Basalinsuline im kardiovaskulären Studien-Vergleich: Glargin und Degludec gleichauf – doch nicht bei den Hypoglykämien

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

13. Juni 2017

San Diego – Fanden die spektakulären kardiovaskulären  Endpunktstudien in der Diabetologie bislang vor allem mit den neuen  Antidiabetika statt, ziehen nun die Insuline nach. Im Vergleichstest in der  beim Kongress der American Diabetes Association (ADA) 2017 vorgestellten DEVOTE-Studie:  die beiden lang wirkenden Basalanaloga Insulin degludec (Tresiba®) und Insulin glargin (Lantus®) [1].

Degludec: Im primären Endpunkt gleich auf, überlegen bei  Hypoglykämien

Das Ergebnis des von der  FDA geforderten Vergleichs: ein Unentschieden im primären Endpunkt, einer  Kombination von kardiovaskulär bedingtem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall.  Punkten konnte das etwas länger und gleichmäßiger wirkende Degludec im  sekundären Endpunkt „schwere Hypoglykämien“. Deren Inzidenzraten waren unter  dem Basalanalogon um relativ 40% geringer als unter Glargin.

Das primäre Ergebnis von  DEVOTE hatte der Studiensponsor Novo Nordisk bereits Ende November letzten Jahres verkündet. Die  Studie ist jetzt – zeitgleich zu Präsentation beim ADA-Kongress – im New England Journal of Medicine publiziert worden [2].

„Wir haben belegt, dass Degludec hinsichtlich der  kardiovaskulären Ereignisrate Glargin nicht unterlegen ist – und dass es  überlegen ist hinsichtlich des Hypoglykämie-Risikos, mit einer  niedrigeren Rate sowohl an schweren als auch nächtlichen Hypoglykämien“,  schreiben die Studienautoren. „Diese Ergebnisse wurden bei ähnlicher  Stoffwechselkontrolle in beiden Gruppen erzielt.“

Für Deutschland hat das  Ergebnis besondere Brisanz. Denn bei uns hat Novo Nordisk Tresiba® im Herbst 2015 vom Markt genommen. Dies als Konsequenz, weil der Gemeinsame Bundesausschuss  (G-BA) Insulin degludec keinen Zusatznutzen im Vergleich zu Humaninsulin  zugestehen wollte – und damit keinen höheren Marktpreis. Auch damals hatte Novo  Nordisk unter anderem bereits mit einer Metaanalyse basierend auf Zulassungsstudien argumentiert, nach der das Risiko nächtlicher Hypoglykämien im Vergleich zu  Insulin Glargin um 25% niedriger sei.

 
Wir haben belegt, dass Degludec hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisrate Glargin nicht unterlegen ist – und dass es überlegen ist hinsichtlich des Hypoglykämie-Risikos. Prof. Dr. Steven P. Marso
 

DEVOTE: Über 7.500 Typ-2-Diabetiker mit hohem  kardiovaskulärem Risiko

Für DEVOTE hatte die  Studiengruppe um Erstautor Prof. Dr. Steven P. Marso, Research Medical Center, Kansas City, Missouri, 7.637 Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko rekrutiert. 85%  von ihnen hatten eine manifeste kardiovaskuläre Erkrankung oder eine chronische  Nierenerkrankung oder beides. Die Patienten waren im Schnitt 65 Jahre alt,  hatten seit 16,4 Jahren Diabetes und ihr HbA1c-Wert betrug eingangs im Mittel 8,4%.

Sie injizierten  randomisiert einmal täglich jeden Abend zwischen Abendessen und Zubettgehen  entweder Degludec oder Glargin, wobei die Dosis auf ein HbA1c-Ziel hin titriert  wurde (Treat-to-Target-Design). Die mediane Beobachtungszeit betrug 2 Jahre.  Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (55%) hatte eine  Basis-Bolus-Insulintherapie.

 
Die Zahl der Patienten, die Degludec anstelle von Glargin erhalten müssten, um eine schwere Hypoglykämie zu vermeiden, beträgt 40. Prof. Dr. Steven P. Marso
 

Die Studie war wie alle  kardiovaskulären Sicherheitsstudien nach FDA-Kriterien auf  „Nicht-Unterlegenheit“ (Marge bis 1,3) designt. Und dies war auch das Ergebnis:  Der primäre kardiovaskuläre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Infarkt oder  Schlaganfall) trat bei 8,5% der Degludec- und 9,3% der Glargin-Patienten auf  (Hazard Ratio 0,91, 95%-KI 0,78-1,06, p < 0,001 für Nicht-Unterlegenheit)

Niedrigerer Nüchtern-Blutzucker und weniger  Unterzuckerungen

Während sich die beiden  Gruppen im HbA1c-Wert nach 2 Jahren nicht unterschieden, im Schnitt wurden 7,5%  erreicht, waren die Nüchtern-Blutzuckerwerte unter Degludec signifikant  niedriger (128 vs 136 mg/dl). Trotzdem kam es unter Degludec zu signifikant  weniger schweren Hypoglykämien (bei 4,9 vs 6,6% der Patienten). Dies war ein  präspezifizierter sekundärer Endpunkt. Die Studienautoren haben berechnet: „Die Zahl der Patienten, die  Degludec anstelle von Glargin erhalten müssten, um eine schwere Hypoglykämie zu  vermeiden, beträgt 40.“ Zudem waren auch nächtliche Unterzuckerungen unter  Degludec signifikant seltener (0,65 vs 1,4 Ereignisse pro 100 Patientenjahre).

Bezüglich anderer  Nebenwirkungen, Krebsraten oder kardiovaskulärer Risikofaktoren wie  Körpergewicht, Blutdruck, Herzfrequenz, Blutfette oder glomerulärer  Filtrationsrate gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Auch die  Mortalität unterschied sich nicht (5,3% Degludec, 5,8% Glargin, HR 0,91, 95%-KI  0,76-1,11; p = 0,35).

Insulin Glargin hat die kardiovaskuläre  Sicherheitsprüfung schon absolviert

Insulin glargin hat mit ORIGIN aus dem Jahr 2012 bereits eine  kardiovaskuläre Endpunktstudie vorzuweisen. Teilnehmer waren hier Patienten mit  Prä- bzw. frühem Diabetes und hohem kardiovaskulärem Risiko, bei denen die  frühe Glargin-Gabe gegen das übliche Standardvorgehen getestet worden war. Auch  hier war bekanntlich das Ergebnis „neutral“ – das kardiovaskuläre Risiko wurde  durch das Insulin weder erniedrigt noch erhöht – die frühe Insulingabe führte  aber zu mehr Hypoglykämien und mehr Gewichtszunahme.

Im Vergleich zu Glargin  hat Degludec eine noch längere Wirkdauer und eine besonders stabile  Pharmakokinetik mit geringer Variabilität. Ob sich dies – abgesehen von dem  niedrigeren Hypoglykämie-Risiko – auch längerfristig  in klinische Vorteile umsetzen lässt, kann  diese Studie nicht belegen, räumen auch die Autoren ein. Dazu sei auch die Beobachtungszeit  mit 2 Jahren zu kurz. Doch gibt es einige Reviews und Metaanalysen, die schwere  Hypoglykämien als Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse identifiziert haben. Langfristig könnte sich die Vermeidung schwerer  Unterzuckerungen damit durchaus positiv auf das kardiovaskuläre Risiko  auswirken, meinen die Autoren dieser Analysen.

 
Es ist unser Ziel, Tresiba® auf den deutschen Markt zurückzubringen. Lena Müller
 

Novo Nordisk will nun die  DEVOTE Daten sowie neue Daten aus weiteren Degludec-Studien „detailliert und  streng nach den AMNOG-Kriterien“ analysieren und daraus ein Dossier  zusammenstellen, teilte Firmensprecherin Lena  Müller auf Nachfrage von Medscape mit. „Mittelfristig“ werde das Unternehmen damit wahrscheinlich nochmals beim  G-BA vorstellig werden – um dann vielleicht doch noch den Zusatznutzen für das  ultralang wirkende Insulin zuerkannt zu bekommen. Müller: „Es ist unser Ziel, Tresiba®  auf den deutschen Markt zurückzubringen.“ Ob und wann dies zu erwarten  sei, sei aber derzeit nicht abzusehen.



REFERENZEN:

1. 77th  Scientific Sessions der American Diabetes Association (ADA), 9. bis 13. Juni 2017, San Diego/USA

2. Marso SP, et al: NEJM (online) 12. Juni 2017

Kommentar

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