Risikoreduktion mit Schattenseiten: Zweiter SGLT2-Inhibitor punktet in CANVAS mit kardiovaskulärem Zusatznutzen

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

16. Juni 2017

San Diego – Der SGLT2-Inhibitor  Canagliflozin (Invokana®,  Janssen) reduziert bei Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes die kardiovaskuläre  Ereignisrate um relativ 14%. Das Antidiabetikum schützt zudem die Nieren. Das  hat allerdings seinen Preis: Das Risiko für Amputationen verdoppelte sich unter  der Therapie mit Canagliflozin. So lauten die Hauptergebnisse der großen  Endpunktstudie „Canagliflozin CardioVascular Assessment Study“ (CANVAS),  die bei den Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA) in San  Diego vorgestellt und zeitgleich im New  England Journal of Medicine publiziert worden ist [1;2].

Prof. Dr. Wilhelm Krone

Canagliflozin  ist nach Empagliflozin (Jardiance®, Boehringer Ingelheim/Lilly) der zweite SGLT2-Inhibitor, für den  – zusätzlich zu seiner antidiabetischen Wirkung – ein kardiovaskulärer Nutzen  gezeigt werden konnte. „Im vorletzten Jahr wurde die EMPA-REG  OUTCOME-Studie publiziert, in der ebenfalls Typ-2-Diabetiker  mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko untersucht wurden. Dabei fand sich  erstmals bei einem Antidiabetikum eine Reduktion der kardiovaskulären  Endpunkte“, erinnert Prof. Dr. Wilhelm  Krone, einer der Leiter der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und  Präventivmedizin (PEDP) am Universitätsklinikum Köln, im Gespräch mit Medscape. „Das Risiko eines  Herzinfarktes, Schlaganfalles oder kardiovaskulären Todes wurde mit  Empagliflozin absolut um 1,6% und relativ um 14% gesenkt. Die kardiovaskuläre  Letalität wurde von 5,9 auf 3,7% um relative 38% und die Gesamtletalität von 8,3 auf 5,7% um relative 32% gesenkt“, fasst er die damaligen Ergebnisse  zusammen.

Hinweis auf Klasseneffekt

Die  Daten aus CANVAS deuteten nun darauf hin, dass es sich bei dem kardiovaskulären  und renalen Zusatznutzen der SGLT2-Inhibitoren um einen Klasseneffekt handeln  könnte, erklärt CANVAS-Erstautor Prof. Dr. Bruce Neal von der University of New South Wales in Sydney, Australien,  gegenüber Medscape. „Wir haben hier  ein zweites Medikament, das eindeutig schützt. Im Hinblick auf die einzelnen  Endpunkte gibt es gewisse Unterschiede, aber das war bei den kleinen Zahlen zu  erwarten. Doch ich bin sicher, diese Daten werden – und sollten – als starke neue Evidenz dafür angesehen werden,  dass es sich um eine großartige neue Klasse von Arzneimitteln für Menschen mit  Diabetes handelt“, resümiert er.

Das  CANVAS-Programm besteht aus 2 Schwesterstudien – CANVAS und CANVAS-R – die  gemeinsam ausgewertet worden sind. Eingeschlossen waren insgesamt 19.142 Hochrisikopatienten mit Typ-2-Diabetes und hohem  kardiovaskulären Risiko. Anders als in der EMPA-REG-OUTCOME-Studie, in der  alle Teilnehmer eine etablierte kardiovaskuläre Erkrankung aufwiesen, war dies  in CANVAS nur bei 2 Dritteln der Fall. Im Schnitt wurden sie 3,5 Jahre  nachbeobachtet.

Die Patienten erhielten  entweder Canagliflozin oder Placebo (dies zusätzlich zur antidiabetischen  Basis-Therapie). Im  Schnitt wurden sie 3,5 Jahre nachbeobachtet. Ebenso wie mit Empagliflozin konnte auch mit  Canagliflozin der primäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher  Myokardinfarkt oder nicht-tödlicher Schlaganfall) gesenkt werden: Das absolute  Risiko sank um 4,6%, das relative Risiko um 14%.

Diese Daten … sollten als starke neue Evidenz dafür angesehen werden, dass es sich um eine großartige neue Klasse von Arzneimitteln für Menschen mit Diabetes handelt. Prof. Dr. Bruce Neal

Die kardiovaskuläre  Mortalität nahm unter Canagliflozin absolut um 1,2%, und relativ um 13% ab, die  Gesamtmortalität um absolut 2,2% und relativ 13%. Anders als der primäre  Endpunkt erreichten die Ergebnisse zu kardiovaskulärer und Gesamtmortalität  allerdings keine statistische Signifikanz.

Wie auch schon Empagliflozin  verbesserte auch Canagliflozin verschiedene renale Endpunkte: Unter  Canagliflozin kam es seltener zu einer Progression der Albuminurie als unter  Placebo (89,4 vs. 128,7 Patienten pro 1.000 Patientenjahre). Außerdem schnitten  die Canagliflozin-Patienten auch beim Erreichen des kombinierten renalen  Endpunktes (Verlust der glomerulären Filtrationsrate, Dialysepflicht oder Tod  durch renale Ursachen) besser ab als die Patienten in der Placebogruppe (5,5  vs. 9,0 Patienten pro 1.000 Patientenjahre).

Risikoreduktion mit Schattenseite

Allerdings hatte Neal bei  seiner Präsentation in San Diego nicht nur Positives zu berichten: Während die  Analyse der meisten Nebenwirkungen unter Canagliflozin keine Überraschungen zu  Tage förderte, waren Amputationen vor allem an den unteren Gliedmaßen um den  Faktor 2 erhöht. In der Canagliflozin-Gruppe mussten bei 6,3 Patienten pro 1.000 Patientenjahre Zehen, Füße oder Beine (bei 71% war die Amputation maximal auf  Höhe des Metatarsalgelenks) amputiert werden, in der Placebogruppe bei 3,4 Patienten pro 1.000 Patientenjahre.

Man kann mit Sicherheit sagen, dass wir mehr kardiovaskuläre Ereignisse verhindern, als wir Amputationen verursachen. Prof. Dr. Bruce Neal

Das  erhöhte Amputationsrisiko unter Canagliflozin war bereits aufgefallen, bevor  die Studie beendet war. Im Mai dieses Jahres ergänzte die  US-Arzneimittelbehörde FDA den Beipackzettel von Canagliflozin um einen  entsprechenden Warnhinweis, in der Europäischen Union müssen alle  SGLT2-Inhibitoren mit einem Warnhinweis versehen werden.

Unklar, ob alle  SGLT2-Inhibitoren betroffen sind

Ob es sich beim erhöhten Amputationsrisiko allerdings  tatsächlich um einen Klasseneffekt handelt, ist unklar. In der  EMPA-REG-OUTCOME-Studie wurden ursprünglich keine Daten zu Amputationen  erhoben. Eine nach Aufkeimen des Verdachtes, dass SGLT2-Inhibitoren mit  Amputationen assoziiert sein könnten, durchgeführte Post-hoc-Analyse hat laut  Studienleiter Dr. Silvio Inzucchi,  Yale University, New Haven, kein entsprechendes Sicherheitssignal ergeben.

Neal betonte, dass es sich um eine relativ seltene  Komplikation handele, die nun aber unter intensiver Beobachtung stehe. Die  entsprechenden Daten aus EMPA-REG OUTCOME retrospektiv herauszufiltern, dürfte  aber schwierig sein, meinte er.

„Die  verschreibenden Ärzte und die Patienten müssen die positiven und negativen  Ereignisse in der CANVAS-Studie bei der klinischen Entscheidungsfindung  gegeneinander abwägen. Und das wird mit Sicherheit nicht so einfach sein wie  bei den Ergebnissen der EMPA-REG-OUTCOME-Studie“, sagt Dr. John Buse von der University of North Carolina, Chapel Hill,  gegenüber Medscape. Buse ist  Erstautor der LEADER-Studie, in der der Effekt des  GLP1-Agonisten Liraglutid (Victoza®, Novo Nordisk) auf kardiovaskuläre Outcomes  untersucht worden sind.

Es ist interessant … dass von einem Klasseneffekt der SGLT2-Hemmer ausgegangen werden muss. Prof. Dr. Wilhelm Krone

„Man kann mit Sicherheit sagen,  dass wir mehr kardiovaskuläre Ereignisse verhindern, als wir Amputationen  verursachen“, betont Neal gegenüber Medscape.  „Ich denke, die Abwägung von Nutzen und Risiko wird sehr stark zugunsten der  SGLT2-Inhibition ausfallen – auch mit Amputationsrisiko.“

Auch  Krone zieht ein positives Fazit: „Es ist interessant, dass die EMPA-REG-OUTCOME- und die  CANVAS-Studien im Prinzip ähnliche Ergebnisse ergeben haben, so dass von einem Klasseneffekt der  SGLT2-Hemmer ausgegangen werden muss.“

Bisher sei eine Reduktion  des kardiovaskulären Risikos allerdings nur bei Hochrisikopatienten beschrieben  worden. „Es wäre interessant zu erfahren, ob auch Typ-2-Diabetiker ohne  nachgewiesene manifeste koronare Herzkrankheit ähnlich von einer Gliflozin-Therapie  profitieren“, so Krone.



REFERENZEN:

1. Scientific Sessions der  American Diabetes Association (ADA), 9. bis 13. Juni 2017, San Diego/USA

2. Neal B, et al: NEJM (online) 12. Juni 2017

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....