Durchfall-Erkrankungen gehören nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der GBD Diarrhoeal Diseases Collaborators unter der Leitung von Christopher Troeger vom Institute for Health Metrics and Evaluation in Seattle. Sie haben die Analyse im Rahmen der Global Burden of Diseases, Injuries, and Risk Factors Study 2015 (GBD 2015) unter dem Sponsoring der Bill & Melinda Gates Stiftung erstellt und in der Zeitschrift Lancet veröffentlicht [1]. Mittelfristig erwarten sie jedoch weniger Sterbefälle und eine sinkende Krankheitslast durch Diarrhoen.
„Hier handelt es sich um eine methodisch sehr umfassende Studie“, sagt Prof. Dr. Gérard Krause, Abteilungsleiter Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, zu Medscape. „Dass der Trend weiter nach unten geht, ist schon seit einigen Jahrzehnten zu beobachten, wenn auch nicht so rasch wie erwünscht.“
1,3 Millionen Tote aufgrund von Durchfall-Erkrankungen
Troeger und seine Kollegen fanden heraus, dass Durchfall-Erkrankungen mit 1,31 Millionen Sterbefällen im Jahr 2015 weltweit zu den häufigsten Todesursachen gehören. Sie ermittelten 71,59 Millionen DALYs (disability-adjusted life years) aufgrund von Diarrhoen. DALYs erfassen nicht nur die Sterblichkeit, sondern auch Beeinträchtigungen des normalen, beschwerdefreien Lebens durch Krankheiten.
Beim Projekt Global Burden of Disease (GBD) werden seit 1992 Todesfälle, Krankheiten, Behinderungen und Risikofaktoren auf Basis regionaler Statistiken ausgewertet (wie Medscape berichtete). Dabei setzten Troeger und seine Kollegen auf das Cause of Death Ensemble-Modell (CODEm), ein speziell entwickeltes statistisches Tool, um aus heterogenen Datensätzen Todesursachen und die Krankheitslast quantitativ zu ermitteln.
Als häufigste Pathogene für Durchfall-Erkrankungen werden genannt:
Rotaviren (199.000 Todesfälle),
gefolgt von Shigella-Bakterien (164.300 Todesfälle) und
Salmonellen (90.300 Todesfälle).
Bei Kindern unter 5 Jahren spielen Rotaviren, Cryptosporidium und Shigella die größte Rolle.
Krause ergänzt: „Rotavirus- und Salmonellen-Infektionen treten auch in Deutschland häufig auf. Allerdings ist die Sterblichkeit um Dimensionen niedriger als in schlecht entwickelten Ländern.“
Maßnahmen rund um Hygiene und Versorgung zeigen ihre Wirkung
Wie sich jetzt zeigt, griffen zwischen 2005 und 2015 zahlreiche Maßnahmen rund um Hygiene von Wasser und Nahrung. In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der Todesfälle um 20,8% verringert. DALYs sind speziell bei Kindern aufgrund besserer Wasserversorgung und Kanalisation um 13,4% nach unten gegangen. Durch bessere Lebensmittel in ausreichender Menge berechneten die Autoren eine weitere Reduktion um 10,0%.
„Weltweit sind die Todesfälle aufgrund von Diarrhoe in den vergangenen 25 Jahren deutlich zurückgegangen, obwohl der Fortschritt nicht in allen Ländern gleich groß war“, resümiert Troeger. Er weist auf bestehende Defizite hin und fordert einen noch besseren Zugang zu sauberem Wasser und weitere Optimierungen bei der Ernährung von Kindern.
Krause erklärt den Trend ebenfalls mit besseren Infrastrukturen. Dazu gehören ausreichend viele Brunnen, Leitungen und Chlorierungsanlagen. Er sieht aber weitere Argumente: „Die Sterblichkeit wurde maßgeblich durch Elektrolytmischungen wie die WHO-Trinklösung gesenkt.“ Es handele sich um eine „kostengünstige, mittlerweile stark verbreitete Therapie“, die auch ohne medizinisches Personal durchgeführt werden könne.
Ob die recht neue Impfung gegen Rotaviren bei der hier beobachteten Senkung der Erkrankungshäufigkeit bereits einen maßgeblichen Beitrag geleistet habe, lässt sich Krause zufolge noch nicht abschätzen. „Hier sind weitere Studien abzuwarten.“
Ergebnisse kritisch hinterfragen
In einem begleitenden Kommentar rät Prof. Dr. Christopher J. Gill vom Department of Global Health der Boston University School of Public Health, vermeintlich optimistische Trends skeptisch zu betrachten [2]. Er berichtet von methodischen Einschränkungen der GBD-Studie.
So seien Daten in manchen Fällen veraltet oder unvollständig. „Das Fehlen einer soliden Statistik könnte selbst ein Symptom eines schwachen oder versagenden Gesundheitssystems in diesen Ländern sein“, schreibt Gill. Krause bestätigt dies aufgrund eigener wissenschaftlicher Erfahrungen: „Die Datenlage ist erfahrungsgemäß dort am besten, wo es die geringsten Probleme gibt.“
Am Beispiel Liberias zeigt Gill, welche Schwierigkeiten es in der Praxis gab. Für den Staat an der westafrikanischen Atlantikküste berichten Troeger und seine Mitautoren, DALYs aufgrund von Diarrhoe seien zwischen 2005 und 2015 um 35% gefallen. Diese Erkenntnis stützt sich auf 3 methodisch schwache Quellen: eine mehr als 10 Jahre alte Autopsie-Studie mit 25 Fällen, eine Studie aus 1984 mit Daten aus 2 Regierungsbezirken Liberias und eine Website mit WHO-Daten zu Cholera. „Anders ausgedrückt: Es gibt keine aktuellen, repräsentativen und robusten Daten aus Liberia“, fasst Gill zusammen.
Das GBD-Team veröffentliche seine Quellen zwar mit großer Transparenz. Allerdings fehlten vielen Laien, dazu gehörten auch Politiker, die Zeit und das epidemiologische Wissen, um Veröffentlichungen richtig einzuschätzen. Gill: „Stattdessen akzeptieren sie die GBD-Schätzungen als gegebene Größe und als Basis für mögliche Entscheidungen.“
REFERENZEN:
1. Troeger C, et al: The Lancet Infectious Diseases (online) 1. Juni 2017
2. Gill CJ, et al: The Lancet Infectious Diseases (online) 1. Juni 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Durchfall-Erkrankungen weltweit: Rückläufiger Trend bei Morbidität und Mortalität, aber immer noch großer Handlungsbedarf - Medscape - 23. Jun 2017.
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