mit der Einheitsnote falle die Unterscheidungskraft der Pflegenoten weg.
Mit der jüngsten Studie will die Bertelsmann Stiftung die Politik dazu bewegen, das Notensystem grundsätzlich zu überdenken und darauf zu dringen, treffendere Kriterien anzulegen.
Vor allem: Mehr Informationen gewünscht
Um zu erfahren, was die Bürger auf der Suche nach Pflegeheimen tatsächlich interessiert, hat die Stiftung über das Meinungsforschungsinstitut Emnid zunächst eine Umfrage gestartet und 1.000 Bürger über 18 Jahre anrufen lassen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten mehr Informationen über weit mehr Umstände der Pflege eines Heimes wünschen als einzig über die Qualität der medizinischen Pflege. Und: Das bisherige Notensystem, das seit 2009 gilt, hilft den Bürgern nicht weiter, wie die Antworten der Befragten zeigen.
So belegen die Zahlen, dass die Hälfte der Befragten fürchtet, im Bedarfsfall nicht das richtige Heim zu finden. Dabei ist der Anteil dieser Gruppe unter denen, die bereits ein Heim gesucht haben, doppelt so hoch wie unter Unerfahrenen – kein Kompliment für das Notensystem.
Erfahrene „Pflegeheim-Sucher” sehen auch starke oder besonders starke Qualitätsunterschiede zwischen den Pflegeheimen. Konkret befürchten 63% der Befragten, dass die Einrichtungen zu wenig Personal vorhalten. Unter denen, die schon einmal nach einem Pflegeheimplatz gesucht haben, liegt dieser Wert bei 73%.
„Dabei steht insbesondere für diese erfahrenen Pflegeheim-Suchenden die Personalsituation auf Platz 2 der wichtigsten Auswahlkriterien – gleich hinter der Qualität der Pflege”, teilt die Bertelsmann Stiftung mit. Deshalb wollen die Bürger mehr Informationen – das hat die Befragung ergeben: 88% wünschen mehr Informationen zum Personaleinsatz, 95% zur Pflegequalität und 92% zur Ausstattung der Heime.
6 Reformvorschläge für ein Bewertungssystem
Auf Basis der Befragungsergebnisse legt die Bertelsmann Stiftung 6 Reformvorschläge für ein Bewertungssystem vor, das Profil und Qualität der Pflegeheime transparenter darstellen soll. „Uns geht es nicht unbedingt darum, das beste Pflegeheim zu finden, sondern das passende”, sagt Strotbek. Hat der Pflegebedürftige vielleicht eine Behinderung? Ist er adipös? Ist er besonders religiös? Wünscht er eine Gemeinschaftsküche? Um das passende Heim für jeden Pflegebedürftigen zu finden, sollen künftig diese 6 Forderungen erfüllt sein:
Sämtliche Informationen sollen online verfügbar sein.
Die Anbieter soll laufend über die Lebensqualität Auskunft geben. „Lebensqualität ist aber kein Messwert, sondern soll zeigen, ob ein Heim den persönlichen Bedarf des Pflegebedürftigen decken kann”, sagt Strotbek.
Kassen und Anbieter sollen offen legen, wie viele Patienten eine Pflegekraft betreut und wie das Personal qualifiziert ist – „eine unserer Kernforderungen”, so Strotbek.
Schlechte Pflegequalität soll etwa durch ein Warndreieck symbolisiert werden, gute Qualität dagegen mit einem grünen Daumen. Damit wäre die Benotung alten Stils abgelöst.
Pflegebedürftige, Angehörige oder Mitarbeiter sollen Erfahrungen aus dem Heimalltag online mitteilen.
Die gewonnenen Daten sollen der Forschung zur Verfügung stehen.
„Was uns antreibt, ist der Umstand, dass der Qualitätsausschuss nicht am Verbraucher interessiert ist”, begründet Strotbek das Engagement der Bertelsmann Stiftung. Er befürchtet, dass der Ausschuss von der Politik nicht genügend kontrolliert wird und am Schluss eine Lösung vorlegen wird, bei der sich alle auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt haben und die der jetzigen Lösung zu sehr ähnelt. „Denn wenn alle bewerteten Einrichtungen eine 1 bekommen, können sie alle auch gut damit leben”, so Strotbek. Deshalb die Stiftungsinitiative.
An den Verbraucherwünschen orientieren
Der Bundesverband privater Pflegeanbieter (bpa), einer der Mitglieder im Qualitätsausschuss, sieht den Ausschuss dagegen auf einem guten Weg. bpa-Geschäftsführer Bernd Tews erklärte: „Die Wünsche der Pflegebedürftigen und Angehörigen sind der Maßstab der Kundenorientierung privater Pflegeeinrichtungen.”
Man müsse dem Qualitätsausschuss und den beratenden Wissenschaftlern Zeit geben für eine Lösung. „Der Ball liegt jetzt im Lager der Wissenschaft”, sagt Olaf Bentlage, Sprecher des bpa zu Medscape. Zu den Kriterien der Bertelsmann Stiftung will sich Bentlage nicht äußern. „Ich würde sie nicht werten”, sagt er. Allerdings betitelte der bpa seine kurze Stellungnahme mit den Worten: „Im Sommerloch kommt der neue Pflege-TÜV.”
Unterstützung findet die Bertelsmann-Initiative bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz. „Es war ein Fehler, die gleichen Akteure mit der Weiterentwicklung des Pflege-TÜVs zu beauftragen, die schon beim alten System versagt haben”, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung zum Thema Qualitätsausschuss. „Denn Traumnoten am Fließband verschleiern Missstände und haben mit der Realität nichts zu tun. Bundesgesundheitsminister Gröhe ist aufgefordert, den wichtigen Pflege-TÜV nicht allein den Kassen und Pflegeanbietern zu überlassen.”
REFERENZEN:
1. Bertelsmann Stiftung: Reformkonzept Verbraucherorientierte Qualitätsberichterstattung in der Pflege, März 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Qualität von Pflegeheimen: Bertelsmann Stiftung schlägt neue Kriterien zur Beurteilung vor - Medscape - 28. Jul 2017.
Kommentar