Deutschland setzt beim G20-Vorsitz globale Gesundheit als Schwerpunkt – Experten sehen das Land künftig in der Führungsrolle

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

10. Juli 2017

Ebola-Krise, Zika-Virus-Epidemie, Gelbfieber in Afrika – weltweit rücken die Länder zusammen, um internationale Gesundheitskrisen zu bewältigen. Doch was ist, wenn sich die derzeit führenden Akteure USA und Großbritannien aus ihrem finanziellen Engagement für die globale Gesundheit zurückziehen? Wer übernimmt dann eine Führungsrolle? „Viele Länder blicken nun auf Deutschland“, heißt es in einer anlässlich des G20-Gipfels unter deutschem Vorsitz erschienenen und auch auf deutsch übersetzten Lancet-Publikation „Deutschlands wachsende Bedeutung in der globalen Gesundheitspolitik“ [1].

Prof. Dr. Ilona Kickbusch

Quelle: Lancet

Die Erstautorin Prof. Dr. Ilona Kickbusch lehrt an der Universität in St. Gallen, Schweiz. Sie hat in verschiedenen Funktionen den G20-Gipfel mit vorbereitet und trat dort als Moderatorin und Rednerin auf. Deutschland müsse erheblich nachbessern, vor allem finanziell mehr zuschießen, wenn es im Bereich der globalen Gesundheit mehr als nur stiller Akteur und zuverlässiger Partner sein soll, so Kickbusch und Mitautoren. Eine solche potenzielle Führungsrolle sehen auch die anderen Verfasser des Lancet-Artikels vom Robert Koch-Institut (RKI), vom Institut für Tropenmedizin der Universität Tübingen, der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – Trägerin der deutschen Entwicklungshilfe.

Hermann Gröhe

Quelle: BMG

Warum eine Führungsrolle für Deutschland?

Doch wie kommt es, dass sich Deutschland in jüngerer Zeit für die globale Gesundheit interessiert? Vor allem die Ebola-Krise sei der Auslöser gewesen für Deutschland gewesen, sich international mehr einzubringen und um dabei zu helfen, die Krise zu managen. Diese Gesundheitskrisen seien „Mahnungen an die internationale Gemeinschaft, sich auf solche Ereignisse besser vorzubereiten“, erläutert Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe im Kommentar zur Lancet-Reihe [2].

Bereits im Frühjahr hatten sich die Gesundheitsminister der 20 Länder in Hamburg getroffen und auch eine Erklärung verfasst (wie Medscape berichtete). „Eine bessere Gesundheitsversorgung in den ärmeren Ländern ist ein Teil der Pandemievorsorge“, so Gröhe. Deutschland habe seine jährliche Unterstützung für den globalen Gesundheitsbereich auf immerhin mehr als 850 Millionen pro Jahr gesteigert, schreibt Gröhe. Zudem unterstütze man nun die WHO mit 35 Millionen Euro. Letztlich sei das neue Engagement auch der Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken, betonen Gröhe und Kickbusch sowie Mitautoren.

 
Eine bessere Gesundheitsversorgung in den ärmeren Ländern ist ein Teil der Pandemievorsorge. Hermann Gröhe
 

„Ein Land, das es geschafft hat, ein stabiles Gesundheitssystem über 2 Weltkriege, eine Landesteilung und Wiedervereinigung hinweg zu erhalten, ist in einer exzellenten Position, über Stabilität zu sprechen – eine der 3 Säulen der deutschen G-20-Agenda“, meint die in London arbeitende Lancet-Redakteurin Sabine Kleinert in einem zweiten Kommentar [3]. Deutschland sei zudem ein geeigneter Kandidat für eine Führungsrolle innerhalb der globalen Gesundheitspolitik, weil sich sein eigenes System mit den Wertevorstellungen der globalen Gesundheitsziele decke, meinen Kickbusch und ihre Mitautoren.

Prof. Dr. Reinhard Busse

Solidarität sei ein wesentliches Merkmal des deutschen Gesundheitssystems, in dem nahezu alle krankenversichert sind, so Prof. Dr. Reinhard Busse und seine Mitarbeiter vom Fachgebiet Management im Gesundheitswesen von der Technischen Universität Berlin. Sie stellen in einem 2. Lancet-Beitrag die Geschichte des deutschen Gesundheitssystems dar [4]. „Besser verdienende Menschen unterstützen solche mit niedrigem Einkommen, junge Menschen unterstützen ältere Menschen, gesunde Menschen unterstützten kranke Menschen und Menschen ohne Kinder unterstützen Menschen mit Kindern,“ beschreiben Busse und Mitautoren das deutsche System als mögliches Vorbild für eine weltweite Gesundheitsversorgung.

 
Keine der großen deutschen Stiftungen verfolgt das Thema globale Gesundheit als strategischen Schwerpunkt. Prof. Dr. Ilona Kickbusch und Kollegen
 

Wo Deutschland für eine Führungsrolle nachlegen muss

Aber: Deutschland müsste in wesentlichen Bereichen nachbessern, um eine echte Führungsrolle zu übernehmen, finden Kickbusch und Mitautoren:

  • Als führende Nation müsste sich Deutschland mindestens 0,1% des Bruttonationaleinkommens für Maßnahmen in der gesundheitsbezogenen öffentlichen Entwicklungshilfe aufbringen. Laut OECD-Daten hat Deutschland 2015 jedoch lediglich 0,03% beigesteuert. Zudem ist es notwendig, dass sich auch Stiftungen engagieren: „Keine der großen deutschen Stiftungen verfolgt das Thema globale Gesundheit als strategischen Schwerpunkt“, bemängeln die Autoren.

  • Die Erforschung von armutsbedingten Krankheiten und Tropenkrankheiten müsste als Schwerpunkt gesetzt werden und viel mehr investiert werden.

  • Die Expertise im Bereich Global Health müsste ausgedehnt werden in Form von Studiengängen und Fortbildungsangeboten der deutschen Hochschulen. Im Vergleich zu den USA und Großbritannien hat Deutschland viel weniger Fachpersonal und bietet auch weniger Abschlüsse für den Bereich Global Health an.Will Deutschland seinen Beitrag zur globalen Gesundheit durch qualifiziertes Fachpersonal untermauern, gilt es, die Lücke zu schließen.

  • Politische Rahmenbedingungen in Deutschland müssten mit den WHO-Regeln harmonisiert werden, etwa bei Maßnahmen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs, wo es deutsche Vorbehalte gibt und die Tabakwerbung in Kinos und an Gebäudefassaden noch immer nicht verboten ist.

  • Unter dem Motto „globale Gesundheit beginnt zu Hause“ müsste Deutschland seine Zugangsbarrieren zu Gesundheitsleistungen für Flüchtlinge abbauen und ihnen gleichberechtigten Zugang zum Gesundheitssystem gewähren. „Diese Politik steht im Widerspruch zum internationalen Engagement der Bundesregierung für eine universelle Gesundheitsversorgung. Verschiedene deutsche Nichtregierungsorganisationen haben die deutsche Bundesregierung wiederholt dazu aufgerufen, das Menschenrecht auf Gesundheit in Deutschland genauso zu achten und umzusetzen, wie sie es in ihren Entwicklungsstrategien beschreibt.“

  • Das Bewusstsein des deutschen Bundestags für Themen der globalen Gesundheit müsste gestärkt werden, etwa mit einem eigenen Ausschuss.

 
Schon aufgrund der derzeitigen politischen Umstände wird Deutschland dazu aufgerufen sein, eine starke Rolle in der globalen Gesundheit einzunehmen … Prof. Dr. Ilona Kickbusch und Kollegen
 

Auch im Vorgriff auf die Bundestagswahl im Herbst, halten es die Autoren für entscheidend, dass die neue Bundesregierung sich zum Ziel der Verbesserung der globalen Gesundheit bekennt und ihr Engagement noch verstärkt. „Schon aufgrund der derzeitigen politischen Umstände wird Deutschland dazu aufgerufen sein, eine starke Rolle in der globalen Gesundheit einzunehmen – politisch, konzeptionell und finanziell. Wenn die Bundesrepublik diese Herausforderung annimmt, kann das Land einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele leisten.“



REFERENZEN:

1. Kickbusch I, et al: Lancet 2017 (online) 3. Juli 2017

2. Gröhe H: Lancet (online) 3. Juli 2017

3. Kleinert S: Lancet (online) 3. Juli 2017

4. Busse R, et al: Lancet (online). 3. Juli 2017

Kommentar

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