Und sie können es doch! Ein Vertreter der (fast) totgeglaubten Wirkstoffgruppe der CETP(Cholesterinester-Transferprotein)-Hemmer hat nun tatsächlich in einer sehr großen Endpunktstudie die kardiovaskuläre Ereignisrate gesenkt. Wie die Firma Merck vor wenigen Tagen bekannt gab, hat Anacetrapib in der REVEAL-Studie (Randomized Evaluation of the Effects of Anacetrapib Through Lipid Modification) den primären Endpunkt erreicht [1].
Der in der Entwicklung befindliche CETP-Inhibitor, der sowohl das HDL-Cholesterin erhöht als auch das LDL-Cholesterin senkt, habe die Häufigkeit schwerer Koronarereignisse bei den Studienteilnehmern signifikant verringert. Der primäre Endpunkt war eine Kombination von koronar-bedingtem Tod, Myokardinfarkt oder koronare Revaskularisierung. Verglichen wurde Anacetrapib mit Placebo bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, die bereits ein Statin nahmen.
Das Sicherheitsprofil von Anacetrapib entspreche allgemein dem in früheren Studien ermittelten – dies auch hinsichtlich der bereits bekannten Akkumulation von Anacetrapib im Fettgewebe, verlautbarte Merck.
Merck erwägt, Zulassung zu beantragen
REVEAL ist eine doppelblinde placebokontrollierte klinische Phase-3-Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit der Gabe von Anacetrapib (100 mg/d) additiv zu Atorvastatin. Die Studie wurde über einen mittleren Zeitraum von 4 Jahren an 30.000 Patienten mit einem Mindestalter von 50 Jahren und einem hohen kardiovaskulären Risiko durchgeführt. Auch in Deutschland nahmen rund 2.000 Patienten an der Studie teil. Die Koordination der deutschen Teilnehmer hatte die Medizinische Klinik und Poliklinik I am Klinikum der Universität Würzburg.
Die Ergebnisse sollen beim diesjährigen Kongress der ESC (European Society of Cardiology) Ende August in Barcelona vorgestellt werden, teilte die Firma mit. Sie will die Resultate mit externen Experten diskutieren und dann entscheiden, ob die Zulassung als neues Medikament bei der Food and Drug Administration (FDA) und anderen Arzneimittelbehörden beantragt wird.
Andere CETP-Hemmer floppten während der Entwicklung
Die CETP-Hemmer sind eine Gruppe von Wirkstoffen, die primär das HDL-Cholesterin erhöhen, jedoch bisher eine enttäuschende Entwicklung hinter sich haben. Aufgrund mehrerer Flops derartiger Substanzen in Studien hatten Experten die so genannte „HDL-Hypothese“ eigentlich verworfen, also den Ansatz über eine HDL-Erhöhung kardioprotektive Wirkungen zu erzielen.
Schon im Jahr 2006 hatte der Hersteller Pfizer die Entwicklung von Torcetrapib gestoppt. Es war der erste derartige Wirkstoff, der in klinischen Studien getestet worden war und sehr starke HDL-Erhöhungen erzielte. Seine Entwicklung wurde eingestellt, nachdem es in einer großen Phase-3-Studie die Mortalität und das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöht hatte. Als Ursache waren „Off-target“-Effekte vermutet worden – vor allem eine Blutdrucksteigerung durch Effekte auf die Aldosteron-Aktivität.
Im Jahre 2012 fiel mit Dalcetrapib (Hoffman-La Roche, Ltd) ein weiterer CETP-Hemmer durch die klinischen Tests, nachdem in einer Zwischenanalyse kein Benefit im Hinblick auf die Zielparameter festgestellt werden konnte. Dalcetrapib erhöhte das HDL um rund 30% und hatte kaum Effekte auf das LDL-Cholesterin.
2015 schließlich beendete die Firma Lilly die Entwicklung von Evacetrapib ebenfalls wegen „unzureichender Wirksamkeit“. Dies war die Konsequenz einer Zwischenanalyse von ACCELERATE einer großen Endpunktstudie mit mehr als 12.000 Teilnehmern. Evacetrapib hat sowohl HDL-erhöhende als auch moderat LDL-senkende Wirkungen.
HDL-Hypothese bestätigt oder ist doch die LDL-Senkung entscheidend?
Anacetrapib unterscheidet sich in seinen Wirkungen auf das Lipidprofil von den anderen CETP-Hemmern: In der im Jahr 2010 publizierten DEFINE-Studie erhöhte es das HDL-Cholesterin der Probanden um beeindruckende 138% (von 41 auf 101 mg/dl) und senkte gleichzeitig das LDL-Cholesterin um rund 40% (von 81 auf 45 mg/dl). Spannend wird damit bei der endgültigen Präsentation der Studie beim ESC-Kongress vor allem die Frage werden, auf was die Autoren den positiven Ausgang von REVEAL zurückführen: Hat Anacetrapib die „HDL-Hypothese“ nun zu neuem Leben erweckt? Oder stellt der CETP-Hemmer nur ein neues weiteres Prinzip der LDL-Senkung dar – und ist lediglich mit REVEAL ein weiterer Beleg für das „The lower, the better“-Prinzip beim LDL-Cholesterin gelungen?
Merck ließ zudem noch wissen: „Die REVEAL-Studie wurde von unabhängigen Wissenschaftlern der Clinical Trial Service Unit (CTSU) an der Universität von Oxford, die als den Behörden gegenüber verantwortlicher Sponsor auftrat, designt und durchgeführt. Dies geschah in Zusammenarbeit mit der TIMI Study Group des Brigham and Women's Hospital in Boston und der Firma Merck. Die Firma Merck hat die Kosten für REVEAL übernommen.“
Dieser Artikel wurde von Dr. Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und von Sonja Böhm redaktionell adaptiert.
REFERENZEN:
1. Merck: Pressemitteilung, 27. Juni 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Überraschendes zu einem (fast) totgeglaubten Lipid-Wirkprinzip – Merck verkündet positive Endpunkt-Daten mit CETP-Hemmer - Medscape - 6. Jul 2017.
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