Amsterdam – Bei Patienten mit chronische Migräne ist Onabotulinumtoxin A auch unter „Real-World“-Bedingungen wirksam und sicher, so das Ergebnis einer Studie, die beim Kongress der European Academy of Neurology (EAN) 2017 präsentiert worden ist. Allerdings beendete fast ein Drittel der Patienten die Studie vorzeitig – über die Hälfte von ihnen wegen mangelnder Wirksamkeit.
Onabotulinumtoxin A (Botox®, Allergan) ist für die Therapie der chronischen Migräne zugelassen. Zu dieser Indikation liegen Daten aus klinischen Studien vor. Zu den Anwendungsmustern und zur Therapiesicherheit in der täglichen Praxis gebe es jedoch bisher nur begrenzte Daten, so Dr. Manjit Matharu von der Kopfschmerz-Gruppe des Instituts für Neurologie am National Hospital for Neurology and Neurosurgery, London, Großbritannien.
„Die Frage, die von den Regulierungsbehörden gestellt wurde, war, welche Daten zum Gebrauch von Botulinumtoxin und seiner Sicherheit unter realen Bedingungen vorliegen“, sagte er. „Es ging darum, diese Erfahrungen den Daten aus klinischen Studien – die ja ein eher artifizielles Design haben – gegenüberzustellen.“
Anwendung bei chronischer Migräne standardisiert
An chronischer Migräne leiden weltweit etwa 1% bis 2% der Erwachsenen. Sie beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich. Das empfohlene Therapieregime mit Botox® bei chronischer Migräne basiert auf 2 Multicenterstudien im Rahmen des PREEMPT(„Phase 3 Research Evaluating Migraine Prophylaxis Therapy“)-Studienprogramms. Jede von ihnen umfasste eine 24-wöchige randomisierte doppelblinde Phase, gefolgt von einer 32-wöchigen offenen Phase.
Das empfohlene Vorgehen umfasst:
155 U Onabotulinumtoxin A,
mindestens 31 Injektionsstellen an 7 spezifischen Hals- und Nackenmuskeln,
bis zu weitere 40 U gemäß dem Schmerzkontrollprotokoll (bis zu 195 U und 39 Stellen, gemäß der Entscheidung des Arztes)
Verwendung einer 30-Gauge-/0,5-Zoll-Nadel,
Wiederbehandlung alle 12 Wochen.
Real-World-Analyse
An der neuen prospektiven Beobachtungsstudie nahmen 85 Ärzte aus 58 Zentren in Großbritannien, Deutschland und Schweden teil, die vom Hersteller unterstützte Trainingseinheiten absolviert hatten. Bedingung war, dass sie eine ausreichende Zahl erwachsener Patienten mit chronischer Migräne hatten, die bereit waren, in den nächsten 3 bis 6 Monaten entsprechende Injektionen zu erhalten und ihre Daten elektronisch dokumentierten zu lassen.
Die Forscher sammelten Behandlungsdaten über bis zu 52 Wochen und Sicherheitsdaten über bis zu 64 Wochen. Die Analyse schloss die Daten von 1.160 Patienten ein, die mindestens eine Behandlungssitzung hatten. Ihr mittleres Alter lag bei 46,6 Jahren. 84,2% der Studienteilnehmer waren Frauen.
Jeder 2. Patient bereits vorbehandelt
Die Patienten berichteten, dass sie vor Therapiebeginn nur an durchschnittlich 7,7 Tagen pro Monat keine Kopfschmerzen hatten. Etwa die Hälfte von ihnen (50,6%) hatten schon zuvor Botulinumtoxin gegen ihre Migräne erhalten.
Die mediane Zahl an Injektionsstellen lag bei 31. Diese Zahl war über alle 5 Sitzungen ausgewogen und in allen Ländern ähnlich. Das passe zu den Empfehlungen, so Matharu. Die mediane Dosis lag bei 155 U. Matharu merkte an, dass es nur sehr wenige „Ausreißer“ gegeben habe. Dies gelte ebenso für die Gesamtdosis – auch hier sei nur ein kleiner Anteil an Patienten „aus dem empfohlenen Behandlungsschema herausgefallen“. Die meisten Patienten, etwa 75%, wurden mit der 0,5-Zoll-Nadel behandelt.
Keine bisher unbekannten Nebenwirkungen
Bei den meisten Teilnehmern betrug die mittlere Zeit zwischen den aufeinanderfolgenden Behandlungszyklen etwa 14 Wochen. Das sei etwas länger als die empfohlenen 12 Wochen. „Schweden schnitt hier mit 12,6 Wochen sehr gut ab, während es in Großbritannien mit 15 Wochen etwas schlechter lief“, berichtete Matharu. Insgesamt hätten die meisten Patienten die empfohlene Behandlungszahl in der korrekten Dosis erhielten, ergänzte er.
Zur Therapiesicherheit: Behandlungsbezogene unerwünschte Ereignisse wurden von 25% der Patienten berichtet. In Spanien waren derartige Ereignisse mit 11,2% besonders selten und in Großbritannien mit 32,7% besonders häufig. „Es wurden keine zuvor unbekannten Nebenwirkungen beobachtet und die Nebenwirkungsraten waren in dem von uns erwarteten Bereich“, sagte Matharu.
Es gab allerdings einige Unterschiede. So kam z.B. Nackenschmerz – die häufigste unerwünschte Wirkung der Therapie – bei 4,4% der Patienten in der aktuellen Studie vor, verglichen mit 7,7% in der PREEMPT-Studie.
Die Zulassungsbehörden waren insbesondere an 4 möglichen Nebenwirkungen interessiert:
Schluckstörungen wurden von 0,3% der Patienten in der Studie vermerkt, sie waren in allen Fällen selbstlimitierend und erforderten keine Behandlung,
bei 4% verschlechterte sich die Migräne,
bei weiteren 0,4% blieb die Migräne therapieresistent und
bei 0,9% gab es Überempfindlichkeitsreaktionen. Dazu gehörten vorübergehende Erytheme ebenso wie Jucken an der Injektionsstelle.
Matharu bemerkte, dass die meisten Patienten, die solche Nebeneffekte erlebten, die Injektionen trotzdem weiterhin erhalten wollten.
3 von 4 Patienten waren mit der Injektionstherapie zufrieden
Etwa 30% der Patienten verließen die Studie vorzeitig. Dies geschah in mehr als der Hälfte der Fälle wegen mangelnder Wirksamkeit und bei 4,4% wegen unerwünschter Wirkungen, weitere 2,9% konnten nicht bis zum Studie nende nachverfolgt werden. Etwa 2,4% der Patienten berichteten, dass die Behandlung zwar erfolgreich war, dass sie sie aber trotzdem nicht fortsetzen wollten, weil der Kopfschmerz nur episodisch aufgetreten sei und keiner weiteren Aufmerksamkeit bedürfe.
Alles in allem waren die meisten Patienten (74,4%) mit der Behandlung zufrieden oder extrem zufrieden. „Diese Zahl könnte allerdings einen Bias beinhalten“, räumte Matharu ein. „Man würde erwarten, dass diejenigen, die die Therapie bereits zuvor erhalten haben und darauf respondierten, diese dann auch gern fortsetzen.“ Tatsächlich waren in der Subgruppe derjenigen, die schon mit Botulinumtoxin vorbehandelt waren, sogar 83% zufrieden.
„Interessanter ist die Gruppe der therapie-naiven Patienten“, meinte Matharu. 65,1% der Patienten dieser Subgruppe gaben an, dass sie mit der Behandlung zufrieden oder sehr zufrieden waren. 12,9% des Gesamtkollektivs waren unzufrieden oder extrem unzufrieden und 12,7% waren weder zufrieden noch unzufrieden.
Dieser Artikel wurde von Simone Reisdorf aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
1. Kongress der European Academy of Neurology (EAN), 24. bis 27. Juni 2017, Amsterdam/Niederlande
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Botox gegen Migräne unter „Real-World“-Bedingungen: Wirksam und sicher, aber nicht jeder will es und nicht jedem hilft es - Medscape - 25. Jul 2017.
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