Schlagabtausch beim Hauptstadtkongress: Wahlfreiheit oder GKV für alle? Argumente für und gegen den Erhalt der PKV

Christian Beneker

Interessenkonflikte

5. Juli 2017

Berlin – Die Verteidiger der privaten Krankenversicherung (PKV) betonten auf dem Berliner Hauptstadtkongress die Wahlfreiheit der Bürger und die Berufsfreiheit der Versicherer. Beides dürfe nicht angetastet werden – und damit auch die PKV als Vollversicherung nicht [1]. Sie sei wirtschaftlich und sorge für hohe Versorgungsqualität.

Dagegen stellen Befürworter einer Bürgerversicherung beziehungsweise einer integrierten Versicherung die versorgungspolitischen Aspekte in den Mittelpunkt und die fehlende Wirtschaftlichkeit der PKV. Medscape sprach mit den Diskutanten.

Ist die PKV wirtschaftlich gesund?

Aus Sicht von Dr. Volker Hansen von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist die PKV wirtschaftlich auf einem guten Weg. Tatsächlich ist die PKV nach eigenen Angaben im Jahr 2016 gewachsen – jedenfalls bei den Zusatzversicherungen, und zwar um 1,3% und habe damit insgesamt die 25-Millionen-Grenze bei der Zahl der Zusatzverträge überschritten. Auch die Altersrückstellungen stiegen 2016 auf 233 Milliarden Euro – ein Plus von 5,9% im Vergleich zum Vorjahr. „Man kann also nicht von einer Trendwende zu Ungunsten der PKV sprechen“, so Hansen.

Beim Geschäft mit den Vollversicherungen sieht es allerdings schlechter aus. Die Zahl der Vollversicherten verringerte sich gegenüber 2015 um 17.300 auf insgesamt 8,77 Millionen Menschen, so der PKV-Verband. „Vor dem Rückgang 2016 hatte die PKV aber einen steten Zuwachs“, betont Hansen. Tatsächlich waren es im Jahr 2006 noch 8,5 Millionen Menschen, sagt Dr. Volker Leienbach, Vorsitzender des PKV Verbandes: „Es kann also keine Rede davon sein, dass der privaten Krankenversicherung die Kunden ausgehen.“ Kurz: Die PKV sei trotz allem gut genug aufgestellt, um die Versorgungsversprechen an die Versicherten einzuhalten.

 
Man kann also nicht von einer Trendwende zu Ungunsten der PKV sprechen. Dr. Volker Hansen
 

PKV: Im Gegensatz zur GKV ohne Kostenkontrolle

Dr. Stefan Etgeton, Senior Expert/ Gesundheitsversorgung bei der Bertelsmann Stiftung, bezweifelt dagegen die dauerhafte wirtschaftliche Stabilität der PKV. „Denn die PKV hat keine Instrumente der Kostenkontrolle, anders als die GKV, die dazu den Gemeinsamen Bundesauschuss hat.“ Außerdem habe die PKV ein höheres Leistungsversprechen zu erfüllen. „Die Versicherten erwarten mehr und erhalten auch Leistungen zu höheren Preisen.“ Schließlich liege das Zinsniveau konstant niedrig. „Das heißt, die Bedingungen für die PKV auf dem Kapitalmarkt sind nicht mehr so, wie sie sein müssten“, meint Etgeton.

 
Die PKV hat keine Instrumente der Kostenkontrolle, anders als die GKV, die dazu den Gemeinsamen Bundesauschuss hat. Dr. Stefan Etgeton
 

2013 habe sich die PKV bei den Beitragserhöhungen erstmals auf die negative Entwicklung am Kapitalmarkt berufen. Diese Faktoren in Kombination stellten die wirtschaftliche Stabilität der PKV grundsätzlich in Frage, so Etgeton. Die Bertelsmann Stiftung und der Verbraucherzentrale Bundesverband haben deshalb ein Konzept zur integrierten Krankenversicherung vorgelegt. Darin schlagen die Autoren vor, gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und PKV in einem gemeinsamen Zweig zusammenzuführen.

Kostenentwicklungen PKV und GKV parallel?

Hansen kritisiert Etgetons Rechnung. Die Beitragssteigerungen von GKV und PKV kommen in etwa auf das Gleiche heraus, meint er, die PKV sei also nicht besonders teuer. Allerdings steige der Beitrag in der GKV durch die Lohnentwicklung fast unbemerkt jährlich um 2 bis 3%, so Hansen. „Das sind jedes Jahr fast 6 Milliarden Euro“, sagt er.

Die PKV dagegen müsse der Kassenaufsicht nachweisen, dass die Risiken gestiegen sind und kann dann alle 3 bis 4 Jahre die Prämien um 8 oder 9 oder 12% erhöhen. „Das fällt natürlich auf!“, sagt Hansen. „Tatsächlich laufen aber die Kostenentwicklungen in beiden Systemen etwa parallel.“

 
Tatsächlich laufen … die Kostenentwicklungen in beiden Systemen etwa parallel. Dr. Volker Hansen
 

Wohin mit den 230 Milliarden Euro Altersrückstellungen?

Ein wesentlicher Streitpunkt ist der Verbleib der Altersrückstellungen im Falle einer integrierten Versicherung. „Man muss klären, wem die Altersrückstellungen gehören“, fordert Etgeton. „Gehören sie dem einzelnen Versicherten? Oder gehören sie der Kohorte, wie die Versicherungen meinen?“ Man müsse klären, ob die Altersrückstellung des Einzelnen versicherungsmathematisch zu klären ist, dann könnte er die Rückstellungen bei einem Kassenartwechsel mitnehmen in die GKV und in den Fonds einzahlen. Hier sei die Politik am Zuge: Sie müsse verfassungsrechtlich klären lassen, ob der Übertrag der Altersrückstellungen möglich wäre.

Wolfgang Henke, Bundestagsabgeordneter der CDU, sieht dazu keine Chance. Er meint, dass die Altersrückstellungen in einem neuen System nicht einfach in den Gesundheitsfonds überführt werden können. „Altersrückstellungen sind von der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, Artikel 14, erfasst“, argumentiert Henke. Sie gehören den Versicherten und deshalb nicht in den Fonds, so Henke. Die Rückstellungen seien mit einem Versprechen verbunden: Der Versicherte bezahlt einen bestimmten Betrag zusätzlich und die Kasse versorgt ihn dafür im Alter.

 
Altersrückstellungen sind von der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, Artikel 14, erfasst. Wolfgang Henke
 

Die Wahl der Versicherung – eine Sache der Bürgerrechte?

Überhaupt argumentiert Henke mit den Bürgerrechten. „Ich habe Bedenken, dass die Einbeziehung sämtlicher privat Versicherter in nur eine Seite des dualen Versicherungssystems mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit kollidiert“, sagt Henke. Gemeint ist der Artikel 2 des Grundgesetzes: das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Dass die meisten, die sich frei für eine Versicherungsart entscheiden können, die GKV wählen, bestreitet auch Henke nicht. Aber er will es bei dieser freien Wahlmöglichkeit belassen. „Freiwillig oder fremdbestimmt entscheiden – das ist eine Frage des Verständnisses von Bürgerrechten“, sagt Henke.

Mehr noch: Auch durch das drohende Ende der PK-Versicherer im Zuge eines Systemwechsels sieht Henke das Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt. „Denn da soll das Neugeschäft der Versicherer unterbunden werden“, kritisiert Henke. „Das bedeutet letztlich: ein Berufsverbot für die PKV-Träger.“

Mit der Wahlfreiheit sei es ohnehin nicht weit her, meint Etgeton. „Ich würde der angeblichen Freiheit die Frage entgegenhalten: Wie frei können sich eigentlich Beamte entscheiden?“ Wer mit Wahlfreiheit argumentiert, müsste auch in der GKV einen beihilfefähigen Tarif für die Beamten einrichten, kontert Etgeton.

 
Freiwillig oder fremdbestimmt entscheiden – das ist eine Frage des Verständnisses von Bürgerrechten. Wolfgang Henke
 

Auch ein Berufsverbot für die PKV-Träger sieht er nicht. „Gewiss kann der Staat nicht beide Versicherungssysteme bestehen lassen, um dann dem einen oder anderen System Bedingungen zu diktieren, die ihm die Existenz unmöglich machen.“ Aber wenn weiter Zusatzversicherungen angeboten werden können, liege das Problem hier nicht vor.

Wie dem auch sei: Eine Reform der Krankenversicherung hält Etgeton nur dann für möglich, wenn alle an einem Strang ziehen. „Letztlich müssten beide großen Volksparteien mitziehen.“



REFERENZEN:

1. Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit, 20. bis 22. Juni 2017, Berlin

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....