„Richtungsweisend“ oder „überholt“ – Azithromycin als Add-on für weniger Asthma-Exazerbationen?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

21. Juli 2017

Erwachsene  Asthmapatienten mit schlechter Kontrolle der Symptome haben unter Azithromycin weniger  Exazerbationen. Gleichzeitig erhöht sich die Lebensqualität. Zu diesen  Ergebnissen kommen Prof. Dr. Peter G.  Gibson vom Hunter Medical Research Institute in Newcastle, Australien, und  seine Kollegen auf Basis einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelt  verblindeten Studie [1].

Ärzte setzen  bei therapierefraktärem Asthma heute eher Biologicals ein, diese waren beim  Start der aktuellen Studie noch nicht verfügbar. Auch gibt es immense  Preisunterschiede: Pro Monat kostet Azithromycin in der eingesetzten Dosis etwa  50 Euro. Mepolizumab oder Reslizumab schlagen im gleichen Zeitraum mit 1.400  bis 1.500 Euro zu Buche.

           

Prof. Dr. Tobias Welte

           

„Das Thema  wird bereits sehr lange diskutiert – insofern liefert die Arbeit interessante  Daten“, kommentiert Prof. Dr. Tobias  Welte, Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule  Hannover, gegenüber Medscape. „Angesichts neuer Entwicklungen  ist diese therapeutische Option jedoch von der Wirklichkeit überholt worden.“

Effekt von Azithromycin systematisch  untersucht

Dass Azithromycin  Effekte bei Asthma zeigt, überrascht Welte nicht. Allerdings wisse man nicht,  wie der Arzneistoff genau wirke.Hier setzt Gibson mit seiner Studie an:  „Makrolid-Antibiotika wie Azithromycin haben antiinflammatorische,  antibakterielle und antivirale Eigenschaften, die Asthma möglicherweise  beeinflussen.“ Zusammen mit Kollegen hatte er in PubMed nach randomisierten  klinischen Studien gesucht. Aufgrund unterschiedlicher Designs ließ sich jedoch  keine schlüssige Aussage zum Mehrwert dieser Pharmaka treffen.

Gibson  rekrutierte deshalb 420 erwachsene Asthma-Patienten. Sie waren im Median 60 Jahre alt, und der Männeranteil lag bei 40%. Zu Beginn erhielten Teilnehmer  inhalative Kortikosteroide plus LABA (Long-acting beta-2 agonists, 98%) bzw.LAMA  (Long-acting muscarinic antagonists, 17%), ohne dass es gelang, die Symptome  vollständig zu kontrollieren.

Ausschlusskriterium  waren abnorme Verlängerung des QT-Intervalls, da es bei dieser Gruppe Hinweise auf eine  erhöhte Mortalität durch kardiale Ereignisse unter Azithromycin gibt. Aufgrund  der möglichen Ototoxizität von Makroliden nahm Gibson Personen mit Erkrankungen  des Gehörs ebenfalls nicht in die Studie auf.

Für schwere  Exazerbationen galten folgende Kriterien: mindestens 3 Tage systemische  Kortikosteroid-Behandlung von mindestens 10 mg/Tag oder vorübergehend eine  Erhöhung der stabilen oralen Kortikosteroid-Erhaltungsdosis von mindestens 10 mg/Tag für mindestens 3 Tage; ein Krankenhausaufenthalt oder eine Behandlung in  der Notfallambulanz mit systemischen Kortikosteroiden.

Moderate  Exazerbationen wurden definiert als vorübergehende Zunahme der Menge  inhalierter Kortikosteroide und/oder Antibiotika in Verbindung mit einer  Verschlechterung der Asthma-Symptome oder einer Erhöhung der Dosis von Beta2-Agonisten  für mindestens 2 Tage oder einer Notfallbehandlung ohne systemische  Kortikosteroide.

 
Angesichts neuer Entwicklungen ist diese therapeutische Option jedoch von der Wirklichkeit überholt worden. Prof. Dr. Tobias Welte
 

Weniger schwere Exazerbationen, mehr  Lebensqualität

Insgesamt  wurden 213 (51%) Patienten der Azithromycin-Behandlung und 207 (49%) der  Placebo-Gruppe zugewiesen. Sie erhielten 48 Wochen lang 3 Mal pro Woche je 500 mg Azithromycin oder Placebo. Endpunkte waren die Gesamtrate schwerer  beziehungsweise moderater Asthma-Exazerbationen und die Lebensqualität.

Azithromycin-reduzierte  Asthma-Exazerbationen (1,07 pro Patientenjahr) im Vergleich zu Placebo (1,86  pro Patientenjahr). Der Anteil an Patienten mit mindestens einer Asthma-Exazerbation  wurde von 127 (61%) auf 94 (44%) verringert. Bei nicht eosinophilem Asthma kam  im gleichen Zeitraum zu 1,15 versus1,74 Exazerbationen. Litten  Studienteilnehmer an eosinophilem Asthma, waren es 1,98 versus 0,96 Exazerbationen. Alle Unterschiede erwiesen sich als statistisch signifikant.

Darüber  hinaus interessierte sich Gibson für die asthmabezogene Lebensqualität. Er  setzte den Asthma  Quality of Life Questionnaire (AQLQ) mit Bandbreiten zwischen 7 Punkten  (keine Einschränkungen) und einem Punkt (schwere Einschränkungen) ein. Unter  Azithromycin verbesserte sich der Wert um 0,36 Punkte.

Schwerwiegende  Nebenwirkungen traten nicht auf. Bleibt als Nachteil, dass es unter dem  Pharmakon häufiger zu Diarrhoe kam. Darunter litten 72 Patienten (34%) versus 39 (19%), die nur wirkstofffreie Tabletten erhalten hatten. Im Sputum fanden sich  bei Patienten mit Makrolidantibiotikum häufiger resistente Keime. Der  Unterschied war jedoch nicht signifikant.

Biologicals – die modernen Alternativen

Welte merkt  die geringe Probandenzahl an: „In 6,5 Jahren haben die Autoren nur 420 Patienten eingeschlossen.“ Für eine Volkskrankheit wie Asthma sei das eher  wenig. Dies lege zumindest den Verdacht einer gewissen Selektion nahe.

 
Deshalb sollten nur Patienten mit dem größten therapeutischen Bedarf, etwa bei häufigen Exazerbationen, Azithromycin erhalten. Prof. Dr. Guy Brusselle und Prof. Dr. Ian Pavord
 

In einem  Editorial bezeichnen Prof. Dr. Guy  Brusselle und Prof. Dr. Ian Pavord vom Ghent University Hospital  die Veröffentlichung als „richtungsweisend“ [2]. Sie führen im Unterschied zu  Welte die große Zahl an Patienten, die gute Charakterisierung des  Krankheitsbildes und den großen Zeitraum als Stärken an. Gleichzeitig warnen  sie Ärzte, Antibiotika freizügig einzusetzen und weitere Resistenzen zu  erzeugen. „Deshalb sollten  nur Patienten mit dem größten therapeutischen Bedarf, etwa bei häufigen  Exazerbationen, Azithromycin erhalten“, konstatieren Brusselle und  Pavord. Sie können sich auch vorstellen, die Gabe auf besonders riskante  Jahreszeiten wie den Winter einzuschränken.

 
Aus Sicht eines Infektiologen bin ich mit Antibiotika-Dauertherapien ohnehin nicht glücklich. Prof. Dr. Tobias Welte
 

Welte  relativiert die Aussagekraft der Studie für die Praxis: „Man hat die Studie zu  einem Zeitpunkt begonnen, als neue Asthmatherapien mit Mepolizumab oder  Reslizumab noch nicht verfügbar waren.“ Eosinophile Asthmapatienten, und diese seien  die Mehrheit in der Studie gewesen, würde man heute eher mit neuen Biological  behandeln. Hier seien die Effekte ausgeprägter als bei Azithromycin. „Aus Sicht eines Infektiologen  bin ich mit Antibiotika-Dauertherapien ohnehin nicht glücklich“, sagt er  mit Verweis auf Resistenzen.



REFERENZEN:

1. Gibson  PG, et al: The Lancet (online) 04. Juli 2017

2. Brusselle  G, et al: The Lancet (online) 04. Juli 2017

Kommentar

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