Patienten, die nach Diagnose eines Typ-2-Diabetes und nach Beginn einer Metformin-Therapie eine rasche Blutzuckersenkung in den Normbereich erzielen, haben möglicherweise eine bessere Prognose hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse und Mortalität. Zu diesem Ergebnis kommt eine Beobachtungsstudie von Dr. Elisabeth Svensson von der Abteilung für klinische Epidemiologie, Institut für klinische Medizin an der Universität von Aarhus, Dänemark [1].
Svensson bewertet die glykämische Kontrolle als möglichen Prädiktor, um Subgruppen mit hohem beziehungsweise niedrigem kardiovaskulärem Risiko zu identifizieren. Sprechen Patienten rasch und gut auf Metformin an, erleiden sie möglicherweise seltener Herzinfarkte oder Schlaganfälle, so ihre These.
„Die Ergebnisse bestätigen frühere Beobachtungsstudien an Patienten mit kürzlich diagnostiziertem Typ-2-Diabetes“, sagt Prof. Dr. Karsten Müssig zu Medscape. Er ist stellvertretender Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Leiter des Klinischen Studienzentrums am Deutschen Diabetes-Zentrum Düsseldorf.
Allerdings, so gibt er zu bedenken, „konnten die 3 groß angelegten randomisierten Studien bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, nämlich ACCORD, ADVANCE und VADT, hier keine Reduktion in den primären kombinierten kardiovaskulären Endpunkten nachweisen“. Bei diesen Studien handelte es sich um prospektive, randomisierte Studien und es wurden unterschiedlichste orale Antidiabetika eingesetzt. Die aktuelle Beobachtungsstudie basiert hingegen auf epidemiologischen Daten und kann damit keine Kausalität zwischen schneller Blutzuckersenkung und der Zahl kardiovaskulärer Ereignisse herstellen. Sie beschränkt sich außerdem auf Metformin als orales Antidiabetikum.
Hinweise auf möglichen Nutzen einer starken HbA1c-Reduktion
Basis von Svenssons Studie sind Daten einer dänischen Kohorte mit 24.752 Personen. Das mediane Alter lag bei 62,5 Jahren. 55% aller Teilnehmer waren männlich. Ärzte verordneten ihnen sofort nach der Diabetes-Diagnose Metformin. Das Follow-up lag im Median bei 2,6 Jahren. Als kombinierten Endpunkt definierte die Forscherin akute Schlaganfälle, Herzinfarkte und die Mortalität.
Höhere HbA1c-Werte nach 6 Monaten waren demnach mit einer größeren Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis des kombinierten Endpunkts (akuter Schlaganfall, Herzinfarkt und Mortalität) assoziiert: Gemessen an der Gruppe mit einem HbA1c unter 6,5% erhöhte sich das Risiko um 18% (6,5-6,99%), um 23% (7,0-7,49%), um 34% (7,5-7,99%) beziehungsweise um 59% (HbA1c ≥ 8,8%).
Bei HbA1c-Werten, die im Vergleich zum Ausgangswert stark gesenkt werden konnten, zeigte sich ein reduziertes Risiko hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse und Tod. Bei Unterschieden von 4 Prozentpunkten waren es 20%, bei 3 Prozentpunkten 2%, und bei 2 Prozentpunkten 1%. Differenzen von einem Prozentpunkt ergaben keinen signifikanten Unterschied.
Bereits vor 2 Jahren hatte eine Studie ähnliche Trends nachgewiesen. Basis war eine Kohorte mit 101.799 britischen Patienten. Es fand sich ein um 60% erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte bei HbA1c-Werten zwischen 7 und 8%, verglichen mit Werten zwischen 6 bis 7%. Das Follow-up ging hier über 5,4 Jahre. „Unsere Effekte fielen etwas geringer aus, nämlich 50% Risikoerhöhung bei HbA1c-Werten von mindestens 8% versus unter 6.5% bei 2,6 Jahren Nachbeobachtungszeit“, schreibt Svensson. Trotzdem zeige sich der gleiche Trend.
Starke Unterschiede im Studiendesign
Warum Svensson und Kollegen im Vergleich zu den Studien ACCORD, ADVANCE und VADT zu derart unterschiedlichen Resultaten gekommen sind, lässt sich möglicherweise mit dem Studiendesign erklären.
Bei der randomisierten ACCORD-Studie wurde bekanntlich u.a. untersucht, welchen Effekt eine intensivierte Einstellung des Blutzuckers (HbA1c < 6,0 %) auf makrovaskuläre Komplikationen hat, verglichen mit Zielwerten von 7,0-7,9%. 10.251 Patienten mit HbA1c-Anfangswerten von 8,1% wurden beiden Gruppen randomisiert zugeordnet. Für die Blutzuckersenkung konnten alle damals verfügbaren Antidiabetika verwendet werden, nämlich Metformin, Sulfonylharnstoffe, Glinide, Insulin-Sensitizer, Alpha-Glucosidase-Inhibitoren oder Inkretine. Aufgrund der erhöhten Zahl an Myokardinfarkten in der intensiviert behandelten Gruppe wurde dieser Therapiearm aber nach 3,5 Jahren vorzeitig abgebrochen. Die Zahl an kardiovaskulären Ereignissen hatte sich nicht verringert, sondern sogar erhöht.
Ziel der ADVANCE-Studie war u.a., herauszufinden, welchen Effekt eine intensivierte Einstellung des Blutzuckers (HbA1c < 6,5%) mit dem Sulfonylharnstoff Gliclazid auf makrovaskuläre und mikrovaskuläre Komplikationen im Vergleich zu einer Standardtherapie (HbA1c ca. 7,5%) hat. 11.140 Patienten wurden randomisiert beiden Armen zugeordnet. Das Studiendesign sah in der Gruppe mit starker HbA1c-Reduktion neben nicht pharmakologischen Maßnahmen eine Eskalation der Gliclazid-Dosis, weitere orale Antidiabetika, lang-wirksame Insuline sowie eine intensivierte Insulintherapie vor, um die Zielwerte zu erreichen. Sowohl die Gesamtmortalität als auch die Zahl makrovaskulärer Ereignisse hatten sich nicht signifikant verringert. Patienten profitierten nur in Hinblick auf ihre Nierenfunktion vom strengeren Regime.
In VADT untersuchten Forscher eine ähnliche Fragestellung wie bei ACCORD und ADVANCE. An der Untersuchung nahmen 1.791 US-Veteranen teil. Sie wurden randomisiert in 2 Gruppen aufgeteilt. Alle Personen erhielten abhängig vom Body-Mass-Index (BMI) Metformin plus Rosiglitazon oder Glimepirid plus Rosiglitazon, jedoch in unterschiedlicher Dosierung. Unter intensiver Therapie sollte sich der HbA1c-Wert um 1,5 Prozentpunkte verringern. Nach einem Follow-up von 5,6 Jahren lag dieser Wert im Median bei 8,4% versus 6,9%. Statistisch signifikante Effekte auf kardiovaskuläre Ereignisse ließen sich auch hier nicht feststellen.
Welchen Wert hat die Beobachtungsstudie?
Svensson kommt in ihrer Beobachtungsstudie zu anderen Resultaten. Sie fand Hinweise, dass kardiovaskuläre Risiken und Tod unter einer starken, raschen HbA1c-Absenkung verringert werden. Eine Kausalität lässt sich aber aufgrund des Studiendesigns nicht belegen. Hier seien, wie die Wissenschaftlerin selbst schreibt, weitere Studien erforderlich.
Die Arbeit liefert aber weitere Impulse. Müssig zufolge sei erstmals die frühen HbA1c-Reduktion als möglicher unabhängiger Prädiktor für ein geringeres kardiovaskuläres Risiko und Tod beschrieben worden. Gelingt es Diabetologen nicht, den HbA1c-Wert bald nach ihrer Diagnose stark und rasch zu verringern, könnten diese Patienten zu einer Subgruppe gehören, in der mit mehr Herzinfarkten, Schlaganfällen oder einer höheren Mortalität zu rechnen ist. Welche Rolle Metformin in diesem Zusammenhang spielt, ob das Biguanid kardiovaskulär eher günstig wirkt, lässt sich derzeit aus den Daten nicht ableiten.
REFERENZEN:
1. Svensson E, et al: Diabetes Care 2017;40:800-807
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: HbA1c früh und stark gesenkt – Herz und Hirn geschützt? Eine Beobachtungsstudie mit Typ-2-Diabetikern liefert Hinweise - Medscape - 9. Jun 2017.
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