Berlin – „Bis zu 50 Prozent der Patienten entwickeln nach einer venösen Thromboembolie (VTE) ein postthrombotisches Syndrom (PTS)“, berichtete Dr. Arina Ten Cate-Hoek, Cardiovascular Center & Thrombosis Expertise Center, Maastricht University Medical Center, Niederlande, beim Kongress der International Society on Thrombosis and Hemostasis (ISTH 2017) in Berlin [1]. Für eine erfolgreiche Therapie empfahl sie eine individualisierte PTS-Therapie und eine Thrombolyse bereits in der akuten VTE-Phase. Aufgrund neuer Studiendaten brachte sie zudem eine Therapieoption ins Spiel, die schon aus Leitlinien und Praxis verschwunden war: die Kompressionsstrümpfe.
„Bislang gibt es keinen Goldstandard für die Diagnose, keine Prädiktionsmodelle und keine wirksamen Interventionen für PTS“, zählte Ten Cate-Hoek auf. Die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen sind durchweg konservativ und zielen darauf ab, die Muskelfunktion in der Wade zu verbessern und das Ödem zu reduzieren.
Neben Ödemen manifestiert sich das PTS in Hautveränderungen. In fortgeschrittenen Fällen mit reduzierter Durchblutung der Haut kann es zur Lipodermatosklerose kommen. Die Patienten leiden unter schweren Beinen, Schmerzen, Krämpfen und Parästhesien, beim Gehen und Stehen sind die Beschwerden besonders stark ausgeprägt.
Therapie: Neue Evidenz für Kompressionsstrümpfe
Mögliche Therapiemaßnahmen sind die komplexe Lymphödem-Therapie, Bewegungstherapie, Venowave-Therapie und venoaktive Medikamente wie Rutoside und Flavonoide. Grundlage der Behandlung ist aber in der Regel eine Kompressionstherapie mit elastischen Kompressionsstrümpfen.
Doch Kompressionsstrümpfe sind in den letzten Jahren in Verruf geraten. Lange galt ihre Wirksamkeit zur Prävention des PTS als unumstößlich. Sie waren fester Bestandteil der täglichen Praxis und auch der Leitlinien. Doch eine 2014 veröffentlichte Studie zeigte keine Präventionswirkung für die Kompressionsstrümpfe und stellte das Dogma in Frage. Die meisten Ärzte hätten die neue Evidenz bereitwillig angenommen, so Ten Cate-Hoek, auch die Leitlinien seien entsprechend aktualisiert worden. Von Kompressionsstrümpfen wurde teils sogar ganz abgeraten.
Doch eine neue, 2016 veröffentlichte Metaanalyse, die auch die OCTAVIA-Studie umfasst, „hat die Evidenz wieder zugunsten der elastischen Kompression verschoben“, sagte Ten Cate-Hoek. Das Tragen von Kompressionsstrümpfen sei demnach doch mit besseren Ergebnissen assoziiert als der Verzicht darauf.
PTS-Entstehung: Ablauf der Thrombolyse entscheidend
„Dreh- und Angelpunkt der Entstehung eines PTS ist die Thrombolyse“, sagte Ten Cate-Hoek. Ganz ähnlich der Wundheilung komme es auch bei der Auflösung des Thrombus zu einem lymphozytenabhängigen Entzündungsprozess. Auf den Zustrom von Neutrophilen und Monozyten folgen die Neovaskularisation und die Lyse des Thrombus. Findet die Thrombolyse aus irgendeinem Grund verzögert oder nur langsam statt, führt die anhaltende Entzündung in der Gefäßwand zu einem Remodelling sowie zur Fibrose, und das Gefäß bleibt dauerhaft verengt. „Wir vermuten, dass der Beginn des PTS irgendwo am Übergang von der subakuten in die chronische Phase der VTE liegt“, so Ten Cate-Hoek.
Ein wichtiger Faktor, der die Auflösung des Thrombus beeinträchtigen kann, ist die Fließgeschwindigkeit des Blutes. Deshalb ist „die Kompression eine wichtige Therapieoption“, erklärte Ten Cate-Hoek. „Sie reduziert den Venendurchmesser, wodurch die Fließgeschwindigkeit wiederhergestellt wird, außerdem reduziert sie das Ödem und verbessert die Effizienz der Muskelpumpe.“
Die niederländische Thrombosespezialistin betonte die Notwendigkeit einer individuellen PTS-Therapie. „Bislang spielten Patientenfaktoren für die Behandlung keine große Rolle, eine Abwägung von hohem oder niedrigem PTS-Risiko fand nicht statt.“
Dabei gibt eine ganze Reihe etablierter Risikofaktoren für PTS:
variköse Venen,
Body-Mass-Index (BMI) über 28,
inadäquate initiale Antikoagulation,
erhöhtes D-Dimer,
iliofemorale tiefe Venenthrombose,
venöse Restobstruktion und
ipsilaterale rezidivierende Thrombose.
„Betrachtet man all diese Risikofaktoren, könnte man darin ein Indiz für einen hyperkoagulierbaren Status bei Patienten mit PTS sehen“, spekulierte Ten Cate-Hoek.
Eine adäquate Antikoagulation sei von großer Wichtigkeit, denn die anhaltende Bildung von Thrombin reduziere die Effizienz der Fibrinolyse. Mehrere Studien haben den Zusammenhang zwischen Antikoagulation und PTS untersucht. Sie zeigen, dass eine subtherapeutische INR in den ersten 3 Monaten mit mehr PTS-Ereignissen assoziiert ist. Eine Behandlung mit niedermolekularem Heparin führt bei PTS zu besseren Ergebnissen. Und obwohl „man dachte, dass die neueren Antikoagulanzien zu besseren Ergebnissen führen würden, zeigte eine Studie keinen Unterschied zwischen Rivaroxaban und Warfarin/Enoxaparin“, berichtete Ten Cate-Hoek.
Vene so schnell wie möglich öffnen?
Grundsätzlich geht man davon aus, dass eine Verzögerung der Thrombolyse zu mehr Schäden an der Venenwand führt, weshalb der Thrombus so schnell wie möglich entfernt werden sollte, um ein PTS zu verhindern – man spricht hier von der Open Vein Hypothesis. „Deshalb versuchen wir bei Patienten mit tiefer Venenthrombose eine Thrombolyse in der akuten Phase“, sagte Ten Cate-Hoek.
In 2 Studien zeigte sich durch dieses Vorgehen eine absolute PTS-Risikoreduktion um etwa 14% bei einer Number-needed-to-treat (NNT) von 7. „Langfristig reduziert sich die NNT sogar auf 4“, so Ten Cate-Hoek, allerdings habe eine noch nicht publizierte US-Studie jüngst Hinweise auf negative Outcomes bei schneller Thrombolyse erbracht.
„Wir befinden uns deshalb gerade in einem Schwebezustand und müssen auch noch die Ergebnisse der CAVA-Studie aus den Niederlanden abwarten“, schlussfolgerte sie.
REFERENZEN:
1. Kongress der International Society on Thrombosis and Hemostasis (ISTH), 8. bis 13. Juli 2017, Berlin
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Postthrombotisches Syndrom: Expertin setzt auf frühe Thrombolyse in akuter VTE-Phase – und danach auf Kompressionsstrümpfe - Medscape - 13. Jul 2017.
Kommentar