Schützt eine bestimmte Meningokokken-B-Impfung auch vor Gonorrhoe? Retrospektive Studie liefert Hinweise

Simone Reisdorf

Interessenkonflikte

11. Juli 2017

Die Gonorrhoe breitet sich aus und Resistenzen gegen Chinolone, Azithromycin und neuerdings Cephalosporine der Gruppe 3 erschweren die Therapie. Einen Impfstoff gibt es bis dato nicht. Doch nun gibt eine retrospektive Studie aus Neuseeland Anlass zu der Hoffnung, dass ein bestimmter Meningitis-Impfstoff eine Kreuzimmunität gegen Neisseria gonorrhoeae bietet: Jugendliche, die im Rahmen einer Meningitis-Epidemie gegen B-Meningokokken mit Vesikeln der äußeren Membran (outer membrane vesicles, OMV) immunisiert worden waren, erkrankten in der Folgezeit 31% seltener an Gonorrhoe [1].

Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer

„Das ist in zweifacher Hinsicht erstaunlich“, betont der Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft, Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, Dermatologische Klinik, Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin WIR, Universität Bochum, im Gespräch mit Medscape: „Erstens stößt schon die Entwicklung von Meningitis-Impfstoffen immer wieder an Grenzen, weil Neisseria meningitidis per se schon sehr vielfältig ist. Bekannt sind die Typen A, B, C, W und Y sowie zahlreiche Subtypen. Das Erbgut von Neisserien, die Meningitis B oder aber Gonorrhoe verursachen, zeigt jedoch laut der Studie viele Übereinstimmungen.“ Zweitens, so Brockmeyer, hinterlasse selbst eine durchgemachte Gonorrhoe keine Immunität. „Umso eindrucksvoller wäre es, wenn eine Impfung gegen einen nur halbwegs verwandten Keim dies schafft.“

 
Das ist in zweifacher Hinsicht erstaunlich. Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
 

Die Studie: Wer gegen MenB-OMV geimpft war, hatte seltener Gonorrhoe

In die retrospektive Fallkontrollstudie von Dr. Helen Petousis-Harris, Universität Auckland in Neuseeland, und ihren Kollegen wurden von vornherein nur Personen mit STI aufgenommen, um eine ausreichend hohe Fallzahl zu garantieren. Berücksichtigt wurden die Daten von mehr als 15.000 Neuseeländern im Alter von 15 bis 30 Jahren, welche

  • zwischen 1984 und 1998 geboren waren,

  • wegen einer Gonorrhoe, einer Chlamydien-Infektion oder beidem in ein Zentrum für sexuelle Gesundheit gekommen waren.

Nach der Meningitis-Epidemie in den 1990er-Jahren in Neuseeland war es wahrscheinlich, dass die meisten dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Meningitis-Impfung bekommen hatten. Tatsächlich war die Durchimpfungsrate zumindest bei den ab 1987 geborenen Personen mit 86% sehr hoch. Und der negative Zusammenhang zwischen der erfolgten (vollständigen) Impfung und einer späteren Gonorrhoe war durchaus auffällig: Obwohl alle Studienteilnehmer STI-Patienten waren, war doch unter den MenB-OMV-Impflingen eine Gonorrhoe um 31% seltener. Sie gehörten mit größerer Wahrscheinlichkeit zur „Kontrollgruppe“, also zu den Patienten, die nicht wegen Gonorrhoe in der STI-Klinik gelandet waren, sondern etwa wegen einer Chlamydien-Infektion.

 
Die Resistenzlage hat sich in den letzten 3 Jahren etwas verbessert. Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
 

Der Unterschied war signifikant (p > 0,0001), und das bestätigte sich auch nach verschiedenen multivariaten Auswertungen. Interessant war auch, dass Frauen von der Impfung stärker profitierten: Sie waren nach der Impfung um 36% seltener mit Gonokokken infiziert als die ungeimpften Vergleichspersonen, Männer dagegen nur um 25% seltener.

Lage in Deutschland: Viele Infektionen, aber neuerdings etwas weniger Resistenzen

In Deutschland infizieren sich jährlich etwa 20.000 bis 25.000 Menschen mit Gonorrhoe. Nach Angaben der aktuellen „Leitlinie zur Gonorrhoe bei Erwachsenen und Adoleszenten“ sind vorzugsweise junge Menschen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren betroffen, und wie überall in den Industrienationen findet ein Großteil der Infektionen unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), statt.

 
Dann müssen wir über eine Ausweitung der Impfempfehlung des Robert Koch-Instituts gegen MenB nachdenken. Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
 

Brockmeyer bestätigte im Gespräch mit Medscape, dass das Problem ausgedehnter Resistenzen der „Gonokokken“ gegen die gängigen Antibiotika auch hierzulande besteht. „Allerdings hat sich die Resistenzlage in den letzten 3 Jahren etwas verbessert“, betonte er. „Dieser erfreuliche Trend begann etwa zeitgleich mit der Veröffentlichung unserer neuen Leitlinie, welche eine konsequente, ausreichend hoch dosierte Zweifach-Antibiotikatherapie vorsieht. Einen Kausalzusammenhang kann man allerdings nur vermuten.“

MenB-Impfung auch für STI-Risikopersonen: Ist das realistisch?

Vorbeugung ist jedoch immer besser als Heilung. Der Experte würde eine wirksame Impfung gegen Gonorrhoe begrüßen, auch dann, wenn der Impfstoff eigentlich gegen MenB entwickelt wurde. Der MenB-OMV-Impfstoff, der in Neuseeland eingesetzt worden war, ist inzwischen zwar nicht mehr verfügbar – denn inzwischen gibt es Impfstoffe mit mehreren Komponenten (u.a. OMV). Aber der derzeit in Deutschland verwendete MenB-Impfstoff Bexsero® enthält ebenfalls – unter anderem – die OMV-Komponente.

Brockmeyer zeigte sich nach den Ergebnissen der neuseeländischen retrospektiven Studie vorsichtig-optimistisch, warnte allerdings vor zu großer Euphorie: „Personen mit wiederholten Genitalinfektionen wurden von der Analyse ausgeschlossen, nur Patienten mit Erstinfektion wurden berücksichtigt, und Patienten mit Chlamydien-Infektionen sprachen nicht so gut an.“

 
Von der Immunisierung mit einem Impfstoff gegen MenB-OMV könnten womöglich auch Personen mit hohem Risiko für STI profitieren. Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer
 

Sollte sich die Reduktion der Gonorrhoe um etwa 30% aber auch in weiteren, prospektiven Studien bestätigen, so wäre dies ein Durchbruch, stellte Brockmeyer auf Nachfrage von Medscape klar: „Dann müssen wir über eine Ausweitung der Impfempfehlung des Robert Koch-Instituts gegen MenB nachdenken, die bislang nur immunsupprimierte Personen und deren Kontaktpersonen sowie Laborpersonal umfasst“, so der DSTIG-Präsident.

„Von der Immunisierung mit einem Impfstoff gegen MenB-OMV könnten dann womöglich auch Personen mit hohem Risiko für STI profitieren, und die Übertragung der Gonorrhoe könnte insgesamt eingedämmt werden“, hofft er.



REFERENZEN:

1. Petousis-Harris H, et al: Lancet (online) 10. Juli 2017

Kommentar

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