Jedes Mikrogramm ist zu viel – große US-Studie zeigt: Auch bei niedrigen Feinstaubwerten steigt die Sterblichkeit

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

5. Juli 2017

Eine Belastung durch Feinstaub geht auch unterhalb der (in den USA gesetzlich gültigen) Grenzwerte mit einer erhöhten Sterblichkeit einher – dies zumindest bei älteren oder dafür besonders vulnerablen Personen. Das hat ein Team der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston in einer Studie herausgefunden, für die sie die Daten von mehr als 60 Millionen Menschen analysierten.

Wie die Forscher um Prof. Dr. Francesca Dominici und den Erstautor der Arbeit, Qian Di, im New England Journal of Medicine berichten, stieg die Gesamtsterblichkeit in der Untersuchung mit jeder Zunahme von 10 μg Feinstaub der Staubfraktion PM 2,5 pro Kubikmeter Luft um 7,3% an [1]. Der als PM 2,5 bezeichnete Feinstaub enthält mindestens zur Hälfte Teilchen mit einem Durchmesser von maximal 2,5 µm. Partikel dieser Größe können in die Lungenbläschen gelangen und sind mit bloßem Auge nicht sichtbar.

Prof. Dr. Hans Drexler

Interessant sei bei dieser Studie vor allem die Tatsache, dass die erhöhte Sterblichkeit auch bei Werten unterhalb der US-Standards zu beobachten sei, kommentiert Prof. Dr. Hans Drexler, Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen-Nürnberg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM). Es handle sich ganz offensichtlich um eine Dosis-Wirkung-Beziehung: Je weniger Feinstaub in der Luft vorhanden sei, desto besser sei dies für die Gesundheit, so der Umweltmediziner.

Grenzwerte in Europa

Betrachteten die Forscher um Dominici lediglich Probandenjahre mit einer Feinstaub-Belastung unterhalb des festgelegten Grenzwertes von im Jahresdurchschnitt weniger als 12 μg Feinstaub der Partikelgröße PM 2,5 pro Kubikmeter Luft, stieg die Gesamtsterblichkeit pro 10 μg sogar um 13,6% an.

In Europa gilt für PM 2,5 seit 2008 ein Zielwert, der mehr als das Doppelte über dem US-Grenzwert liegt, nämlich von 25 µg/m3 im Jahresmittel. Diese Grenze soll seit dem 1. Januar 2010 eingehalten werden – seit 1. Januar 2015 verbindlich. Der Wert soll ab dem 1. Januar 2020 weiter gesenkt werden. Dann dürfen die PM 2,5-Jahresmittelwerte den Wert von 20 µg/m3 nicht mehr überschreiten.

Unabhängig davon gelten seit dem 1. Januar 2005 europaweit Grenzwerte für die Feinstaub-Fraktion PM 10, also für Staub mit einer Partikelgröße von weniger als 10 µm. Der Tagesgrenzwert beträgt hier 50 µg/m3 und darf nicht öfter als 35-mal im Jahr überschritten werden. Der zulässige Jahresmittelwert beträgt laut EU 40 µg/m3.

Je weniger Feinstaub die Luft enthält, desto gesünder ist sie

„Ganz neu sind die Ergebnisse dieser Studie natürlich nicht“, kommentiert Drexler. „Die Beobachtung, dass hohe Feinstaubbelastungen eine Übersterblichkeit hervorrufen, ist seit rund 20 Jahren gut beschrieben.“ Entscheidend sei für ihn eigentlich vor allem die Frage, um wie viele Jahre das Leben durch Feinstaub verkürzt werde. „Das allerdings wurde in der Studie nicht ermittelt“, bedauert Drexler im Gespräch mit Medscape.

„Wir können aus der Studie 2 Schlüsse ziehen“, sagt Drexler: „Erstens müssen wir auf saubere Luft achten. Und zweitens benötigen wir das entsprechende Wissen, um die richtigen Maßnahmen für dieses Ziel zu treffen.“ Womöglich würden beispielsweise Fahrverbote nur wenig bringen, wenn man nicht gleichzeitig auch Kaminfeuer oder andere offene Feuer verbiete, gibt Drexler zu bedenken.

 
Erstens müssen wir auf saubere Luft achten. Und zweitens benötigen wir das entsprechende Wissen, um die richtigen Maßnahmen für dieses Ziel zu treffen. Prof. Dr. Hans Drexler
 

Auch die Ozonwerte beeinflussen der Studie zufolge die Lebenserwartung

Dominici und ihre Kollegen werteten für ihre Untersuchung Daten von knapp 61 Millionen Menschen aus, die zwischen den Jahren 2000 bis 2012 über Medicare, die öffentliche, bundesstaatliche Krankenversicherung für ältere oder behinderte US-Bürger, versichert waren. Insgesamt kamen sie so auf eine Beobachtungszeit von 460.310.521 Probandenjahren.

Die Belastung mit Feinstaub und für Ozon wurde für jeden Postleitzahlenbezirk einzeln ermittelt. Bei der statistischen Analyse berücksichtigten die Forscher unter anderem demografische Daten der Versicherten und ob diese Leistungen des Fürsorgeprogramms Medicaid bezogen hatten oder nicht.

Ähnlich wie beim Feinstaub gingen auch erhöhte Ozonwerte in der Studie mit einem Anstieg der Gesamtsterblichkeit einher, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß. So verzeichneten die Forscher für jeden Anstieg von 10 ppb (parts per billion) Ozon pro Kubikmeter Luft eine Steigerung der Mortalität um 1,1%. In Jahren mit einer mittleren Ozonbelastung von weniger als 50 ppb erhöhte sich das Sterberisiko mit jedem Anstieg von 10 ppb um 1%.

„Meines Erachtens kann man aus diesen Werten allerdings keine sicheren Schlüsse ziehen“, sagt DGAUM-Präsident Drexler. „Womöglich handelt es sich beim Ozon nicht einmal um einen eigenständigen Risikofaktor.“ Denn oft gingen erhöhte Ozonwerte auch mit einer stärkeren Belastung durch andere Luftschadstoffe einher.

Am meisten leiden offenbar Männer, Schwarze und ohnehin erkrankte Menschen

Besonders gefährdet durch erhöhte Feinstaub-Konzentrationen waren der US-Studie zufolge Männer, Schwarze und Menschen, die Medicaid-Leistungen bezogen. Gleichzeitig waren diese Probanden-Gruppen häufiger als andere erhöhten Feinstaub-Mengen ausgesetzt. „Es ist eine Stärke dieser Studie, aufgrund der großen Probandenzahl auch kleine Effekte nachweisen zu können, die darüber hinaus womöglich nur bei bestimmten Personengruppen auftreten“, sagt Drexler.

Dass der US-Präsident Donald Trump im März angekündigt hat, das Budget der US-Umweltbehörde ETA (Environmental Protection Agency) um rund ein Viertel zu kürzen, hält Drexler gerade in diesem Zusammenhang für eine schlechte Botschaft: „Gefährdungen der Bevölkerung werden nicht erkannt, wenn kein Geld für die Forschung mehr da ist“, sagt er.

 
Es ist eine Stärke dieser Studie, aufgrund der großen Probandenzahl auch kleine Effekte nachweisen zu können, die … womöglich nur bei bestimmten Personengruppen auftreten. Prof. Dr. Hans Drexler
 

Donald Trumps Umweltpolitik wird die Luft noch stärker verschmutzen lassen

Ähnlicher Ansicht wie Drexler ist die Internistin Dr. Rebecca E. Berger vom Massachusetts General Hospital in Boston. Seit den Siebzigerjahren seien Hunderte von Artikeln erschienen, die einen Zusammenhang zwischen Feinstaub und Erkrankungen wie Asthma oder ischämischer Herzkrankheit nachgewiesen hätten, schreiben sie und ihre Kollegen in einem Editorial des NEJM [2]. Die zuletzt im Jahr 2012 festgelegten US-Grenzwerte zielten darauf ab, insbesondere auch Kinder, ältere Menschen und Patienten mit kardiopulmonalen Erkrankungen zu schützen.

Die neue Studie deute nun daraufhin, dass die jetzigen Grenzwerte hierfür womöglich gar nicht ausreichten, betonen Berger und ihr Team. Und trotz überzeugender Daten schlage Donald Trump in seiner Umweltpolitik sogar einen entgegengesetzten Kurs ein, bemängeln die Mediziner. Sie kritisieren insbesondere, dass Trump den vermeintlichen Krieg gegen die Kohle beenden möchte und die Umweltauflagen für die Kohleindustrie in den vergangenen Monaten in mehreren Punkten gelockert hat. Für die Gesundheit der Bevölkerung hätte die daraus resultierende Luftverschmutzung verheerende Konsequenzen, schreiben Berger und ihre Kollegen: Amerika werde leiden.



REFERENZEN:

1. Di Q, et al: NEJM 2017;376:2513-2522

2. Berger RE, et al: NEJM 2017;376:2591-2592

Kommentar

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