Viel zu viel Zeit für Bürokratie und immer weniger Zeit für die Patienten – dieser Trend ärgert viele niedergelassene Ärzte. Die ärztliche Arbeitszeit ist nun auch Schwerpunkt im jetzt publizierten Jahresbericht 2015 des Zi-Praxis-Panels des Zentralinstituts (Zi) der Kassenärztlichen Vereinigung, an dem rund 4.360 Praxen beteiligt sind (Berichtszeitraum 2014) [1].
Mit durchschnittlich 57 Stunden pro Wochen arbeiten Kardiologen und Nuklearmediziner am längsten. Ein weiteres Ergebnis: Etwa ein Drittel seiner Arbeitszeit verbringt ein niedergelassener Arzt nicht mit unmittelbarem Patientenkontakt, wie das Zi mitteilt.
Entlastung von Bürokratie durch Digitalisierung
Im Schnitt arbeitet ein Niedergelassener 50 Stunden in der Woche. Davon verbringt er 4,1 Stunden für Praxismanagement und 2,5 Stunden für Fortbildungen. 43,1 Stunden wendet er für seine ärztliche Tätigkeit auf. Davon verbringt er rund 7,6 Stunden ohne Patienten, indem er dokumentiert, Arztbriefe verfasst und Fallkonferenzen besucht.
„Die Ärzte müssen viel zu viel Zeit mit bürokratischen Aufgaben verbringen“, konstatiert Vincent Jörres vom Hausärzteverband gegenüber Medscape. Schließlich fehle diese Zeit dann bei der Patientenversorgung.
Umso nötiger sei es, Zeitfresser zu bekämpfen, z.B. mit digitalen Mitteln. „Die Entwicklung ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir bei der Digitalisierung dringend vorankommen müssen. Diese kann, wenn sie vernünftig umgesetzt wird, dazu beitragen, die Ärzte von Bürokratie zu entlasten“, so Jörres. Für die Hausarztpraxen werde man beispielsweise noch in diesem Jahr eine webbasierte Applikation auf den Markt bringen. Hiermit können Ärzte die Hausarztverträge deutlich einfacher und schneller abrechnen als bisher“, so Jörres.
Zeitaufwand für einen gesetzlich und privat Versicherten in etwa gleich
Praxisärzte verbringen den Löwenanteil ihrer Zeit mit gesetzlich versicherten Patienten – im Schnitt 82% (43,1 Stunden), wenn man nur die rein ärztliche Tätigkeit mit direktem Patientenkontakt ohne Fortbildung und Praxismanagement betrachtet. Etwa 13% ihrer Arbeitszeit gehört den privat versicherten Patienten, die übrige Zeit entfällt auf Tätigkeiten im Krankenhaus oder die Behandlung von Patienten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung.
Der Zeitaufwand ist dabei für gesetzlich und privat Versicherte in etwa gleich. „Das ist bemerkenswert, da die gesetzlichen Krankenkassen die Arbeitszeit der Ärzte schlechter vergüten als die private Krankenversicherung“, erklärt Zi-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried. „Auch im Vergleich zum Tariflohn eines vergleichbar qualifizierten Oberarztes im Krankenhaus besteht nach den Daten immer noch ein bedauerlicher Abstand in der Vergütung je geleisteter Arbeitsstunde“, kritisiert von Stillfried.
Nuklearmediziner und Kardiologen haben die längsten Arbeitszeiten
Nicht alle Ärzte arbeiten gleich viel, es kommt auf das Fachgebiet an: Die längsten Arbeitszeiten haben Kardiologen und Nuklearmediziner mit je 57 Wochenstunden, Schlusslichter sind die Augenärzte mit 47 Stunden und die Psychotherapeuten mit 45 Stunden (Übersicht siehe Kasten). Dabei wendeten Radiologen, Nuklearmediziner und Psychotherapeuten die meiste Arbeitszeit für Dokumentationsaufgaben auf.
Viele nuklearmedizinische Untersuchungen seien sehr zeitaufwändig, erläutert Prof. Dr. Detlef Moka, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Nuklearmediziner e.V. gegenüber Medscape. „Insbesondere, wenn mehrere dieser Untersuchungen an einem Tag durchgeführt werden müssen, weil sie dringend sind, etwa bei onkologischen Patienten, laufen die Untersuchungen bis in die Abendstunden“, so Moka. Bei nuklearmedizinischen Praxen mit onkologischen Schwerpunkten passiere das häufig mehrfach in der Woche. Nuklearmediziner außerhalb der Ballungsräume versorgten darüber hinaus oft große Gebiete mit entsprechend großen Patientenzahlen.
Ähnliches treffe auch auf Praxen mit kardiologischem Schwerpunkt zu. Diese Patienten müssen mitunter kurzfristig untersucht werden, was wiederum ebenfalls zu langen Arbeitstagen führen könne.
Der Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK) führt die hohe Anzahl an Arbeitsstunden in seinem Fach vor allem auch darauf zurück, dass die Kliniken die Patienten früher entlassen und Hausärzte kaum noch kardiologische Leistungen erbringen, so BNK-Pressesprecher Dr. Heribert Brück.
Dank der Fortschritte in der Kardiologie überlebten immer mehr Patienten akute Vorfälle wie Herzinfarkt und kardiale Dekompensation. Damit steige aber auch der Betreuungsbedarf. Dieser sei auch aufgrund komplexerer Systeme wie Schrittmacher, ICD und CRT-Systeme höher. Ein weiterer Grund für die hohe Arbeitsbelastung sei die immer älter werdende Gesellschaft, in der die Zahl der Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen zunehme. Aber auch die Patienten selbst wünschen immer häufiger eine Behandlung durch einen Spezialisten.
Jüngere wollen kurzer arbeiten
Unterschiede bei den Arbeitszeiten gibt es auch zwischen Praxisinhaber und ihren angestellten Ärzten. Angestellte arbeiten durchschnittlich 2 Stunden weniger als ihre Chefs. Die Gruppe der Angestellten bevorzugt vor allem auch Teilzeitmodelle. Teilzeit-Ärzte arbeiten mit rund 24 Wochenstunden im Schnitt etwa halb so viel wie die selbständigen Praxisinhaber. Frauen arbeiten im Schnitt fast 8 Stunden weniger als Männer, so das Ergebnis des Jahresberichts.
Der Trend zeigt insgesamt abnehmende Arbeitszeiten unter den Ärzten: Noch im Jahr 2010 arbeiteten sie durchschnittlich rund 2 Stunden mehr. Dabei arbeiten aktuell die älteren Ärzte mehr als die Jüngeren: Am meisten waren Niedergelassene zwischen 50 und 60 Jahren mit durchschnittlich 50 Stunden tätig (Berichtsjahr 2014). Zum Vergleich: Jüngere Ärzte bis 40 Jahre arbeiten rund 36 Stunden – genauso viele Stunden wie Ärzte ab 70 Jahren.
Die Kardiologen, die mit ihren Arbeitszeiten derzeit an der Spitze liegen, fürchten, dass der Mehrbedarf an ärztlichen Leistungen auch durch eine ältere Bevölkerung in der Zukunft nicht mehr unbegrenzt gedeckt werden könne. Durch den Generationenwechsel und die zunehmende „Feminisierung“ auch der Kardiologie, würden die Ärzte künftig in geringerem Ausmaß zur Verfügung stehen. „Dafür müssen heute schon die Weichen gestellt werden“, betont Brück.
„Gerade zu Beginn ihrer Tätigkeit bevorzugen viele junge Hausärzte ein Angestelltenverhältnis“, so Jörres vom Hausärzteverband. „Die Zahlen steigen seit Jahren. Manche der angestellten Hausärzte wollen sich nach ein paar Jahren dann doch noch in der eigenen Praxis niederlassen, das beobachten wir immer wieder“, so Jörres. Hier müsse man noch mehr flexible Möglichkeiten schaffen. „Die Berufsbiografien sind heute in vielen Arbeitsfeldern nicht mehr so stringent, wie das vor ein paar Jahrzehnten noch der Fall war. Das gilt natürlich auch für die Ärzteschaft.“
Wochenarbeitsstunden von Niedergelassenen im Jahr 2014
Fachgebiet |
Wochenarbeitsstunden |
---|---|
Allgemeinmedizin und Innere Medizin |
51 |
Anästhesiolgie |
50 |
Augenheilkunde |
47 |
Chirurgie |
53 |
Dermatologie |
50 |
Gynäkologie |
48 |
HNO |
50 |
Innere Medizin Gastroenterolgie |
55 |
Innere Medizin Kardiologie |
57 |
Innere Medizin Pneumologie |
52 |
Innere Medizin ohne bzw. mit mehreren Schwerpunkten |
54 |
Innere Medizin sonstige Fachgebiete |
55 |
Kinder -und Jugendmedizin |
49 |
Kinder- und Jugendpsychiatrie- und psychotherapie |
50 |
Nervenheilkunde, Neurologie und Psychiatrie |
52 |
Neurochirurgie |
53 |
Neurologie |
53 |
Nuklearmedizin |
57 |
Orthopädie |
52 |
Physikalische und rehabilitative Medizin |
49 |
Psychiatrie |
50 |
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie |
46 |
Psychotherapie |
45 |
Radiologie |
55 |
Urologie |
53 |
Übergreifend tätige Praxen |
50 |
REFERENZEN:
1. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland: Zi-Praxis-Panel. Jahresbericht 2015, 13. Juli 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Arbeitszeiten niedergelassener Ärzte: Kardiologen und Nuklearmediziner mit 57 Wochenstunden Spitzenreiter - Medscape - 26. Jul 2017.
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