Eine mehrmonatige Antibiose bei Patienten, bei denen eine chronische Borreliose diagnostiziert worden ist, ist nach Ansicht der US-Gesundheitsbehörden CDC (Centers for Disease Control and Prevention) nicht nur überflüssig, sondern riskant. Um auf die Gefahren dieser Therapieform aufmerksam zu machen, haben CDC-Mitarbeiter um Dr. Natalie Marzec von der University of Colorado in Aurora jetzt in ihrem Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR) 5 Fallberichte zusammengetragen [1]. Die Beispiele zeigen, welche – zum Teil tödlichen – Konsequenzen eine intravenöse Langzeit-Antibiose haben kann.
Beweise für die Wirksamkeit einer Langzeit-Antibiose fehlen
„Man hört immer wieder von solchen Berichten und ich finde es sehr hilfreich, dass die CDC derartige Fälle nun einmal gesammelt und veröffentlicht hat“, sagt Prof. Dr. Sebastian Rauer, Leitender Oberarzt an der Neurologischen Universitätsklinik Freiburg, im Gespräch mit Medscape.

Prof. Dr. Sebastian Rauer
Noch immer seien zahlreiche Ärzte auch hierzulande davon überzeugt, dass eine mehrmonatige Antibiose Patienten, denen wegen unspezifischer Beschwerden eine chronische Lyme-Borreliose attestiert wurde, helfen würde, sagt Rauer. Insbesondere in speziellen Borreliose-Zentren seien derartige Behandlungen weit verbreitet.
„Es gibt aber keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Patienten, bei denen eine 2- bis 4-wöchige Antibiotika-Therapie nichts gebracht hat, von einer Langzeit-Antibiose profitieren“, betont Rauer. Bei solchen Patienten müsse man eher davon ausgehen, dass sie womöglich gar nicht mit Borrelien infiziert seien, sondern dass es für ihre Beschwerden andere Ursachen gebe. Zu einem ähnlichen Ergebnis waren vor wenigen Wochen auch die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags gekommen.
Über den Katheter können gefährliche Keime in den Körper gelangen
Wie riskant eine mehrmonatige, intravenöse Therapie mit Antibiotika sein kann, zeigen die 5 Fallberichte, die Marzec und ihre Kollegen nun vorgestellt haben. Im ersten Fall war bei einer Frau Ende 30 wegen ständiger Müdigkeit und Gelenkschmerzen unter anderem eine chronische Borreliose diagnostiziert worden. Sie erhielt über einen PICC-Katheter mehrere Wochen lang die Antibiotika Ceftriaxon und Cefotaxim und starb schließlich im Krankenhaus infolge eines septischen Schocks. Über den Katheter waren offensichtlich tödliche Bakterien in ihren Körper gelangt.
Im 2. Fall hatte ein Alternativmediziner einem jungen Mädchen aufgrund von Muskel- und Gelenkschmerzen sowie einer ausgeprägten Lethargie eine chronische Borreliose attestiert. Das Mädchen erhielt zunächst eine 3-monatige orale Antibiose, dann wurde wegen schlechter Leberwerte auch ihr ein PICC-Katheter gelegt. Nach 5-monatiger erfolgloser Behandlung wurden die Antibiotika abgesetzt, der Katheter jedoch blieb. Eine Woche später erlitt das Mädchen einen septischen Schock, der offenbar durch eine Infektion mit Acinetobacter-Keimen ausgelöst worden war – und der einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt nach sich zog.
Der 3. Fallbericht handelt von einer Frau Ende 40, die mehr als ein Jahr lang aufgrund einer vermuteten chronischen Borreliose oral, intramuskulär und intravenös diverse Antibiotika erhielt. Infolge einer Infektion mit dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa, das anscheinend über den Katheter ins Blut und in die Knochen gelangt war, entwickelte die Frau eine Osteomyelitis, die ihren 9. und 10. Brustwirbel zerstörte.
Einer weiteren Frau Mitte 50, die an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) litt, wurde ebenfalls eine chronische Borreliose attestiert. Infolge einer mehrmonatigen oralen und intravenösen Antibiose entwickelte die Patientin eine Colitis, ausgelöst durch eine Infektion mit dem Bakterium Clostridium difficile. Die Frau litt mehr als 2 Jahre lang unter Unterleibskrämpfen und Durchfall und starb schließlich an den Folgen ihrer ALS.
Im 5. Fall berichtet das Team um Marzec von einer Frau Mitte 60, die über viele Jahre hinweg Antibiotika und Immunglobuline intravenös verabreicht bekommen hatte. Sie infizierte sich schließlich mit Staphylococcus aureus und entwickelte einen paraspinalen Abszess, der unter anderem eine chirurgische Drainage erforderte.
Wahren Ursachen der Symptome bleiben durch die Langzeit-Antibiose oft unerkannt
„Diese Fälle heben die Schwere und den Umfang der Nebenwirkungen hervor, die durch ungeprüfte Therapien einer chronischen Borreliose hervorgerufen werden können“, schreiben Marzec und ihre Kollegen. Ein solch unsachgemäßer Umgang mit Antibiotika fördere nicht nur das Entstehen resistenter Bakterien und zahlreicher Infektionen, betonen die Wissenschaftler. Er verhindere auch, dass die wahren Ursachen der Symptome nicht erkannt würden und die Patienten infolgedessen keine adäquate Behandlung ihrer Beschwerden erhielten.
Der deutsche Experte Rauer vermeidet es aus diesem Grund, überhaupt von einer chronischen Borreliose zu sprechen. Er bevorzugt den Begriff der Spätmanifestation einer – in der Regel unerkannten und deshalb unbehandelten – akuten Borreliose.
Auch Spätstadien meist durch maximal 4-wöchige Antibiose behandelbar
Eine späte Manifestation der Erkrankung macht sich dem Experten zufolge auch nicht allein durch unspezifische Beschwerden wie chronische Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten oder Muskel- und Gelenksschmerzen bemerkbar. „Im Spätstadium einer Borreliose kommt es entweder zu einer chronischen Hautinfektion, die durch die ihr typischen Symptome – bläuliche, pergamentartige Haut – meist eindeutig zu erkennen ist“, sagt Rauer. Oder es entwickle sich eine Lyme-Arthritis mit geschwollenen, aber nicht geröteten Gelenken beziehungsweise eine Rückenmarksentzündung, die sich durch zunehmende Spastiken in den Beinen und durch Blasenschwäche bemerkbar mache.
„Bei all diesen Beschwerden handelt es sich um klar umrissene Krankheitsbilder. Die frühe und die späte Infektion mit Spirochäten, zu denen die Borrelien gehören, lassen sich nahezu immer mit einer 2- bis maximal 4-wöchigen Antibiose in den Griff bekommen“,, sagt Rauer. Beginne die Behandlung allerdings zu spät, könne es zu bleibenden Schäden kommen. Inzwischen seien solche chronischen Verläufe einer Borreliose aber glücklicherweise selten geworden, da die Krankheit immer besser erkannt und rechtzeitig behandelt werde, betont der Neurologe.
Als geeignete Antibiotika nennt der Mediziner unter anderem Cephalosporine der 3. Generation und Penicillin, die intravenös verabreicht werden müssen. In der Regel ist hierfür eine stationäre Behandlung erforderlich. Ambulant können Rauer zufolge auch das oral einzunehmende Doxycyclin und bei Infektionen der Haut Amoxicillin verordnet werden, Doxycyclin bei Kindern allerdings nicht vor der Zahnreife.
S3-Leitlinie zur Lyme-Borreliose soll im Herbst kommen
Der Freiburger Neurologe war maßgeblich an der Entwicklung der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Neuroborreliose beteiligt, die nach langen Diskussionen mit Patienten- und Interessenorganisationen, u.a. mit Vertretern der Deutschen Borreliose-Gesellschaft (DBG), für den Herbst dieses Jahres erwartet wird. Details kann Rauer zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht nennen. Nur so viel: „Die S3-Leitlinie beruht, anders als einige zurzeit bestehende Leitlinien, auf einem strukturierten Evidenz- und Konsensprozess und wird wissenschaftlich fundiert sein.“
Man kann also fest davon ausgehen, dass diese Veröffentlichung von mehrmonatigen Antibiotika-Behandlungen abraten wird. Und wahrscheinlich wird dort auch zu lesen sein, dass vor Beginn der Antibiose eine eindeutige Diagnose mithilfe wissenschaftlich anerkannter Tests gestellt werden sollte. Er persönlich halte es jedenfalls für untragbar, sagt Rauer, jemandem eine chronische Borreliose zu attestieren, wenn weder entsprechende Antikörper im Blut gefunden würden noch der Liquor in irgendeiner Form auffällig sei.
REFERENZEN:
1. Marzec NS, et al: MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2017;66:607-609
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Riskant und nutzlos: Langzeit-Antibiose bei vermuteter chronischer Borreliose kann tödlich enden, warnen die CDC - Medscape - 20. Jul 2017.
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