Verpasste Präventionschancen beim Mund- und Rachenkrebs: HPV-Impfung könnte die meisten oralen Infektionen verhindern

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

8. Juni 2017

Chicago – Krebserregende Humane Papilloma-Viren (HPV) werden für eine wachsende Zahl von Mund-Rachen-Karzinomen verantwortlich gemacht. Die Infektion geschieht dabei wohl meist über Oralsex. Laut epidemiologischen Daten aus den USA ist dort die Rate an Kopf-Hals-Tumoren mit HPV-Nachweis in den letzten 20 Jahren von 16,3 auf 71,7% gestiegen.

Prof. Dr. Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit an der Klinik für Dermatologie, Venerologie der Ruhr-Universität Bochum, ist überzeugt: „Das sieht in Deutschland sicherlich kaum anders aus, auch wenn uns offizielle Zahlen noch fehlen“, so der Vorsitzende der Deutschen STI-Gesellschaft in einem früheren Gespräch mit Medscape .

Doch diesem Trend könnte leicht entgegen gewirkt werden – durch eine weitere Verbreitung der HPV-Impfung. Diese Schlussfolgerung lässt eine epidemiologische Auswertung zu, die bei der Jahrestagung der ASCO (American Society of Clinical Oncology) in Chicago präsentiert und in einer Pressekonferenz vorab vorgestellt worden ist [1]. Sie basiert auf Daten von 2.627 jungen US-Amerikanern im Alter zwischen 18 und 33 und ergab, dass eine HPV-Impfung die oralen Infektionsraten mit onkogenen HPV wahrscheinlich um 88% reduzieren könnte.

„Unsere Daten implizieren, dass die HPV-Vakzinen ein enormes Potenzial haben, um orale Infektionen zu verhindern“, betonte die Senior-Studienautorin Prof. Dr. Maura l. Gillison, während der Pressekonferenz. Sie hat die Forschungen an der Ohio State University geleitet, ist inzwischen aber am University of Texas MD Anderson Cancer Center in Houston beschäftigt. Rund 90% der oropharyngealen Tumore werden nach ihren Angaben von HPV16 verursacht – dem Virustyp, den alle verfügbaren HPV-Vakzinen abdecken.

 
Unsere Daten implizieren, dass die HPV-Vakzine ein enormes Potenzial hat, um orale Infektionen zu verhindern. Prof. Dr. Maura l. Gillison
 

Eine offizielle Indikation für die Impfung sei die Prävention von Krebs des Mund- und Rachenraums derzeit jedoch nicht, eher ein „hoch willkommener Zusatzeffekt“,  sagte sie weiter. Die Zulassung der Impfstoffe beschränke sich derzeit auf die Prävention des Zervixkarzinoms sowie anogenitaler Infektionen und der damit assoziierten Krebsarten. Doch: „Die Raten von HPV-verursachtem oralem Krebs steigen von Jahr zu Jahr weiter“, sagte sie, „dies ganz besonders unter Männern. Und bislang gibt es keine klinischen Studien, die das Potenzial der zugelassenen Vakzinen untersucht haben, auch orale Infektionen, die Krebs auslösen können, zu verhindern.“

Dieses Manko haben sie und ihr Team versucht durch eine Querschnittsstudie auszugleichen. Sie nutzten dafür Daten des großen US-amerikanischen Gesundheits-Surveys NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey) aus den Jahren 2011 bis 2014, der vom National Center for Health Statistics unternommen wird. Im Rahmen des Surveys wurden bei jungen US-Amerikanern in mobilen Gesundheits-Einheiten auch Mundspülungen unternommen. Diese haben Gillson und ihr Team ausgewertet. Sie verglichen die oralen HPV-Infektionsraten zwischen den Geimpften und den Ungeimpften in der von ihnen analysierten Population der 18- bis 33-Jährigen.

Insgesamt hatten nur 18,3% aller Untersuchten mindestens 1 Dosis eines HPV-Impfstoffes erhalten. Bei den Männern waren es sogar nur 6,9%, unter den jungen Frauen 29,2%. Orale Infektionen mit dem krebserregenden Typus wurden bei 0,11% der Geimpften und bei 1,61% der Ungeimpften nachgewiesen – was der genannten Differenz von 88% in den Infektionsraten entspricht. Dagegen unterschieden sich die Prävalenzraten bei 33 weiteren HPV-Typen, die von den Vakzinen nicht abgedeckt werden, zwischen Geimpften und Ungeimpften nicht (4 vs 4,7% - nicht signifikant), berichteten die Forscher in Chicago.

 
Die Raten von HPV-verursachtem oralem Krebs steigen von Jahr zu Jahr weiter, dies ganz besonders unter Männern. Prof. Dr. Maura l. Gillison
 

Sie haben aufgrund ihrer Daten berechnet, welche Schutzwirkung gegen orale HPV-Infektionen in den USA im Studienzeitraum 2011 bis 2014 durch die Impfung erreicht worden ist: Bei einer Impfrate von nur 18% insgesamt wird danach die Prävalenz oraler Infektionen mit krebserregenden HP-Viren nur um 17% gesenkt. Betrachtet man die Geschlechter getrennt, wurden bei Frauen 25%, bei Männern aber nur 7% der oralen Infektionen durch Impfung verhindert.

Dies deutet auf viel Potenzial nach oben hin. „Während wir durch die Daten zum einen ermutigt werden, dass es einen beträchtlichen Effekt der Impfung auf die oralen HPV-Infektionsraten gibt, bleibt der Nutzen insgesamt moderat – und ist geringer als wir uns das, vor allem bei den Männern, wünschen würden“, kommentierte Gillison selbst ihre Auswertungen. 

In Deutschland betragen nach den Auswertungen des Robert Koch-Instituts (RKI) die Impfraten bei jungen Mädchen rund 40%. Für Jungs gibt es keine Daten, da die HPV-Impfung für sie bislang von der STIKO nicht offiziell empfohlen wird. Dies wird aber zunehmend von Experten kritisiert. So forderten die Stiftung Männergesundheit sowie die Urologenverbände DGU und BDU im vergangenen Jahr auch Jungen in die Impfprogramme einzuschließen. Die Impfquote bei Mädchen sei mit 40% zu niedrig, um einen Herdenschutz zu erreichen. Zudem sind auch Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), eine wichtige Zielgruppe. Und: Schließlich ist der Penis der Haupt-Transmissionsweg für HPV und diese Infektionen sind außerdem eine bedeutsame Ursache für Penis- und Analkrebs. „Durch die Impfung – auch von Jungs – könnten insgesamt die Übertragungswege unterbrochen werden“, betont auch Brockmeyer.

 
Unsere Hoffnung ist, dass die Impfung auch dazu beiträgt die steigenden Raten von HPV-assoziierten oralen und genitalen Tumoren in den Griff zu bekommen. Prof. Dr. Bruce E. Johnson
 

Auch die ASCO spricht sich in einem aktuellen Statement dafür aus, das Potenzial der HPV-Impfung „Millionen von Krebstodesfällen zu verhindern” stärker zu nutzen und die Öffentlichkeit besser über diese Möglichkeit der Krebsprävention aufzuklären. „Die HPV-Vakzine kann eines der wirkungsvollsten Werkzeuge der Krebsvorbeugung sein“, betonte der designierte ASCO-Präsident Prof. Dr. Bruce E. Johnson, Dana Farber Cancer Institute, Harvard Medical School, bei der Pressekonferenz. „Unsere Hoffnung ist, dass die Impfung auch dazu beiträgt die steigenden Raten von HPV-assoziierten oralen und genitalen Tumoren in den Griff zu bekommen, die schwierig zu behandeln sind. Diese Studie bestätigt, dass die HPV-Vakzine orale Infektionen verhindern kann – aber um wirken zu können, muss sie auch genutzt werden!“ 



REFERENZEN:

1. ASCO Annual Meeting 2017, 02. bis 06. Juni 2017, Chicago/USA

Kommentar

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