Eine Reit- oder eine Musiktherapie kann auch Jahre nach einem Schlaganfall noch zu relevanten Funktionsverbesserungen bei den Patienten führen. Eine randomisierte Studie aus Schweden zeigt, dass sich durch das Reiten und die Musik sowohl die Selbsteinschätzung der Patienten als auch objektive Parameter wie Griffstärke und Gleichgewicht verbessern lassen.

Prof. Dr. Christian Grefkes
„Es gab lange Zeit die Ansicht – und viele Leute vertreten diese heute noch –, dass man spätestens ein bis zwei Jahre nach einem Schlaganfall nichts mehr erreichen kann“, berichtet Prof. Dr. Christian Grefkes im Gespräch mit Medscape. Der Neurologe an der Universitätsklinik Köln sowie Leiter der Arbeitsgruppe „Rehabilitation kognitiver Störungen“ am Institut für Neurowissenschaften und Medizin des Forschungszentrums Jülich weiter: „Diese Studie zeigt, dass dem nicht so ist und auch nach mehreren Jahren noch relevante Verbesserungen erzielt werden können – insbesondere mit multimodalen Therapieverfahren, die mehrere Körpersinne gleichzeitig ansprechen.“
Die Therapien müssen „motivierend und umfassend“ sein und in einem „stimulierenden körperlichen und sozialen Umfeld stattfinden, um die Gehirnaktivität und Genesung zu fördern“, schreiben die Autoren um Dr. Lina Bunketorp-Käll vom Center for Brain Repair and Rehabilitation der Universität Göteborg.
Reiten, Musik oder keine Therapie
Bunketorp-Käll und ihre Kollegen untersuchten 123 schwedische Männer und Frauen im Alter von 50 bis 75 Jahren, die 10 Monate bis 5 Jahre zuvor einen Schlaganfall erlitten hatten. Sie wurden randomisiert einer Musiktherapie, einer Reittherapie oder der Kontrollgruppe ohne Therapie zugeteilt. Die Therapien fanden 12 Wochen lang zweimal wöchentlich statt.
Als primären Endpunkt wählten die Forscher die Selbsteinschätzung der Patienten. Auf einer visuellen Analog-Skala von 0 (keine Verbesserung) bis 100 (vollständige Genesung) mussten sie angeben, wie sie den Effekt der Therapien einschätzten. „Die Eigenbeurteilung der Patienten ist ein Parameter, der in Wissenschaft und Forschung immer mehr Beachtung findet“, sagt Grefkes. „Die Patienten entscheiden dabei selbst, ob ihnen die Therapie etwas gebracht hat.“
Patienten spüren dauerhafte Verbesserungen
Während in der Kontrollgruppe nur 17% der Patienten nach Ablauf der 12 Wochen eine Verbesserung angaben, waren es in der Gruppe mit Reittherapie 56% und in der Gruppe mit Musiktherapie 38%. Der Effekt der Therapien erwies sich zudem als anhaltend: „Auch 3 Monate sowie 6 Monate nach Therapieende war die Eigeneinschätzung der Patienten weiterhin verbessert“, schreiben die Wissenschaftler um Bunketorp-Käll.
Bei der Reittherapie bewegen sich die Patienten in einer multisensorischen Umgebung. Die dreidimensionalen Bewegungen des Pferderückens schaffen zudem eine sensorisches Erlebnis, dass dem menschlichen Gang ähnelt und so dem Schlaganfall-Patienten zugutekommt.
Bei der Musiktherapie hören die Patienten Musik, während sie rhythmische, kognitiv anspruchsvolle Hand- und Fußbewegungen auf visuelle und auditorische Reize hin ausführen.
Verbesserung objektiver Parameter
Die Wissenschaftler stellten fest, dass die beiden Therapieverfahren auch die objektiven, sekundären Endpunkte der Studie verbesserten: Auch das Gleichgewicht beim Gehen, die Griffstärke und kognitive Parameter wie das Arbeitsgedächtnis hatten sich in den beiden Therapiegruppen verbessert.
„Am weitaus effektivsten war die Reittherapie und damit das zeitlich aufwendigere Therapieverfahren“, so Grefkes. „Jedoch stellt sich auch die kritische Frage, wie spezifisch das Reiten die Verbesserungen hervorgerufen hat, und in wieweit die intensivere Zuwendung, die die Patienten im Therapiezeitraum erfahren haben, ebenfalls zum Therapieerfolg beigetragen hat.“
Psychologischer Effekt durch vermehrte Zuwendung?
Üblicherweise erhalten Patienten nach einem Schlaganfall nur in der subakuten Phase, also den ersten Wochen nach dem Ereignis, eine rehabilitative Maßnahme. „Nach Abschluss der Therapiemaßnahmen in der Rehaklinik fallen Patienten mit weiterhin bestehenden Defiziten nicht selten in ein therapeutisches Loch“, berichtet Grefkes. „Danach gibt es kaum einen systematischen Reha-Plan. Viele Patienten erhalten auch keine Krankengymnastik mehr und können sich durch die Inaktivität leider auch wieder verschlechtern. Heute wissen wir, dass ein dauerhaftes, in der Regel lebenslanges Training nötig ist, damit Schlaganfall-Patienten mit körperlichen Einschränkungen das für sie bestmögliche Funktionsniveau erreichen.“
Grefkes schließt nicht aus, dass die Therapiemaßnahmen in der Studie einen starken psychologischen Effekt gehabt haben könnten, insbesondere weil der Therapieeffekt gegen eine Gruppe von Patienten getestet wurde, die keine Therapien erhalten haben. „Allerdings können eine vermehrte Zuwendung und dadurch entstehende psychologische Effekte für Patienten ebenso wichtig sein wie objektiv messbare Funktionsverbesserungen“, betont er.
„Das patientenzentrierte Vorgehen der Studie mit der Eigeneinschätzung als primärem Endpunkt macht den Wert der Studie aus, kann aber auch als Kritikpunkt gesehen werden, vor allem weil die Kontrollgruppe keine Therapie erhalten hat“, so Grefkes. Auch war die Studie nicht geeignet, um Unterschiede zwischen der Reit- und Musiktherapie aufzudecken.
„Am Ende muss der Nutzen dieser Therapieverfahren klar in Beziehung gesetzt werden zu dem Aufwand und den Kosten, die vor allem bei der Reittherapie nicht unerheblich sind“, gibt Grefkes zu bedenken. Letztlich zeige die Studie erfolgversprechende Therapieverfahren auf, die aber noch in einer deutlich größeren randomisierten Studie bestätigt werden müssten.
Therapien auch für Patienten mit leichterem Behinderungsgrad?
Interessant wäre zudem, in weitere Studien auch Patienten mit geringerem Behinderungsgrad aufzunehmen, betont Grefkes. Die Patienten in der Studie von Bunketorp-Käll und ihren Kollegen wiesen einen Behinderungsgrad von 2 bis 3 auf der modifizierten Rankin-Skala auf, waren also „schwerer betroffen“, so Grefkes.
Leicht betroffene Patienten, die nur geringe Einschränkungen haben, wurden nicht untersucht. Doch wahrscheinlich würden diese ebenfalls profitieren, denn, so Grefkes, „wir wissen aus früheren Untersuchungen, dass die funktionelle Reserve des Gehirnes eine wichtige Rolle spielt für den Wiedergewinn von motorischen und kognitiven Fähigkeiten. Und sie ist bei Patienten mit kleinen Schlaganfallschädigungen in der Regel besser ausgeprägt als bei Patienten mit einem schweren Schlaganfall.“
REFERENZEN:
1. Bunketorp-Käll L, et al: Stroke 2017;48:1916-1924
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Diesen Artikel so zitieren: Schlaganfall-Reha zu Pferd: Selbst Jahre danach sind mit Reit- und Musiktherapie noch Besserungen zu erzielen - Medscape - 29. Jun 2017.
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