San Diego – Fanden die spektakulären kardiovaskulären Endpunktstudien in der Diabetologie bislang vor allem mit den neuen Antidiabetika statt, ziehen nun die Insuline nach. Im Vergleichstest in der beim Kongress der American Diabetes Association (ADA) 2017 vorgestellten DEVOTE-Studie: die beiden lang wirkenden Basalanaloga Insulin degludec (Tresiba®) und Insulin glargin (Lantus®) [1].
Degludec: Im primären Endpunkt gleich auf, überlegen bei Hypoglykämien
Das Ergebnis des von der FDA geforderten Vergleichs: ein Unentschieden im primären Endpunkt, einer Kombination von kardiovaskulär bedingtem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Punkten konnte das etwas länger und gleichmäßiger wirkende Degludec im sekundären Endpunkt „schwere Hypoglykämien“. Deren Inzidenzraten waren unter dem Basalanalogon um relativ 40% geringer als unter Glargin.
Das primäre Ergebnis von DEVOTE hatte der Studiensponsor Novo Nordisk bereits Ende November letzten Jahres verkündet. Die Studie ist jetzt – zeitgleich zu Präsentation beim ADA-Kongress – im New England Journal of Medicine publiziert worden [2].
„Wir haben belegt, dass Degludec hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisrate Glargin nicht unterlegen ist – und dass es überlegen ist hinsichtlich des Hypoglykämie-Risikos, mit einer niedrigeren Rate sowohl an schweren als auch nächtlichen Hypoglykämien“, schreiben die Studienautoren. „Diese Ergebnisse wurden bei ähnlicher Stoffwechselkontrolle in beiden Gruppen erzielt.“
Für Deutschland hat das Ergebnis besondere Brisanz. Denn bei uns hat Novo Nordisk Tresiba® im Herbst 2015 vom Markt genommen. Dies als Konsequenz, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Insulin degludec keinen Zusatznutzen im Vergleich zu Humaninsulin zugestehen wollte – und damit keinen höheren Marktpreis. Auch damals hatte Novo Nordisk unter anderem bereits mit einer Metaanalyse basierend auf Zulassungsstudien argumentiert, nach der das Risiko nächtlicher Hypoglykämien im Vergleich zu Insulin Glargin um 25% niedriger sei.
DEVOTE: Über 7.500 Typ-2-Diabetiker mit hohem kardiovaskulärem Risiko
Für DEVOTE hatte die Studiengruppe um Erstautor Prof. Dr. Steven P. Marso, Research Medical Center, Kansas City, Missouri, 7.637 Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko rekrutiert. 85% von ihnen hatten eine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung oder eine chronische Nierenerkrankung oder beides. Die Patienten waren im Schnitt 65 Jahre alt, hatten seit 16,4 Jahren Diabetes und ihr HbA1c-Wert betrug eingangs im Mittel 8,4%.
Sie injizierten randomisiert einmal täglich jeden Abend zwischen Abendessen und Zubettgehen entweder Degludec oder Glargin, wobei die Dosis auf ein HbA1c-Ziel hin titriert wurde (Treat-to-Target-Design). Die mediane Beobachtungszeit betrug 2 Jahre. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (55%) hatte eine Basis-Bolus-Insulintherapie.
Die Studie war wie alle kardiovaskulären Sicherheitsstudien nach FDA-Kriterien auf „Nicht-Unterlegenheit“ (Marge bis 1,3) designt. Und dies war auch das Ergebnis: Der primäre kardiovaskuläre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Infarkt oder Schlaganfall) trat bei 8,5% der Degludec- und 9,3% der Glargin-Patienten auf (Hazard Ratio 0,91, 95%-KI 0,78-1,06, p < 0,001 für Nicht-Unterlegenheit)
Niedrigerer Nüchtern-Blutzucker und weniger Unterzuckerungen
Während sich die beiden Gruppen im HbA1c-Wert nach 2 Jahren nicht unterschieden, im Schnitt wurden 7,5% erreicht, waren die Nüchtern-Blutzuckerwerte unter Degludec signifikant niedriger (128 vs 136 mg/dl). Trotzdem kam es unter Degludec zu signifikant weniger schweren Hypoglykämien (bei 4,9 vs 6,6% der Patienten). Dies war ein präspezifizierter sekundärer Endpunkt. Die Studienautoren haben berechnet: „Die Zahl der Patienten, die Degludec anstelle von Glargin erhalten müssten, um eine schwere Hypoglykämie zu vermeiden, beträgt 40.“ Zudem waren auch nächtliche Unterzuckerungen unter Degludec signifikant seltener (0,65 vs 1,4 Ereignisse pro 100 Patientenjahre).
Bezüglich anderer Nebenwirkungen, Krebsraten oder kardiovaskulärer Risikofaktoren wie Körpergewicht, Blutdruck, Herzfrequenz, Blutfette oder glomerulärer Filtrationsrate gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Auch die Mortalität unterschied sich nicht (5,3% Degludec, 5,8% Glargin, HR 0,91, 95%-KI 0,76-1,11; p = 0,35).
Insulin Glargin hat die kardiovaskuläre Sicherheitsprüfung schon absolviert
Insulin glargin hat mit ORIGIN aus dem Jahr 2012 bereits eine kardiovaskuläre Endpunktstudie vorzuweisen. Teilnehmer waren hier Patienten mit Prä- bzw. frühem Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko, bei denen die frühe Glargin-Gabe gegen das übliche Standardvorgehen getestet worden war. Auch hier war bekanntlich das Ergebnis „neutral“ – das kardiovaskuläre Risiko wurde durch das Insulin weder erniedrigt noch erhöht – die frühe Insulingabe führte aber zu mehr Hypoglykämien und mehr Gewichtszunahme.
Im Vergleich zu Glargin hat Degludec eine noch längere Wirkdauer und eine besonders stabile Pharmakokinetik mit geringer Variabilität. Ob sich dies – abgesehen von dem niedrigeren Hypoglykämie-Risiko – auch längerfristig in klinische Vorteile umsetzen lässt, kann diese Studie nicht belegen, räumen auch die Autoren ein. Dazu sei auch die Beobachtungszeit mit 2 Jahren zu kurz. Doch gibt es einige Reviews und Metaanalysen, die schwere Hypoglykämien als Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse identifiziert haben. Langfristig könnte sich die Vermeidung schwerer Unterzuckerungen damit durchaus positiv auf das kardiovaskuläre Risiko auswirken, meinen die Autoren dieser Analysen.
Novo Nordisk will nun die DEVOTE Daten sowie neue Daten aus weiteren Degludec-Studien „detailliert und streng nach den AMNOG-Kriterien“ analysieren und daraus ein Dossier zusammenstellen, teilte Firmensprecherin Lena Müller auf Nachfrage von Medscape mit. „Mittelfristig“ werde das Unternehmen damit wahrscheinlich nochmals beim G-BA vorstellig werden – um dann vielleicht doch noch den Zusatznutzen für das ultralang wirkende Insulin zuerkannt zu bekommen. Müller: „Es ist unser Ziel, Tresiba® auf den deutschen Markt zurückzubringen.“ Ob und wann dies zu erwarten sei, sei aber derzeit nicht abzusehen.
REFERENZEN:
1. 77th Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA), 9. bis 13. Juni 2017, San Diego/USA
2. Marso SP, et al: NEJM (online) 12. Juni 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Basalinsuline im kardiovaskulären Studien-Vergleich: Glargin und Degludec gleichauf – doch nicht bei den Hypoglykämien - Medscape - 13. Jun 2017.
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