
Prof. Dr. Hans Jörgen Grabe
Berlin – Immer mehr ältere Menschen, damit zwangsläufig immer mehr Demenz-Erkrankungen und wenig, was man dagegen tun kann? „Demenz muss nicht sein“, entgegnet Prof. Dr. Hans Jörgen Grabe, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Greifswald und präsentierte dazu auf dem diesjährigen Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit in Berlin aktuelle Daten, die hoffen lassen [1].
„Dass sich die Zunahme von Demenzen durch geeignete Präventionsmaßnahmen und Therapie-Entscheidungen bremsen lässt, ist kein Wunschdenken, sondern mit Fakten belegbar“, so Grabe. Bei der natürlichen Alterung und Atrophie des Gehirns gebe es eine hohe interindividuelle Streuung. Das zeigten zum Beispiel MRT-Untersuchungen des Gehirns, die im Rahmen der SHIP-Longitudinalstudie (Study of Health In Pomerania) mit mehr als 8.700 Teilnehmern im Alter zwischen 20 und 90 Jahren vorgenommen wurden.
Individuelle Risikofaktoren für eine Demenz sollten demnach auch bei der ärztlichen Versorgung möglichst individuell beeinflusst werden.
Älter bedeutet nicht zwangsläufig kränker
Katastrophenvorhersagen, nach denen die Demenz-Erkrankungen unaufhaltsam steigen, sind dem Greifswalder Psychiater zufolge nicht berechtigt: „Bereits jetzt wird deutlich, dass sich Schätzungen von vor 10 oder 20 Jahren zur Epidemiologie der Demenzen nicht im befürchteten Ausmaß bewahrheiten, weil die Menschen in Deutschland nicht nur älter werden, sondern viele von ihnen durchaus auch gesünder leben als früher.“
7 Risikofaktoren für eine Alzheimer-Demenz gelten international als gut etabliert und (zumindest theoretisch) als „vermeidbar“:
Bluthochdruck und
Fettleibigkeit im mittleren Alter,
Diabetes mellitus,
Depression,
körperliche Inaktivität,
Rauchen und
niedrige Schulbildung.
Es wird geschätzt, dass sie für etwa ein Drittel aller weltweiten Demenzfälle verantwortlich sind.
Im (hypothetischen) Idealfall 300.000 weniger Demenz-Kranke
In einer Analyse von Demenz-Forschern der Universität Leipzig wurde untersucht, welcher Anteil der Alzheimer-Demenzen in Deutschland (bezogen auf eine geschätzte Prävalenz von 1 Million aktuelle Fälle) auf diese Risikofaktoren zurückzuführen sein dürfte.
Dabei kamen die Wissenschaftler auf ein populationsbezogenes attributables Risiko (PAR) für alle 7 Risikofaktoren zusammen von 30,5%. Im rein hypothetischen – und kaum realistischen – Idealfall, dass alle diese Risikofaktoren vollständig eliminiert worden wären, hätten demnach also mehr als 300.000 von 1 Million Menschen vor einer Demenz geschützt werden können.
Besonders relevant: Körperliche Inaktivität und Rauchen
„Es ist allerdings durchaus schon einiges gewonnen, wenn wir die Demenz-Risikofaktoren um 10, 25 oder gar 50 Prozent reduzieren“, sagte Grabe: „Die zahlenmäßig relevantesten Faktoren mit dem größten Reduktionspotenzial in Bezug auf das Alzheimer-Risiko sind dabei offenbar die körperliche Inaktivität und das Rauchen, auch weil sie besonders viele Menschen in der Bevölkerung betreffen.“
Mehr als 10% der Alzheimer-Fälle zu vermeiden ist dem Greifswalder Psychiater zufolge nur mit einer gezielten und individualisierten Prävention möglich: „Das heißt, wir müssen Prävention und Interventionen bei denjenigen realisieren, die ein besonders großes Risiko haben oder besonders von den entsprechenden Maßnahmen profitieren.“
Demenz-Risiko lässt sich einschätzen
Als möglichen Marker zur – zumindest groben – Einschätzung des Alzheimer-Demenz-Risikos erwähnte Grabe unter anderem den Bauchumfang. So sei in der SHIP-Studie mittels MRT-Untersuchungen festgestellt worden, dass wachsender Bauchumfang mit einer zunehmenden Atrophie der grauen Hirnsubstanz einherging. Ähnliches gelte für die Verteilung des Fettgewebes: Demnach ist viszerales (Bauch-) Fett aufgrund einer Förderung chronischer-entzündlicher Prozesse problematischer als subkutanes Fettgewebe.
Zum Vergleich mit dem chronologischen Alter lässt sich das biologische Alter (Metabolic Age Score) bestimmen: „Durch die Messung verschiedener Metabolite im Urin kann man dabei feststellen, wie belastet und wie ‚alt‘ der Körperstoffwechsel ist. Das ermöglicht Vermutungen zum individuellen Krankheits-Risikoprofil und damit wahrscheinlich auch zum Demenz-Risiko“, erklärte Grabe. Ein niedrigeres metabolisches Alter wäre dabei als günstig zu werten.
Kognitiver Test ist oft das erste Diagnose-Instrument
„In der ärztlichen Praxis bietet sich bei Verdacht auf eine beginnende Demenz-Erkrankung zunächst meist die Durchführung eines einfachen kognitiven Tests wie des Mini-Mental-Status-Tests an“, empfahl Grabe im Gespräch mit Medscape. Das gelte für Patienten ab etwa 60 Jahre; bei Jüngeren mit frühen Demenzen in der Familienanamnese könnte es auch in Frage kommen, eine genetische Untersuchung zu veranlassen.
Ebenso ist es möglich, bei Verdacht auf ein erhöhtes Alzheimer-Risiko die Positronen-Emissions-Tomografie (Amyloid-PET) als diagnostischen Indikator zu nutzen. Damit sind die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques bereits vor Krankheitsausbruch nachweisbar, ihr Nachweis bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass der oder die Betreffende später tatsächlich eine Alzheimer-Demenz erleidet.
Für den Fall, dass Patienten „einfach nur so“ mal ihr Alzheimer-Risiko von ihrem Arzt beurteilt haben möchten, rät Grabe, gemeinsam mit ihnen einen Blick auf die oben genannten Risikofaktoren (körperliche Inaktivität, Fettleibigkeit, Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Depression) zu werfen.
Prävention lohnt immer, am besten natürlich frühzeitig
Primäre oder selbst sekundäre Demenz-Prävention zu betreiben scheint sich immer zu lohnen: „So deuten alle Daten darauf hin, dass es für positive Effekte nie zu spät ist, körperlich bzw. sportlich aktiv zu werden“, so Grabe. Bereits an Alzheimer Erkrankte würden (bei Bedarf mit entsprechender Betreuung) gerade auch sozial davon profitieren.
Am effektivsten für die Primärprävention ist es nach Meinung des Greifswalder Psychiaters allerdings, wenn nicht schon in der Kindheit, möglichst bis zum Alter von 40 Jahren mit regelmäßiger Bewegung etwa in Form von Ausdauersport zu beginnen: „Sport ist ein Ganzkörper-Stimulus und induziert eine Vielzahl von Stoffwechselprozessen, die in ihrer Gesamtheit protektiv wirken.“
„Selbst mit der besten Prävention wird es allerdings sicher nicht gelingen, die Alzheimer-Krankheit auszurotten“, gab Grabe zu bedenken. Deshalb seien ebenso pharmakologische Formen der Frühbehandlung – z.B. Amyloidplaques-abbauende Medikamente – notwendig. Hierzu wird zwar weltweit intensiv geforscht, ein Durchbruch ist jedoch bislang nicht in Sicht.
REFERENZEN:
1. Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit, 20. bis 22. Juni 2017, Berlin
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: „Demenz muss nicht sein“ – Experte gibt Tipps, welche 7 vermeidbaren Risikofaktoren am meisten zur Prävention beitragen - Medscape - 4. Jul 2017.
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