MEINUNG

„Es ist zu erwarten, dass Closed-Loop-Systeme nun auch hierzulande aus der Studien- in die Anwendungsphase treten“

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

12. Juni 2017

Hamburg – Closed-Loop-Systeme steuern  über eine kontinuierliche Glukosemessung die Abgabe von Insulin weitgehend automatisch  – und kommen damit dem Traum einer künstlichen Bauchspeicheldrüse für Patienten  mit Typ-1-Diabetes ziemlich nah. Prof. Dr. Olga Kordonouri, Chefärztin am Diabeteszentrum für Kinder und  Jugendliche des Kinderkrankenhauses Auf der Bult in Hannover, erläuterte beim  Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft im Gespräch mit Medscape,  was die Geräte schon heute leisten, und wo noch ihre Grenzen liegen [1].

           

Prof. Dr. Olga Kordonouri

           


Medscape:
Seit mehr als  50 Jahren träumen Diabetologen davon, eine künstliche Bauchspeicheldrüse zu entwickeln  – also ein Gerät, das die Regulation des Blutzuckers selbstständig übernimmt. Sie  testen in Hannover ein solches System derzeit an Jugendlichen mit  Typ-1-Diabetes. Wie funktioniert es?

Prof. Kordonouri: Das System besteht aus einer Insulinpumpe, einem Sensor zur  kontinuierlichen Glukosemessung im Unterhautfettgewebe, einem  Blutzuckermessgerät zur Kalibrierung des Sensors und aus einem  Computerprogramm, das die automatische Steuerung der Insulinpumpe übernimmt.  Alle Teile kommunizieren drahtlos, also über Funkwellen, miteinander. Daher  sprechen wir auch von einem geschlossenen System, closed loop.

Medscape: Arbeitet das  System wirklich vollkommen selbstständig?

Prof. Kordonouri: Nachts ja. Das Gerät misst alle 5 Minuten die Glukose und passt die  Insulinzufuhr dann automatisch an den Bedarf an – oder unterbricht sie, wenn  sich die Werte dem Bereich einer Unterzuckerung nähern. Tagsüber allerdings muss  der Nutzer zu den Mahlzeiten seinen Insulinbedarf selbst eingeben, abhängig  davon, wie viele Kohlenhydrate er zu sich nimmt. Es handelt sich also eigentlich  um ein sogenanntes Semi- oder Hybrid-Closed-Loop-System, das wir verwenden.  Zudem müssen der Sensor und das Infusionsset 2-mal täglich mittels  herkömmlicher Blutzuckermessung kalibriert und darüber hinaus regelmäßig  gewechselt werden. Ganz automatisch funktioniert das System also noch nicht.

Medscape: Wie groß ist  bei der Nutzung eines solchen Geräts die Gefahr von Hypo- und Hyperglykämien?

Prof. Kordonouri: Mehrere Studien haben zunächst einmal gezeigt, dass mithilfe von  Closed-Loop-Systemen in der Nacht deutlich mehr Glukosewerte im Zielbereich  liegen als ohne solche Systeme. Gerade nachts funktionieren die Geräte sehr  gut: Die Patienten schlafen ruhig und wachen morgens mit normalen Blutzuckerwerten  auf. Ein solcher Start in den Tag stellt für viele von ihnen ein ganz neues  Lebensgefühl dar.

In einer Zulassungsstudie  aus den USA trat an 12.389 Patiententagen zudem keine einzige schwere  Unterzuckerung oder Ketoazidose auf. Jugendliche und erwachsene Patienten mit  einem guten Diabetesmanagement zeigten sogar eine signifikante Verbesserung der  Stoffwechsellage. So ließ sich der HbA1c-Wert von durchschnittlich 7,4% auf 6,9% senken.

Medscape: Besteht nicht trotzdem die Gefahr einer Hyperglykämie, beispielsweise weil  die Pumpe verstopft ist und das keiner rechtzeitig bemerkt?

Prof. Kordonouri: Natürlich kann die Pumpe mal verstopfen. Wenn der Blutzucker zu stark ansteigt,  gibt das Gerät jedoch Alarm, so dass der Patient darauf reagieren kann.

Medscape: Ist es aus  Ihrer Sicht problematisch, den Glukosegehalt im Unterhautfettgewebe zu messen? Dieser  ist ja nicht der gleiche wie der Wert im Blut, sondern er folgt ihm nur.

Prof. Kordonouri: Das stimmt natürlich. Doch zum einen berücksichtigt die Software diesen  Punkt bis zu einem gewissen Grad. Und zum anderen entsprechen die Zuckerwerte  im Herz und im Gehirn – also da, wo sie besonders entscheidend sind – eigentlich  eher den Werten des Unterhautfettgewebes als denen des Blutes.

Medscape: Wie sicher  ist das System im Alltag – gerade bei Kindern und Jugendlichen, die ja einen  viel größeren Bewegungsdrang haben als die meisten Erwachsenen?

Prof. Kordonouri: Diese Frage beinhaltet meines Erachtens 2 Aspekte. Zum einen geht es darum,  inwieweit die Geräte auf Blutzuckerschwankungen reagieren, die durch Bewegungen  hervorgerufen werden. Das tun sie bereits sehr gut – wie auch Studien mit Closed-Loop-Systemen  unter sportlicher Aktivität gezeigt haben.

Zum anderen  stellt sich die Frage, wie gut die Geräte mit den mechanischen Belastungen  zurechtkommen, die beim Spielen, Toben und Sporttreiben ja nicht ausbleiben.  Und hier zeigen sich durchaus technische Grenzen. So kann es sein, dass  beispielsweise die Sensoren früher gewechselt werden müssen oder schlicht  herausgerissen wurden.

Medscape: Wie lernen  die Nutzer, mit dem Gerät richtig umzugehen? 

Prof. Kordonouri: Dazu gibt es Schulungen, die seit kurzem auch hersteller-unabhängig  angeboten werden. Die wichtigste Voraussetzung,  damit ein Closed-Loop-System korrekt funktioniert, ist die Genauigkeit des  Sensors, die durch regelmäßige Kalibrierung sichergestellt werden muss. Die  Insulinzufuhr muss durch eine korrekte Katheterlage an dafür geeigneten  Positionen gewährleistet sein. Darüber hinaus geht es natürlich darum, die  Pumpenfunktion sicherzustellen, auch indem die Pumpe korrekt mit Insulin  befüllt wird.

Schließlich  ist eine umfassende Schulung des Patienten im Umgang mit seinem Diabetes  wichtig: Der Nutzer muss bei zu hohen oder zu niedrigen Zuckerwerten geeignete  Maßnahmen zur Therapie ergreifen können. Die neue Technologie erfordert zum  Teil auch ein verändertes Verhalten. So darf der Patient beispielsweise bei  abgeschalteter Insulinzufuhr, etwa zur prädiktiven Vermeidung einer Hypoglykämie,  nicht gleichzeitig Traubenzucker zu sich nehmen.

Medscape: Gibt es Ihrer Ansicht nach Patienten, für die ein Closed-Loop-System nicht  in Frage kommt?

Prof. Kordonouri: Eigentlich nicht. Doch die Nutzer müssen natürlich gewillt sein, die Geräte  am Körper zu tragen und sich damit in der Öffentlichkeit als Menschen mit  Diabetes zu outen. Auch müssen sie an den genannten Schulungen teilnehmen, um  zu verstehen, wie das Closed-Loop-System funktioniert und was sie tun müssen,  wenn die Technik mal versagt – zum Beispiel weil der Katheter verstopft ist  oder der Sensor nicht richtig liegt.

Medscape: Wann werden Closed-Loop-Systeme in Deutschland auch außerhalb klinischer  Studien verfügbar sein?

Prof. Kordonouri: Im Frühjahr dieses Jahres hat die US-amerikanische Aufsichtsbehörde FDA mit  dem Gerät MiniMed 670G der Firma Medtronic zum ersten Mal ein System genehmigt,  das automatisiert Insulin abgibt und dosiert. Es ist daher zu erwarten, dass Closed-Loop-Systeme  nun auch hierzulande aus der Studien- in die Anwendungsphase treten und eine  rasche Verbreitung bei Patienten mit Typ-1-Diabetes finden werden. Ich gehe  davon aus, dass das MiniMed 670G oder ein Folgemodell in den kommenden 2 Jahren  in Deutschland auf den Markt kommen wird.

Medscape: Weiß man bereits, was das Gerät kosten wird und inwieweit sich die  gesetzlichen Krankenkassen an den Kosten beteiligen werden?

Prof. Kordonouri: Der Preis für Deutschland steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. Und  mit den Kassen sind, soweit ich weiß, noch keine Gespräche geführt worden. Da  sie ja aber auch heute schon Sensoren und Pumpen unterstützen, gehe ich davon  aus, dass sie sich in irgendeiner Form auch an den Closed-Loop-Systemen  beteiligen werden.

Medscape: Sehen Sie für das jetzige Gerät bereits Verbesserungsmöglichkeiten?

Prof. Kordonouri: Wege zur Optimierung gibt es natürlich immer. Im August werden unsere  Kooperationspartner in Israel bereits die nächste Generation von Closed-Loop-Systemen  bei Patienten mit Typ-1-Diabetes unter Freizeitbedingungen testen. Diese Geräte  reagieren auf einen erhöhten Insulinbedarf nicht nur mit einer Steigerung der  Basalrate, sondern bei Bedarf mit einer zusätzlichen Bolusgabe auch unabhängig  von den Mahlzeiten. Diese Art der Reaktion entspricht am ehesten unserem  ärztlichen Handeln.

Medscape: Neben den genannten  Systemen ist seit längerem ein sogenannter Bionic Pancreas, eine bionische  Bauchspeicheldrüse, in der Entwicklung. Das Gerät gibt nicht nur Insulin, sondern  auch dessen Gegenspieler Glukagon ab. Wo sehen Sie mögliche Vor- und Nachteile  dieses Systems gegenüber den schon jetzt zugelassenen Geräten?

Prof. Kordonouri: Ich finde, es ist noch zu früh, um von Vor- und Nachteilen zu sprechen.  Das Prinzip der bionischen Bauchspeicheldrüse klingt durchaus vielversprechend,  doch natürlich macht eine weitere Komponente das ganze System erst einmal  komplizierter. Gewisse Probleme bereiten zudem noch die begrenzte Stabilität  und damit die Haltbarkeit des Glukagons. Auch wissen wir noch nicht genau, wie  der menschliche Körper langfristig auf regelmäßige Glukagongaben reagiert. Von  Natur aus produziert er ja nur sehr geringe Mengen dieses Hormons.

Dass das  System kurzfristig funktioniert, weiß man allerdings schon. Das hat eine  kürzlich im Lancet veröffentliche Studie gezeigt.  Bis bionische Bauchspeicheldrüsen auf den Markt kommen, wird es aber sicherlich  noch etwas dauern. Bislang ist Glukagon auch noch gar nicht für die  Pumpentherapie zugelassen.

Medscape: Erfordern diese kombinierten Geräte zu den Mahlzeiten ebenfalls eine  manuelle Eingabe der Kohlenhydrataufnahme? Oder ist man hier schon einen  Schritt weiter?

Prof. Kordonouri: Nein, um ein wirklich vollautomatisches System handelt es sich auch noch  nicht.

Medscape: Gehen Sie davon aus, dass es so etwas irgendwann geben wird – und der Traum  von einer künstlichen Bauchspeicheldrüse dann wirklich wahr wird?

Prof. Kordonouri: Ich denke schon, dass vollautomatische Systeme irgendwann Realität sein werden.  Ziel ist zumindest ein System, das den Blutzucker – solange alles gut  funktioniert – komplett selbstständig reguliert, auch ohne dass man zu den  Mahlzeiten Angaben zum benötigten Insulin machen muss.

Wenn allerdings  ein Bestandteil des Systems, aus welchen Gründen auch immer, mal ausfällt, wird  man als Patient vermutlich immer selbst eingreifen müssen. Wir experimentieren  zwar schon mit implantierbaren Sensoren, die natürlich über einen langen  Zeitraum hinweg zuverlässige Daten liefern müssen, doch von einem  vollimplantierbaren Gerät sind wir mit Sicherheit noch viele Jahre entfernt.



REFERENZEN:

1. Tagung  der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG),  24. bis 27. Mai 2017, Hamburg

Kommentar

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