San Diego – Der SGLT2-Inhibitor Canagliflozin (Invokana®, Janssen) reduziert bei Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes die kardiovaskuläre Ereignisrate um relativ 14%. Das Antidiabetikum schützt zudem die Nieren. Das hat allerdings seinen Preis: Das Risiko für Amputationen verdoppelte sich unter der Therapie mit Canagliflozin. So lauten die Hauptergebnisse der großen Endpunktstudie „Canagliflozin CardioVascular Assessment Study“ (CANVAS), die bei den Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA) in San Diego vorgestellt und zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert worden ist [1;2].

Prof. Dr. Wilhelm Krone
Canagliflozin ist nach Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Lilly) der zweite SGLT2-Inhibitor, für den – zusätzlich zu seiner antidiabetischen Wirkung – ein kardiovaskulärer Nutzen gezeigt werden konnte. „Im vorletzten Jahr wurde die EMPA-REG OUTCOME-Studie publiziert, in der ebenfalls Typ-2-Diabetiker mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko untersucht wurden. Dabei fand sich erstmals bei einem Antidiabetikum eine Reduktion der kardiovaskulären Endpunkte“, erinnert Prof. Dr. Wilhelm Krone, einer der Leiter der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Präventivmedizin (PEDP) am Universitätsklinikum Köln, im Gespräch mit Medscape. „Das Risiko eines Herzinfarktes, Schlaganfalles oder kardiovaskulären Todes wurde mit Empagliflozin absolut um 1,6% und relativ um 14% gesenkt. Die kardiovaskuläre Letalität wurde von 5,9 auf 3,7% um relative 38% und die Gesamtletalität von 8,3 auf 5,7% um relative 32% gesenkt“, fasst er die damaligen Ergebnisse zusammen.
Hinweis auf Klasseneffekt
Die Daten aus CANVAS deuteten nun darauf hin, dass es sich bei dem kardiovaskulären und renalen Zusatznutzen der SGLT2-Inhibitoren um einen Klasseneffekt handeln könnte, erklärt CANVAS-Erstautor Prof. Dr. Bruce Neal von der University of New South Wales in Sydney, Australien, gegenüber Medscape. „Wir haben hier ein zweites Medikament, das eindeutig schützt. Im Hinblick auf die einzelnen Endpunkte gibt es gewisse Unterschiede, aber das war bei den kleinen Zahlen zu erwarten. Doch ich bin sicher, diese Daten werden – und sollten – als starke neue Evidenz dafür angesehen werden, dass es sich um eine großartige neue Klasse von Arzneimitteln für Menschen mit Diabetes handelt“, resümiert er.
Das CANVAS-Programm besteht aus 2 Schwesterstudien – CANVAS und CANVAS-R – die gemeinsam ausgewertet worden sind. Eingeschlossen waren insgesamt 19.142 Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risiko. Anders als in der EMPA-REG-OUTCOME-Studie, in der alle Teilnehmer eine etablierte kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen, war dies in CANVAS nur bei 2 Dritteln der Fall. Im Schnitt wurden sie 3,5 Jahre nachbeobachtet.
Die Patienten erhielten entweder Canagliflozin oder Placebo (dies zusätzlich zur antidiabetischen Basis-Therapie). Im Schnitt wurden sie 3,5 Jahre nachbeobachtet. Ebenso wie mit Empagliflozin konnte auch mit Canagliflozin der primäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Myokardinfarkt oder nicht-tödlicher Schlaganfall) gesenkt werden: Das absolute Risiko sank um 4,6%, das relative Risiko um 14%.
Die kardiovaskuläre Mortalität nahm unter Canagliflozin absolut um 1,2%, und relativ um 13% ab, die Gesamtmortalität um absolut 2,2% und relativ 13%. Anders als der primäre Endpunkt erreichten die Ergebnisse zu kardiovaskulärer und Gesamtmortalität allerdings keine statistische Signifikanz.
Wie auch schon Empagliflozin verbesserte auch Canagliflozin verschiedene renale Endpunkte: Unter Canagliflozin kam es seltener zu einer Progression der Albuminurie als unter Placebo (89,4 vs. 128,7 Patienten pro 1.000 Patientenjahre). Außerdem schnitten die Canagliflozin-Patienten auch beim Erreichen des kombinierten renalen Endpunktes (Verlust der glomerulären Filtrationsrate, Dialysepflicht oder Tod durch renale Ursachen) besser ab als die Patienten in der Placebogruppe (5,5 vs. 9,0 Patienten pro 1.000 Patientenjahre).
Risikoreduktion mit Schattenseite
Allerdings hatte Neal bei seiner Präsentation in San Diego nicht nur Positives zu berichten: Während die Analyse der meisten Nebenwirkungen unter Canagliflozin keine Überraschungen zu Tage förderte, waren Amputationen vor allem an den unteren Gliedmaßen um den Faktor 2 erhöht. In der Canagliflozin-Gruppe mussten bei 6,3 Patienten pro 1.000 Patientenjahre Zehen, Füße oder Beine (bei 71% war die Amputation maximal auf Höhe des Metatarsalgelenks) amputiert werden, in der Placebogruppe bei 3,4 Patienten pro 1.000 Patientenjahre.
Das erhöhte Amputationsrisiko unter Canagliflozin war bereits aufgefallen, bevor die Studie beendet war. Im Mai dieses Jahres ergänzte die US-Arzneimittelbehörde FDA den Beipackzettel von Canagliflozin um einen entsprechenden Warnhinweis, in der Europäischen Union müssen alle SGLT2-Inhibitoren mit einem Warnhinweis versehen werden.
Unklar, ob alle SGLT2-Inhibitoren betroffen sind
Ob es sich beim erhöhten Amputationsrisiko allerdings tatsächlich um einen Klasseneffekt handelt, ist unklar. In der EMPA-REG-OUTCOME-Studie wurden ursprünglich keine Daten zu Amputationen erhoben. Eine nach Aufkeimen des Verdachtes, dass SGLT2-Inhibitoren mit Amputationen assoziiert sein könnten, durchgeführte Post-hoc-Analyse hat laut Studienleiter Dr. Silvio Inzucchi, Yale University, New Haven, kein entsprechendes Sicherheitssignal ergeben.
Neal betonte, dass es sich um eine relativ seltene Komplikation handele, die nun aber unter intensiver Beobachtung stehe. Die entsprechenden Daten aus EMPA-REG OUTCOME retrospektiv herauszufiltern, dürfte aber schwierig sein, meinte er.
„Die verschreibenden Ärzte und die Patienten müssen die positiven und negativen Ereignisse in der CANVAS-Studie bei der klinischen Entscheidungsfindung gegeneinander abwägen. Und das wird mit Sicherheit nicht so einfach sein wie bei den Ergebnissen der EMPA-REG-OUTCOME-Studie“, sagt Dr. John Buse von der University of North Carolina, Chapel Hill, gegenüber Medscape. Buse ist Erstautor der LEADER-Studie, in der der Effekt des GLP1-Agonisten Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk) auf kardiovaskuläre Outcomes untersucht worden sind.
„Man kann mit Sicherheit sagen, dass wir mehr kardiovaskuläre Ereignisse verhindern, als wir Amputationen verursachen“, betont Neal gegenüber Medscape. „Ich denke, die Abwägung von Nutzen und Risiko wird sehr stark zugunsten der SGLT2-Inhibition ausfallen – auch mit Amputationsrisiko.“
Auch Krone zieht ein positives Fazit: „Es ist interessant, dass die EMPA-REG-OUTCOME- und die CANVAS-Studien im Prinzip ähnliche Ergebnisse ergeben haben, so dass von einem Klasseneffekt der SGLT2-Hemmer ausgegangen werden muss.“
Bisher sei eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos allerdings nur bei Hochrisikopatienten beschrieben worden. „Es wäre interessant zu erfahren, ob auch Typ-2-Diabetiker ohne nachgewiesene manifeste koronare Herzkrankheit ähnlich von einer Gliflozin-Therapie profitieren“, so Krone.
REFERENZEN:
1. Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA), 9. bis 13. Juni 2017, San Diego/USA
2. Neal B, et al: NEJM (online) 12. Juni 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Risikoreduktion mit Schattenseiten: Zweiter SGLT2-Inhibitor punktet in CANVAS mit kardiovaskulärem Zusatznutzen - Medscape - 16. Jun 2017.
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