Patienten, die einen Schlaganfall oder Herzinfarkt hatten, erhalten meist lebenslang eine Plättchenhemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS) oder Clopidogrel. Möglicherweise wurde dabei bislang die Gefahr schwerer Blutungen besonders bei älteren Patienten unterschätzt. Dies legt eine prospektive Kohortenstudie nahe, für die Patienten ausgewertet wurden, die für die Sekundärprävention ASS erhielten [1].
Demnach steigt die Inzidenz schwerer gastrointestinaler Blutungen ab dem 75. Lebensjahr steil an. Speziell das Risiko für tödlich verlaufende Blutungen sei stark erhöht gewesen, berichten die Autoren um Dr. Linxin Li vom Centre for Prevention of Stroke and Dementia der Universität von Oxford. Das Autorenteam empfiehlt, Patienten, die täglich ASS einnehmen, zusätzlich mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI) zu behandeln, um das Blutungsrisiko zu reduzieren.
Obwohl die meisten Leitlinien eine lebenslange Therapie vorsehen, fehlen wirklich langfristige Daten zu Nutzen und Risiken einer plättchenhemmenden Therapie bislang. „Randomisierte Studien, die den Nutzen einer plättchenhemmenden Therapie untersucht haben, hatten Beobachtungszeiträume zwischen 2 und 4 Jahren“, gibt Schlaganfall-Experte und Medscape-Neurologie-Blogger Prof. Dr. Hans-Christoph Diener vom Universitätsklinikum Essen in einem begleitenden Kommentar zu bedenken [2]. Möglicherweise sei das Risiko für gastrointestinale Blutungen bei Patienten über 75 Jahren bislang unterschätzt worden.
Lange Nachbeobachtungszeit
Li und sein Team berichten über Blutungsereignisse in einer Gruppe von 3.166 Patienten, die nach einem ersten ischämischen Ereignis eine Plättchenhemmung – größtenteils ASS – erhalten hatten und 10 Jahre lang prospektiv nachbeobachtet wurden. Die Hälfte der Patienten war 75 Jahre oder älter.
Insgesamt kam es zu 405 Blutungen: 218 im Magen-Darm-Trakt, 45 im Gehirn und 142 an anderen Körperstellen. Das Risiko für leichtere Blutungen stand in keiner Beziehung zum Alter der Patienten. Doch bei den schweren sowie tödlich verlaufenden Blutungen ergab sich eine signifikante Assoziation mit dem Alter der Patienten: Ab dem 75. Lebensjahr stieg die Inzidenz steil an (HR 3,10). Das Risiko war für tödliche Blutungen besonders stark erhöht (HR 5,53) – und dies galt über die gesamte Beobachtungszeit.
Blutungen führen oft zum Tod
Gleiches galt für schwere Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt: Bei Patienten über 75 Jahren war das Risiko für schwere Blutungen in dieser Lokalisation um das 4-Fache erhöht (HR 4,13), das Risiko für Magen-Darm-Blutungen, die zu Behinderungen oder zum Tod führten, sogar um das 10-Fache (HR 10,26).
Bei Patienten über 75 Jahren führten die meisten schweren Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt zu Behinderung oder Tod: 62% im Vergleich zu 25% bei jüngeren Patienten. Der Anteil an gastrointestinalen Blutungen, die zu Behinderung oder Tod führten, war höher als der Anteil an entsprechenden ischämischen Schlaganfällen und Hirnblutungen.
PPI-Behandlung nur bei einem Drittel der Patienten
Li und seine Kollegen berichten, dass ein Jahr nach dem ischämischen Ereignis 33% der überlebenden Patienten mit einem PPI behandelt wurden. Um über 5 Jahre eine zur Behinderung oder zum Tod führende Blutung im oberen Gastrointestinaltrakt zu verhindern, mussten bei den unter 65-Jährigen 338 Personen mit einem PPI behandelt werden, bei den über 85-Jährigen sank die Number-needed-to-treat (NNT) auf nur 25.
„Angesichts dessen, dass die Hälfte der schweren Blutungen bei den über 75-jährigen Patienten den oberen Gastrointestinaltrakt betrafen und die geschätzte NNT für den routinemäßigen Einsatz von PPI niedrig ist, sollte zur gleichzeitigen Verschreibung [von Plättchenhemmern und PPI] ermutigt werden“, schlussfolgern die Autoren um Li.
Nutzen und Risiken regelmäßig überprüfen
Diener schlussfolgert aus den Ergebnissen, dass „bei einer langfristigen plättchenhemmenden Therapie Nutzen und Risiken bei Patienten über 75 Jahren alle 3 bis 5 Jahre überprüft werden sollten“. Außerdem spreche die Studie für den Einsatz von PPI bei Patienten, die eine Plättchenhemmung erhalten und über 75 Jahre alt sind oder schon einmal eine gastrointestinale Blutung hatten. „PPI werden bei Patienten mit plättchenhemmender Therapie zu selten eingesetzt, möglicherweise da die Konsequenzen einer Gastrointestinalblutung bei älteren, mit ASS behandelten Patienten unterschätzt werden.“
REFERENZEN:
1. Li L, et al: Lancet (online) 13. Juni 2017
2. Diener HC: Lancet (online) 13. Juni 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Plättchenhemmung mit ASS: Risiko schwerer und tödlicher Blutungen bei über 75-Jährigen bis zu 10-mal höher – PPI dazu geben? - Medscape - 22. Jun 2017.
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