Befriedigend bis schlecht – so schätzt die Mehrheit (64,7%) der Assistenzärzte in Deutschland ihre aktuellen Arbeitsbedingungen an den Kliniken ein. Nur ein Drittel bezeichnet die Arbeitsbedingungen als sehr gut bis gut. Das ergab eine Umfrage des Hartmannbundes unter 1.331 Assistenzärzten [1].
„Das ist ganz ohne Frage der Hilferuf einer jungen Ärztegeneration, die so nicht mehr arbeiten will“, kommentiert der Hartmannbund-Vorsitzende, Dr. Klaus Reinhardt in einer Stellungnahme die Ergebnisse der Umfrage. Und trifft damit den Ton eines Teilnehmers der Umfrage, der seine Arbeitssituation mit den Worten „Höher. Schneller. Weiter. Ohne Rücksicht auf Verluste.“ kommentiert hatte.
„Die Aussage, die Umfrageergebnisse seien ein ‚Hilferuf einer jungen Ärztegeneration‘ können wir so nicht nachvollziehen“, sagt dazu Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) auf Nachfrage von Medscape. „Denn die Krankenhäuser sind auf dem richtigen Weg. Sie haben längst erkannt, dass sie gutes Personal nur dauerhaft an sich binden können, wenn Arbeit und Privatleben nebeneinander einen hohen Stellenwert genießen. Häufig wechselndes Personal verursacht zudem Kosten. Bei der Überstundendiskussion sollte nicht ausgeblendet werden, dass die ärztliche Facharztausbildung auch dem persönlichen Fortkommen dient.“
Problemfelder Arbeitszeit und Weiterbildung
65,1% der Befragten waren Frauen, 34,9% waren Männer, die meisten Befragten waren zwischen 26 und 29 Jahre alt. 30,4% der Assistenzärzte arbeiteten in einem kommunalen Krankenhaus, 20,4% in einer Universitätsklinik, 18,2% in einem Krankenhaus in privater Trägerschaft, 18,3% in einem kirchlichen Krankenhaus. Mit 16,7% waren die Internisten unter den Befragten am häufigsten vertreten, gefolgt von Anästhesisten (11,7%) und Orthopäden und Unfallchirurgen (9,5%).
Wo liegen die Gründe für die Unzufriedenheit unter den befragten Assistenzärzten? Bis zu 10 Überstunden und mehr pro Woche sind eher die Regel als die Ausnahme. Knapp die Hälfte der Befragten (48%) wurde schon einmal direkt oder indirekt von ihrem Arbeitgeber aufgefordert, Überstunden nicht zu dokumentieren. Die Hälfte der Befragten berichtet, dass Pausen selten bis nie eingehalten werden und 65% der Befragten sehen ihre Arbeitszeit als vom Arbeitgeber nicht objektiv und manipulationssicher erfasst.
Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihr Privatleben unter der Arbeit leidet (39% sagen „trifft zu“, 22,3% sagen „trifft eher zu“). Viele Assistenzärzte berichten von Schlafmangel und befürchten oder leiden an gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Beim Thema Weiterbildung fühlt sich nur knapp jeder Vierte „umfangreich in die Arbeit der Weiterbildung“ eingearbeitet.
Hinzu kommt: Eine strukturierte Weiterbildung mit definierten Jahreszielen ist noch immer die Ausnahme. Drei Viertel der Befragten können nach eigenen Angaben auf ein solches Angebot nicht zurückgreifen. Vergleichsweise gut schneiden die Chefs der Befragten ab. Mehr als 2 Drittel der Befragten geben an, dass in ihrer Abteilung Chef- und Oberärzte ihren Fragen offen gegenüber stehen, die Mehrzahl der Befragten fühlt sich durch ihren Hintergrunddienst gut betreut.
Krankenhaus ist vor allem ein Wirtschaftsbetrieb
„Wer aus Überzeugung und mit viel Idealismus Arzt geworden ist, der muss sich erst einmal damit abfinden, dass ein Krankenhaus vor allem auch ein Wirtschaftsbetrieb ist. Dies in Einklang mit seiner täglichen Arbeit und ambitionierter Patientenbetreuung zu bringen, ist für viele junge Ärzte eine echte Herausforderung“, sagt Theodor Uden, Sprecher des Ausschusses „Assistenzärzte im Hartmannbund“ dazu.
„Die Ökonomisierung des Medizinbetriebes hat eine Dimension erreicht, die die Rolle des Arztes massiv verändert. Das klassische ärztliche Handeln, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt, steht damit komplett zur Disposition. Wir haben einen der schönsten Berufe der Welt. Aber wenn sich nicht Entscheidendes ändert, dann werden bei vielen unserer jungen engagierten Kolleginnen und Kollegen an die Stelle von und Engagement bald Frust und Ernüchterung treten“, warnt Reinhardt.
Personalmangel als Problem erkannt – aber bislang nur in der Pflege
Laut Bundesärztekammer hat die Politik zwar das Problem der Überlastung des Personals an Kliniken erkannt und plant Regelungen für Personaluntergrenzen. Bisher allerdings nur für die Pflege und nicht für die Ärzte, kritisiert Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery. Der BÄK-Präsident fordert in einem aktuellen Videointerview auch eine Personaluntergrenze für den ärztlichen Dienst. „Ärzte leiden genauso unter der Arbeitsverdichtung und der Überlastung im Krankenhaus“, betont Montgomery.
Baum betont, dass sich schon einiges zum Besseren gewendet hat. „Personal ist der Schlüssel für alles. Für Krankenhäuser sind daher attraktive Arbeitsplätze – vor allem im ärztlichen Dienst – essentiell. Allein in den letzten 10 Jahren ist die Zahl der Ärzte in den Kliniken um rund 43.000 gestiegen. Schon heute existieren viele Initiativen zu familienfreundlichen Arbeitsbedingungen. So werden von den Kliniken aktiv Arbeitszeitmodelle, Kinderbetreuungsangebote oder auch Wiedereinstiegsmodelle vorangetrieben.
Darüber hinaus hat fachärztliche Weiterbildung für Krankenhäuser einen hohen Stellenwert, vielerorts wurden Mentoren-/Tutorenprogramme für Assistenzärzte an den Kliniken installiert. Und nicht zuletzt wurden auch die tariflichen Vergütungen für die Ärzte in den letzten Jahren erheblich verbessert“, zählt der DKG-Hauptgeschäftsführer auf.
Belastung durch Dokumentation beklagt
Die Dokumentationspflicht empfinden viele Befragte als Belastung. So hadern 40% mit mangelnder Behandlungszeit für ihre Patienten – häufig verursacht durch zeitaufwändige Dokumentationsarbeiten, die von insgesamt 70% der Befragten mit „bis zu 3 Stunden oder mehr“ angegeben werden.
„Viele Assistenzärzte können nicht begreifen, dass sie gezwungen sind, so viele Stunden ihrer Arbeitszeit nicht am Patienten, sondern an der Akte zu verbringen“, sagt Uden. Weniger als ein Drittel der Befragten wurde bei nichtärztlichen Leistungen (Kodieren, Sekretariatsarbeiten etc.) unterstützt.
Von einer echten Entlastung durch Hightech am Arbeitsplatz konnten nur wenige berichten: Nur rund 25% der Befragten empfinden die technische Ausstattung ihrer Klinik als gut. „Eine an den pflegerischen und ärztlichen Bedürfnissen orientierte Digitalisierung bietet eine riesige Chance, um die Zeit für den Patienten zu erhöhen“, betont Uden.
Der bürokratische Aufwand ist auch der DKG ein Dorn im Auge, wie Baum bestätigt: „Große Sorge bereitet uns die Bürokratie-Lawine im Krankenhaus. Schon heute verwenden unsere Ärzte und Pfleger rund 30 Prozent ihrer Zeit für Dokumentation und Bürokratie und damit immer weniger Zeit für unsere Patienten. Dieser Trend darf nicht weiter verstärkt werden. Ein ‚Entzerren der Dokumentationswut‘ wie in der Studie angesprochen, können wir nur ausdrücklich unterstützen.“
Flexibele Arbeitszeitmodelle gewünscht
Großer Handlungsbedarf scheint bei den Arbeitszeitmodellen zu bestehen. So können sich viele befragte Frauen und Männer vorstellen, einen gewissen Zeitraum zum Beispiel für ihre Familie auszusetzen oder in Jobsharing-Modellen zu arbeiten. Auch hinsichtlich der gewünschten Wochenarbeitszeit haben die jungen Ärzte genaue Vorstellungen: Die Mehrheit kann sich vorstellen, 30 bis 35 Wochenstunden bzw. 35 bis 40 Wochenstunden zu arbeiten. „Es gibt eine hohe Bereitschaft, im Bedarfsfall auch einmal Überstunden zu leisten. Gleichzeitig besteht aber der Wunsch nach verlässlicher Arbeitszeit, um z.B. ausreichend Zeit für die Familie zu haben“, fasst Uden zusammen.
Für den Hartmannbund jedenfalls sind die Umfrageergebnisse Anlass, weiter am Thema zu bleiben, wie Dörthe Arnold, stellvertretende Sprecherin des Hartmannbundes und für das Referat Assistenzärzte zuständig, gegenüber Medscape bestätigt. Ein erster Schritt dazu war das Hartmannbund-Symposium „Ärztliches Arbeiten 4.0“ Anfang April in Berlin, auf dem die Arbeitsbedingungen von Assistenzärzten thematisiert wurden.
REFERENZEN:
1. Hartmannbund: Umfrage unter Assistenzärzten, 3. März 2017
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Diesen Artikel so zitieren: „Höher. Schneller. Weiter. Ohne Rücksicht auf Verluste“ – Assistenzärzte überwiegend unzufrieden mit Arbeitsbedingungen - Medscape - 14. Jun 2017.
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