Berlin – Der böse Feind ist nicht besiegt, aber geschwächt. Die Rede ist von Krebs. Auf dem Berliner Hauptstadtkongress diskutierten Experten die Zukunft der Behandlung von Tumorpatienten. Dank der neuen Medikamente sind manche Krebserkrankungen, die früher noch tödlich endeten, zur chronischen Erkrankung geworden, mit der die Patienten viele Jahre leben, betonte Prof. Dr. Dirk Jäger, Geschäftsführender Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. „Das ist eindeutig ein Erfolg.“

Prof. Dr. Dirk Jäger
„Wir sehen mit neuer Medikation neue dauerhafte Tumorkontrollen“, so Jäger weiter. Überlebenszeiten, etwa beim Malignen Melanom, die früher bei etwa einem Jahr lagen, „liegen heute bei 10 Jahren. Die Chronifizierung ist ein klarer Gewinn für die Patienten“, sagte Jäger. Sie hat allerdings auch ihren Preis: So kosten zielgerichtete Immuntherapeutika wie die PD1-Inhibitoren rund 12.000 Euro pro Monat und Patient. „Andere Medikamente kosten an die 30.000 Euro pro Patient und Monat – und wir wissen nicht, wie lange wir die Patienten im Einzelfall damit behandeln werden“, sagte Jäger.
G-BA: Chronifizierung sei Ausnahmefall
Damit war auf dem Workshop das eigentliche Problem moderner Krebstherapien formuliert: Was darf und will sich die Gesellschaft die Fortschritte in der Krebstherapie kosten lassen? Wie wird eine finanzierbare Tumorbehandlung und Tumorkontrolle in Zukunft aussehen? Der Vertreter des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) auf dem Podium, Dr. Florian Jantschak, Referent für Arzneimittel, goss Wasser in den Wein. „Die Chronifizierung ist eher der Ausnahmefall“, meinte er und bezog sich auf die Ergebnisse der Nutzenbewertung einiger neuer Krebsmedikamente: „Nur 3 nutzenbewertete Produkte konnten das Leben der Patienten über 12 Monate verlängern. Und das galt ja auch nicht für alle Patienten“, sagte Jantschak.
Krebs indessen habe als die „verdammt häufige Krankheit“ erst deshalb entstehen können, „weil es uns besser geht“, sagte der Leiter des IGES-Institutes Prof. Dr. Bertram Häussler. Dass rund die Hälfte aller Deutschen (49% aller Frauen und 51% aller Männer) irgendwann in ihrem Leben an Krebs erkranken, liegt auch daran, dass die Todesfälle an Infektionskrankheiten oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen abgenommen haben. Damit habe die Krebssterblichkeit massiv zugenommen.
„Zwischen 1930 und 1990 hat sie sich verzehnfacht“, erklärte Häussler. Seit 1990 bis heute sei sie aber wieder um 25% gesunken – nicht zuletzt dank der neuen Medikamente. Durch die Zunahme der Überlebenszeiten leben heute in Deutschland insgesamt mehr als 4 Millionen Menschen mit Krebs. „Allerdings nimmt die absolute Zahl der Todesfälle durch Krebs zu, wenn auch je nach Krebsart mit sehr unterschiedlicher Fatalität. So sterben 97% der Patienten mit Pankreas-Krebs an ihrer Krankheit. Bei Patienten mit Hodenkrebs sind es nur 4%, erklärte Häussler.
Dass die Versorgung von über 4 Millionen Krebspatienten sehr teuer ist, weiß auch er. „Aber je mehr Patienten wir behandeln, umso stärker werden erfahrungsgemäß auch die Preise für die Medikamente sinken“, sagte Häussler. Krebsmedikamente seien im Vergleich zu allen Medikamenten, die nach den Maßgaben des AMNOG beurteilt wurden, die Gruppe mit den wenigsten „Nieten“, also Fällen, in denen ein Zusatznutzen nicht belegt werden konnte. Sie seien „recht erfolgreiche Arzneimittel“.
Neue Studien-Endpunkte gefordert
Dr. Patrick Horber, Vertreter des Pharmaherstellers AbbVie Deutschland, betonte ebenfalls: „Die Chance ist gewachsen, Krebs zu überleben. Und wir wollen die Chronifizierung weiter vorantreiben.“ Bei Brustkrebs oder Leukämie beispielsweise sei die Sterblichkeit dramatisch gesunken: „Anfang der 90er-Jahre überlebten 30 Prozent eine Leukämie. Heute sind es an die 90 Prozent.“
Trotz dieser Erfolge forderte Horber aber neue Endpunkte und neue Perspektiven, um den Nutzen eines Medikamentes zu bewerten. „Das Gesamtüberleben hat nicht mehr die Aussagekraft wie früher“, meinte er. Ein neuer Endpunkt könne zum Beispiel die „time to next treatment“ sein, also der Abstand zwischen den einzelnen Behandlungen, schlug er vor.
Das mochte Jantschak vom G-BA nicht unterschreiben. „Wir haben zum Stichtag 15. Mai 2017 insgesamt 79 gültige Nutzenbewertungen von Onkologika gemacht“, so Jantschak. „70 Prozent haben mit Zusatznutzen abgeschnitten, ein Drittel sogar mit beträchtlichem Zusatznutzen.“ Dabei habe der G-BA auch Kriterien wie die Lebensqualität beurteilt, nach Nebenwirkungen und Symptom-Verbesserungen. „Diese Aspekte sind genauso wichtig und fließen in die Bewertung ein. Wir brauchen deshalb keine neuen Endpunkte, sondern neue Studien, die sich auf diese ergänzenden Aspekte konzentrieren.“
„Chronifizierung nur zweitbestes Ziel“
Dr. Ulrike Holtkamp von der Stiftung Deutsche Leukämie & Lymphom-Hilfe betonte: „Der Patient will geheilt werden, er möchte möglichst wenige Nebenwirkungen durch die Medikamente, und er will die Therapie auch irgendwann wieder beenden.“ Die Chronifizierung von Krebs sei daher nur das „zweitbeste Ziel“, sagte Holtkamp. Sie sei nur zu akzeptieren, wenn mehr auf die Lebensqualität geachtet werde.
Jäger widersprach dem in seinem Schlusswort: „Man kann nicht unbedingt Heilung erwarten. Ich kann mit dem Endpunkt Chronifizierung happy sein. Für mich ist sie ein Riesenerfolg.“
REFERENZEN:
1. Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit, 20. bis 22. Juni 2017, Berlin
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Krebs auf dem Weg von der tödlichen zur chronischen Krankheit – aber was dürfen die Therapiefortschritte kosten? - Medscape - 28. Jun 2017.
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