Deutsche und US-Experten warnen: Fruchtsaft fürs Kind ist wie Champagner für Erwachsene – zu viel ist ungesund

Petra Plaum

Interessenkonflikte

7. Juli 2017

Kein Fruchtsaft für Kinder unter einem Jahr – außerdem sollten sich Kinderärzte dafür einsetzen, dass Klein- und Schulkinder von Fruchtsaft auf Obst umsteigen: Das fordert die American Academy of Pediatrics (AAP) in ihren neuen Empfehlungen [1]. Deutsche Experten für Kinderernährung sehen dies ähnlich.

„Krabbel- und Kleinkinder können dazu angeregt werden, ganze Früchte anstelle von Fruchtsäften zu konsumieren“, rät das Autorenteam um Dr. Melvin B. Heyman aus der Division of Pediatric Gastroenterology, Hepatology, and Nutrition der University of California in San Francisco und Dr. Steven A. Abrams, Pädiater an der University of Texas in Austin. Nach der Analyse von 59 internationalen Studien und anderen Publikationen zum Thema warnen sie: „Wie Softdrinks, so können auch Säfte zur Energie-Dysbalance beitragen. (…) Außerdem kann der hohe Konsum von Saft zu Durchfall, Über- oder Unterernährung und der Entwicklung von Zahnkaries beitragen.“

Prof. Dr. Mathilde Kersting

„Ich finde diese Publikation gut und wichtig, weil noch immer viele Eltern Saft für besonders gesund halten“, kommentiert Prof. Dr. Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsdepartments Kinderernährung (FKE) der Universitätskinderklinik Bochum. Prof. Dr. Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung für Stoffwechsel und Ernährung für Kinder- und Jugendmedizin am Dr. Hauner’schen Kinderspital in München, schließt sich dem an. Er empfiehlt: „Säuglinge und Kleinkinder sollten Fruchtsaft so zurückhaltend trinken wie Erwachsene Champagner. Saft ist kein alltägliches Lebensmittel, sondern vielmehr etwas, das zu besonderen Anlässen genossen werden darf.“

Prof. Dr. Berthold Koletzko

Saft begünstigt Karies und Fehlernährung

Heyman, Abrams und ihr Team verweisen auf die Ergebnisse jener 18 von ihnen zitierten Studien, die sich mit potenziellen positiven wie negativen Auswirkungen des Konsums von Säften (Fruchtsaftgehalt 100%) befasst haben. Im 1. Lebenshalbjahr, schlussfolgern sie, sollen Säuglinge ausschließlich Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrung als flüssige Nahrungsmittel erhalten.

Danach gelte: „Wer Saft vor fester Nahrung anbietet, riskiert, dass der Saft Muttermilch oder Säuglingsnahrung ersetzt, was zu einer zu geringen Aufnahme von Protein, Fett, Vitaminen und Mineralien wie Eisen, Kalzium und Zink führen kann.“ Insgesamt lautet ihr Fazit: „Fruchtsaft bietet Säuglingen unter einem Jahr keine Benefits, was die Nährstoffzufuhr angeht.“

 
Säuglinge und Kleinkinder sollten Fruchtsaft so zurückhaltend trinken wie Erwachsene Champagner. Prof. Dr. Berthold Koletzko
 

Was ältere Kinder und Jugendliche angeht, raten die Autoren Kinderärzten, folgendes zu kommunizieren:

  • Säfte bieten gegenüber Früchten keine Vorteile.

  • Je nach Alter kann übermäßiger Fruchtsaftkonsum eine Über- oder Mangelernährung begünstigen.

  • Exzessiver Saftgenuss ist u.a. mit Durchfall und Blähungen assoziiert.

  • Fruchtsaft begünstigt Karies, vor allen wenn dieser aus Nuckelflaschen getrunken wird.

  • Unpasteurisierte Säfte können Krankheitserreger wie Salmonellen enthalten.

  • Mit Saft lässt sich Durchfall ebenso wenig therapieren wie die Dehydratation.


Die Autoren empfehlen Kinderärzten außerdem:

  • Eltern anzuregen, Fruchtsaft erst mit gemischter Kost ab einem Alter von einem Jahr einzuführen;

  • Eltern zu motivieren, Kindern eher den Genuss von anfangs pürierten, später geraspelten, geschnittenen oder ganzen Früchten nahezubringen als den von Säften.

  • Bei Patienten mit Über- oder Untergewicht sowie Verdauungsbeschwerden die Eltern auch nach dem Konsum von Fruchtsäften zu fragen.

  • Eltern, deren Kinder Medikamente nehmen, die vom Isoenzym CYP3A4 metabolisiert werden (z. B. Ciclosporin, Tacrolismus, Atorvastatin), über die möglichen Wechselwirkungen mit Grapefruitsaft zu informieren.

 
Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass Fruchtsaft genauso viele Kalorien hat wie Softdrinks. Prof. Dr. Mathilde Kersting
 

Die Studienlage zum Thema „Übergewicht durch Fruchtsäfte“ sei uneinheitlich, so die Autoren – eine Studie weist auf einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von mehr als 350 ml Saft pro Tag bei Kindern hin, eine andere – an der Kersting teilhatte – hat diesen Zusammenhang nicht gezeigt. Ein geringer Konsum von reinen Fruchtsäften, per definitionem bis zu 240 ml pro Schulkind und Tag, sei vertretbar.

Und in Deutschland?

Kersting findet die US-Publikation auch für deutsche Pädiater wegweisend, da hierzulande der Fruchtsaftkonsum noch höher ist als in den USA. „Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass Fruchtsaft genauso viele Kalorien hat wie Softdrinks“, sagt sie. „Wenn ich das auf meinen Vorträgen erwähne, ernte ich Überraschung und Staunen.“

Auch Koletzko erinnert an den hohen Gehalt an Zucker in Fruchtsaft – vor allem Fruchtzucker (Fruktose). „Mit der hohen Zuckerzufuhr in Deutschland haben wir bei Kindern wie Erwachsenen ein Riesenproblem“, gibt er zu bedenken. Noch sei zu wenigen Eltern bekannt, dass Fruchtzucker einen ungünstigen Effekt auf den Fett- und Leberstoffwechsel hat und dass aus Saft Zucker weitaus schneller in den Blutkreislauf aufgenommen wird als beim Verzehr von natürlichen Früchten. Außerdem sei zu bedenken: Apfel, Orange, Kirsche und Co. sättigen, Säfte aber nicht.

 
Es kommt also darauf an, den Zugang zu Trinkwasser zu erleichtern, dann schmeckt das Wasser den Kindern. Prof. Dr. Mathilde Kersting
 

Kinder- und Hausärzte können viel tun, um Familien für Risiken und Nebenwirkungen der Säfte zu sensibilisieren, zeigen sich die Ernährungsexperten einig. Direkt Eltern anzusprechen sei sinnvoll, in Schulen und Kindertagesstätten aktiv zu werden ebenfalls. Koletzko erinnert an das Projekt TigerKids, das mit Getränkestationen Kindergartenkindern Wasser und andere ungesüßte Getränke schmackhaft machte – mit großem Erfolg. „Am Ende schmeckt dem Menschen das, was er regelmäßig konsumiert“, so Koletzko. „Innerhalb von einer Woche forderten die Kinder auch von ihren Eltern zuhause Wasser als Getränk.“

Ein weiteres ermutigendes Beispiel: In der Trinkfit-Studie des FKE Bochum gelang es mit dem Aufstellen von leitungsgebundenen Wasserspendern in Grundschulen, den Wasserverzehr der Kinder signifikant zu steigern und das Risiko für Übergewicht zu reduzieren. Koautorin Kersting schlussfolgert daraus: „Es kommt also darauf an, den Zugang zu Trinkwasser zu erleichtern, dann schmeckt das Wasser den Kindern.“

Aus dieser Erfahrung heraus ermutigt sie Ärzte, Eltern zu vermitteln, Kinder von Anfang an gar nicht an Saft zu gewöhnen. Seien Kinder erst einmal auf süße Getränke fixiert, müsse ihnen das mühselig abgewöhnt werden, etwa durch ständig weiteres Verdünnen von Saftschorlen, bis das Kind endlich reines Wasser zu sich nehme.

 
Es geht darum, Fruchtsaft zurückzudrängen und Gemüse voranzubringen. Prof. Dr. Berthold Koletzko
 

An den AAP-Empfehlungen der amerikanischen Pädiater befürwortet Kersting: „Im Grunde genommen entsprechen sie unseren Empfehlungen für eine gesunde Mischkost beim Kind. Auch unser Ernährungsplan sieht für das erste Lebensjahr keine Fruchtsäfte vor, der Milch-Getreide-Brei enthält zerkleinerte oder pürierte Früchte oder Saft, der aber dann in fester Form konsumiert wird.“ 

Sowohl Kersting als auch Koletzko machen sich dafür stark, dass statt Säften Gemüse oder frische Früchte zu jeder Mahlzeit dazugehören. Koletzkos Empfehlung für rundum gesunde Kinderernährung lautet: „Es geht darum, Fruchtsaft zurückzudrängen und Gemüse voranzubringen.“ Ergänzt um Wasser als Hauptgetränk für Kinder jeden Alters, versteht sich.



REFERENZEN:

1. Heyman MB, Abrams SA: Pediatrics 2017;139(6):e20170967

Kommentar

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