Chicago – In der Erstlinienbehandlung überleben Patienten mit fortgeschrittenem EGFR-mutiertem nichtkleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) mit Dacomitinib, einem neuen Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) der 2. Generation, länger progressionsfrei als mit Gefitinib, einem derzeitigen Standardtherapeutikum in der gezielten Behandlung dieser Erkrankung. Sie sprechen auch länger auf die Therapie an. Im Median dauerte es unter Dacomitinib 14,7 Monate bis die Erkrankung fortschritt, unter Gefitinib waren es 9,2 Monate. Damit ist das relative Risiko für Progression oder Tod unter dem neuen TKI um 41% geringer (Hazard-Ratio 0,59, p < 0,0001).

Prof. Dr. Tony Mok
Diese Ergebnisse der ersten randomisierte Phase-3-Studie ARCHER 1050 hat Prof. Dr. Tony Mok, Leiter der Abteilung für Klinische Onkologie, Chinese University, Hongkong, bei der Jahrestagung 2017 der ASCO (American Society of Clinical Oncology) vorgestellt [1].
Eine neue Option in der Erstlinie – allerdings toxischer
„Dacomitinib sollte als neue Therapieoption für die Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem EGFR-mutierten NSCLC in Betracht gezogen werden“, sagte Mok. Allerdings: Der neue Tyrosinkinase-Inhibitor erwies sich auch als toxischer als Gefitinib – darüber sollten die Patienten vor einer Therapieentscheidung aufgeklärt werden, so der Expertenrat.
Auch ASCO-Experte Prof. Dr. John V. Heymach, Universität von Texas MD Anderson Cancer Center, Houston, thematisierte in der ASCO-Pressekonferenz nicht nur die Erfolge, sondern auch die vermehrte Toxizität der neuen Substanz: „Wir sehen in dieser Studie ein um mehr als 5 Monate längeres progressionsfreies Überleben. Dies ist aus der Sicht eines Arztes, der Patienten mit Lungenkrebs behandelt, ein substanzieller Fortschritt.“
Und auf der anderen Seite: „Etwa 10 Prozent der Patienten litten unter Nebenwirkungen vom Grad 3 wie Hautreaktionen oder Durchfall. Und bei einer relativ hohen Zahl von Patienten musste die Dosis reduziert werden. Aber ich möchte betonen, dass es sich nicht um lebensbedrohliche Reaktionen handelte“, so Heymach weiter. „Bei Behandlung mit dieser Substanz ist ein enges Monitoring und eine sorgfältige Überwachung durch erfahrene Behandler notwendig.“
Dr. Sanjay Popat, Royal Marsden Hospital, London, erläuterte als Diskutant, dass es nun 7 Studien mit Tyrosinkinase-Inhibitoren in der Erstlinientherapie gebe, wobei er große Unterschiede zwischen den 4 bislang eingesetzten Substanzen Gefitinib, Erlotinib, Afatinib und Dacomitinib sieht. Gefitinib und Erlotinib hemmen Tyrosinkinasen reversibel, während Afatinib und Dacomitinib irreversibel binden.
Die ARCHER-Studie habe gezeigt, dass Dacomitinib ein „neuer zusätzlicher Therapiestandard“ in der Erstlinientherapie des EGFR-mutierten NSCLC sei. Aufgrund der LUX-Lung-7-Daten könne man es auch als Alternative zu Afatinib ansehen. Die relativ hohe Nebenwirkungsrate erfordere jedoch eine individuelle Patientenselektion.
ARCHER-1050-Studie – erste Head-to-Head-Studie mit Dacomitinib
Der neue TKI der 2. Generation Dacomitinib wirkt über eine irreversible Hemmung von EGFR/HER1, HER2 und HER. In einer einarmigen Phase-2-Studie (ARCHER 1017) lag die Ansprechrate mit Dacomitinib in der Erstlinientherapie bei 75,6% und die mediane Zeit bis zur Progression (PFS) bei 18,2 Monaten.
Dies war die Basis auf der Mok und Kollegen nun Dacomitinib und Gefitinib als Erstlinientherapie in der offenen, randomisierten ARCHER-1050-Studie untersucht haben. Die Phase-3-Studie schloss in 71 Zentren in 7 Ländern 452 therapienaive Patienten ein, diese hatten ein fortgeschrittenes EGFR-mutiertes NSCLC. Mok erklärte dies damit, dass man zum Zeitpunkt der Studienplanung noch keine Kenntnisse zur ZNS-Gängigkeit von Dacomitinib gehabt habe. Die Patienten wurden nach Herkunft (Asiaten vs. Nicht-Asiaten) und nach EGFR-Mutationstyp (Exon 19 vs Exon 21) stratifiziert.
Randomisiert erhielten 227 Patienten Dacomitinib (45 mg/Tag), 225 Patienten Gefitinib (250 mg/Tag). Primärer Endpunkt war das verblindet und unabhängig beurteilte progressionsfreie Überleben (PFS). Die demographischen Parameter der beiden Gruppen waren ähnlich. Das mediane Alter lag bei 62 Jahren, rund 75% waren Asiaten, 64% Nichtraucher, 28% Ex-Raucher. 59% wiesen eine Exon-19-Deletion und 41% eine Exon-21-Mutation auf.
Bei Asiaten besonders gut wirksam?
Dacomitinib verlängerte den primären Endpunkt, das mediane PFS von 9,2 auf 14,7 Monate (Hazard-Ratio 0,59, p < 0,0001). Die Kurven des PFS begann sich nach etwa 5 Monaten zu teilen, nach 24 Monaten lebten in der Dacomitinib-Gruppe 30,6% der Patienten und in der Vergleichsgruppe 9,6% ohne weitere Progression der Erkrankung. Die Wirksamkeit zeigte sich in nahezu allen Subgruppen, jedoch profitierten Nicht-Asiaten von Dacomitinib mit einer HR von 0,89 weniger gut. Mok meint, dass die relativ geringe Zahl an Patienten in dieser Gruppe (n = 106) für das Ergebnis eine Rolle gespielt haben könnte.
Auf Dacomitinib sprachen 74,9% der Patienten an, auf Gefitinib 71,6%. Signifikant unterschiedlich war die Dauer des Ansprechens mit 14,8 Monaten unter Dacomitinib und 8,3 Monaten unter Gefitinib (p < 0,0001). Die Daten zum Gesamtüberleben sind noch nicht reif, zum Zeitpunkt der Datenanalyse waren erst 36,9% der Patienten gestorben.
„Die höhere Potenz ging mit einer höheren Toxizität einher“, fasste Mok das Ergebnis zusammen. Als häufigere Nebenwirkungen von Dacomitinib im Schweregrad 3 nannte er Durchfall (8,4 vs 0,9%), Paronychie (7,5 vs 1,3%), akneiforme Dermatitis (13,7% vs 0%) und Stomatitis (3,5 vs 0,4%). Unter Gefitinib kam es häufiger zu einem Anstieg der Leber-Transaminasen (8,5 vs 0,9%). Wegen unerwünschter Wirkungen musste die Therapie bei 9,7% der Dacomitinib- und bei 6,7% der Gefitinib-Patienten abgebrochen werden. In der Dacomitinibgruppe musste die Dosierung bei 66,1% der Patienten modifiziert werden, während dies unter Gefitinib nur bei 8% der Patienten erforderlich war.
REFERENZEN:
1. ASCO Annual Meeting 2017, 2. bis 6. Juni 2017, Chicago/USA
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Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: EGFR-mutierter Lungenkrebs: Neuer Tyrosinkinase-Inhibitor verzögert Progression um 5 Monate – mit mehr Nebenwirkungen - Medscape - 19. Jun 2017.
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