Protonenpumpenhemmer (PPI) sind im Vergleich zu H2-Blockern möglicherweise mit einer um bis zu 25% höheren Mortalität assoziiert, so das Ergebnis einer Studie von Dr. Ziyad Al-Aly, Washington University School of Medicine in St. Louis, USA, und Kollegen. Kausale Zusammenhänge lassen sich damit aber noch nicht beweisen, da es sich um eine Beobachtungsstudie handelt [1].

Prof. Dr. Christian Trautwein
„In der Kohorte fällt auf, dass kränkere Patienten eher PPI als H2-Blocker bekommen“, weist Prof. Dr. Christian Trautwein gegenüber Medscape auf eine Schwäche der Analyse hin. Er ist Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin, Uniklinik RWTH Aachen. „Dadurch kommt es zu einer Patientenselektion und zu einem Bias.“ Seine Interpretation: „Bei Patienten, die per se kränker sind, verordnen Ärzte häufiger zusätzlich PPIs als Magenschutz.“ Das sei ein zentrales Problem dieser Studie und statistisch nicht unbedingt korrigierbar.
Ein zusätzlicher Todesfall auf 500 Patienten
Basis der aktuellen Analyse war eine Kohorte mit insgesamt knapp 6 Millionen männlichen älteren US-Veteranen weißer Hautfarbe. Ärzte verordneten 275.000 Patienten PPI, und fast 75.000 Patienten erhielten H2-Blocker. Alle Personen wurden über 5,6 Jahre hinweg nachbeobachtet.
Mit seinem Studiendesign wollte Al-Aly den Effekt von Grunderkrankungen, bei denen Säureblocker verordnet werden, ausschließen. Beide Präparate-Gruppen werden bei ähnlichen Indikationen eingesetzt. Trotzdem war das Mortalitätsrisiko unter PPI im Vergleich zu H2-Blockern um 25% erhöht.
Doch gab es in beiden Gruppen schon zu Beginn deutliche Unterschiede. Patienten, die PPI erhielten, waren älter und hatten häufiger Grunderkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Hyperlipidämie. Außerdem litten sie häufiger an Blutungen des oberen Gastrointestinaltrakts, an Magengeschwüren, Helicobacter-pylori-Infektionen, an einem Barrett-Ösophagus, an Achalasien oder an Ösophagus-Adenokarzinomen.
Die Autoren haben deshalb versucht, Unterschiede in den beiden Gruppen statistisch zu korrigieren. Je nach Verfahren blieb aber trotzdem das Sterberisiko unter PPI um 16% bzw. 21% höher als unter H2-Blockern. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen blieb auch signifikant. Bei seiner Kohorte kommt Al-Aly damit rein rechnerisch auf einen zusätzlichen Todesfall pro 500 Patienten, die 1 Jahr lang PPI anwenden.
Ob tatsächlich eine Kausalität vorliegt bleibt allerdings offen. Informationen zu den Todesursachen gibt es in der Kohorte nicht. Al-Aly führt in diesem Zusammenhang allerdings 2 Argumente an:
Einerseits stieg das Risiko mit der Einnahmedauer weiter an. Benötigten Patienten PPI länger als 12 Monate, war das Mortalitätsrisiko um 51% erhöht, allerdings ohne Adjustierung auf Confounder.
Andererseits gibt es Ergebnisse aus Laborexperimenten oder aus Tierversuchen, die zu ähnlichen Resultaten geführt haben.
„Der biologische Mechanismus, der die Assoziation von PPI und dem Mortalitätsrisiko erklären könnte, ist nicht bekannt“, räumt Al-Aly ein.
Studienlage dürftig
Die Ergebnisse der jetzt veröffentlichten Studie reihen sich in eine ganze Reihe anderer PPI-Studien ein, in der Forscher Hinweise auf schädliche Wirkungen gefunden haben, etwa auf erhöhte Raten an Infektionen der Lunge und des Gastrointestinaltrakts sowie auf ein erhöhtes Infarkt- und Schlaganfallrisiko oder ein erhöhtes Demenzrisiko.
Dr. Michael Howell von der Harvard Medical School in Boston hat z.B. für eine Beobachtungsstudie Entlassdiagnosen von 101.796 Patienten nach stationären Krankenhausaufenthalten ausgewertet. Bei ihnen war das Risiko einer nosokomialen Clostridium-difficile-Infektion mit der Magensäureblockade assoziiert. Howell fand bei H2-Rezeptorantagonisten ein um 53% erhöhtes Risiko, bei täglicher PPI-Gabe eine Risikoerhöhung um 74% und bei häufigerer PPI-Applikation sogar um 136%.
Damit nicht genug. Dr. Shelly L. Gray von der School of Pharmacy, University of Washington, berichtet von einer Assoziation zwischen PPI und Frakturen. Basis waren Daten von 161.806 Teilnehmerinnen der Women's Health Initiative zwischen 50 und 79 Jahren. Während der 8-jährigen Nachbeobachtungszeit kam es zu 21.247 neuen Frakturen. Nahmen Frauen PPI ein, war das Risiko von Wirbelsäulenfrakturen um 47% erhöht. Bei Unterarm- und Handgelenksfrakturen errechnete Gray ein Plus von 25%. Bei Hüftgelenksfrakturen sah sie aber keinen Unterschied.
„Hier muss man jedoch betonen: Bei vielen der vermuteten Nebenwirkungen ist die Studienlage bislang dürftig und teilweise widersprüchlich“, sagt Trautwein. Gesicherte Erkenntnisse gebe es bislang kaum – es brauche weitere, aussagekräftige Studien, um die aktuellen Hinweise zu belegen oder zu widerlegen.
PPI nur bei klaren Indikationen einsetzen
Prof. Dr. Matthias Ebert, Direktor der II. Medizinischen Klinik, Universitätsmedizin Mannheim, fasst die Problematik zusammen: „PPI sind wirksam und wichtig zur Behandlung und Vorbeugung bestimmter säureassoziierter Magenerkrankungen wie beispielsweise der Refluxkrankheit, der gastroduodenalen Ulkuskrankheit, des Barrett-Ösophagus oder des Zollinger-Ellison-Syndroms.“ In manchen Fällen sei auch ihr Einsatz als „Magenschutz“ bei Therapie mit etwa Acetylsalicylsäure oder nichtsteroidalen Antirheumatika sinnvoll und wichtig.
Allerdings würden PPI auch bei Beschwerden angewandt, bei denen ihr Nutzen nicht wissenschaftlich nachgewiesen sei. „Ein Reizmagen-Syndrom ist nicht ganz leicht zu behandeln, denn seine Symptome und die Ursachen sind vielfältig. Aus Mangel an effizienten Therapien wird dann nicht selten auf PPIs zurückgegriffen“, so Ebert weiter. Die unkritische Einnahme werde zudem dadurch begünstigt, dass die Medikamente mittlerweile freiverkäuflich in Apotheken abgegeben würden.
Trautweins Fazit: „Aktuelle Hinweise müssen Anlass sein, eine unkritische Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren zu hinterfragen.“ Er fordert, PPI nur bei klaren Indikationen einzusetzen. „Behandlungen gehören in die Hand des Arztes und nicht in die Apotheke“, ergänzt der Gastroenterologe. „Außerdem sollte bei langfristiger Einnahme regelmäßig hinterfragt werden, ob die Indikation zur Einnahme der Präparate noch besteht.“ Unter diesen Voraussetzungen seien PPIs „sehr gute Medikamente, ohne die viele Erkrankungen nicht effektiv therapiert werden können“.
REFERENZEN:
1. Xie Y, et al: BMJ (online) 4. Juli 2017
MEHR
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Wieder negative Studiendaten zu PPI: Erhöhen sie das Sterberisiko? Experte gibt Entwarnung – bei rationaler Verordnung - Medscape - 21. Jul 2017.
Kommentar