Chicago – Die Ergebnisse der LATITUDE- und der STAMPEDE-Studie können die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms „praktisch über Nacht“ verändern, so Prof. Dr. Richard Schilsky, Chief Medical Officer der American Society of Clinical Oncology (ASCO). „Diese Ergebnisse werden Abirateron in die Erstlinientherapie bringen“, prognostizierte er bei einer Pressekonferenz bei der Jahrestagung 2017 der ASCO [1].

Prof. Dr. Nicholas James
In der britischen STAMPEDE-Studie verbesserte Abirateron zusätzlich zu hormonablativer Therapie (Androgendeprivation, ADT) bei fast 2.000 Patienten mit nichtmetastasiertem und metastasiertem Prostatakarzinom das 3-Jahres-Überleben auf 83% im Vergleich zu hormonablativer Therapie allein mit 76 %. „Nach unserer Ansicht ist dies einer der höchsten Überlebensvorteile, die jemals in einer Studie eines soliden Tumors bei Erwachsenen gesehen wurde“, erläuterte Studienautor Prof. Dr. Nicholas James, Queen Elisabeth Hospital, Birmingham.

Prof. Dr. Karim Fizazi
In der LATITUDE-Studie mit 1.200 Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom verdoppelte die zusätzliche Gabe von Abirateron das progressionsfreie Überleben (PFS) von 14,8 Monaten unter hormonablativer Therapie allein auf 33 Monate. Prof. Dr. Karim Fizazi, Leiter der Krebsmedizin, Institut Gustave Roussy, Universität Paris-Süd, Villejuif, Frankreich, betonte bei der Vorstellung der Ergebnisse in der Plenarsitzung beim ASCO-Kongress: „Der Nutzen, den wir in dieser Studie vom frühen Einsatz von Abirateron gesehen haben ist mindestens vergleichbar mit dem Nutzen einer Docetaxel-Therapie, der in früheren Studien beobachtet wurde. Aber Abirateron wird besser toleriert, viele Patienten haben sogar keine Nebenwirkungen.“
Fizazi ist ebenfalls der Meinung, dass die Ergebnisse belegen, dass „die zusätzliche Gabe von Abirateron zur hormonablativen Therapie als neuer Therapiestandard für Patienten mit neu diagnostiziertem metastasiertem Hochrisiko-Prostatakarzinom überlegt werden muss.“ Beide Studien wurden parallel online im New England Journal of Medicine veröffentlicht [2;3].
„Bemerkenswert ist der Überlebensvorteil der bei den metastasierten Patienten in beiden Studien gesehen wurde“, sagte Prof. Dr. Sumanta Kumar Pal, City of Hope, Duarte, USA, bei der ASCO-Pressekonferenz. „Diese Ergebnisse sollten sofort zu einer Änderung unserer Behandlungsalgorithmen für Patienten mit einem Prostatakarzinom führen.“

Prof. Dr. Eric J. Small
Auch Prof. Dr. Eric J. Small, Urologe und Abteilungsdirektor am UCSF Helen Diller Family Comprehensive Cancer Center, San Francisco, USA, schloss sich als Diskutant der LATITUDE-Studie in der Plenarsitzung der Beurteilung der anderen Experten an: „Abirateron ist zusammen mit ADT ein neuer Therapiestandard für Patienten mit unbehandeltem metastasiertem Hochrisiko-Prostatakarzinom und potenziell für alle Patienten mit unbehandelten metastasiertem Prostatakrebs.“ Für ihn gibt es keinen Grund, dass Abirateron nur bei Hochrisiko-Patienten eingesetzt werden soll, dies würde durch die Daten der STAMPEDE-Studie unterstützt.
Hormonablative Therapie plus/minus Docetaxel bisher Standard
Die Inzidenz des metastasierten, kastrationsnaiven Prostatakarzinoms beträgt derzeit 3% in den USA mit zunehmender Tendenz, etwa 6% in Europa, 4 bis 10% in Lateinamerika und bis zu 60% in Indien und China. Eine hormonablative Therapie durch Orchiektomie oder mit Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten oder -Antagonisten ist bisher Standard in der Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom.
Seit 2015 hat sich bei Patienten mit metastasierter Erkrankung aufgrund der Ergebnisse der CHAARTED- und der STAMPEDE-Studie die zusätzliche Gabe von Docetaxel etabliert. Bei den meisten Männern mit Metastasen schreitet die Erkrankung nach einer gewissen Zeit fort, weil sich eine Kastrationsresistenz entwickelt. Hierbei spielt die Konversion von Steroid-Vorläufersubstanzen zu androgenen Steroiden durch Prostatakrebszellen mit Hilfe von CYP17 eine wichtige Rolle.
Während GnRH-Agonisten oder -Antagonisten die Hormonproduktion nur in den Hoden hemmen, verhindert Abirateron die Androgenproduktion im gesamten Organismus, in dem es selektiv und irreversibel das Enzym CYP17 hemmt. Wird Abirateron zusammen mit hormonablativer Therapie gegeben, wird die Androgenproduktion stärker gehemmt als durch Orchiektomie oder GnRH-Analoga allein. Die CYP17-Hemmung durch Abirateron führt jedoch zu einer Mineralokortikoid-Überproduktion in den Nebennieren. Um die Mineralokortikoid-Toxizität zu reduzieren, muss Abirateronacetat stets zusammen mit Prednison oder Prednisolon verabreicht werden.
In der EU ist es in Kombination mit Prednison oder Prednisolon seit 2011 für die Behandlung des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms zugelassen bei Männern mit asymptomatischem oder leichtem Verlauf nach Versagen der Androgenentzugstherapie, bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht indiziert ist, und bei Männern, deren Erkrankung während oder nach einer docetaxelhaltigen Chemotherapie fortschreitet.
Weil sich die Kastrationsresistenz früh entwickeln kann und die hormonablative Therapie die Androgensynthese nicht an allen Produktionsorten im Körper hemmt, wurde vermutet, dass die zusätzliche Gabe von Abirateron zur ADT mit Hemmung der extragonadalen Androgenbiosynthese Vorteile haben könnte, was nun in der STAMPEDE- und der LATITUDE-Studie untersucht wurde.
Überlebensvorteil in der STAMPEDE-Studie
Die STAMPEDE-Studie (Systemic Therapy in Advancing or Metastatic Prostate Cancer: Evaluation of Drug Efficacy) hat ein neues Design, mit dem verschiedene Substanzen als Erstlinien-Zusatztherapie bei Männern mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom untersucht werden. Das Design ermöglicht es, rascher und ökonomischer Antworten auf viele Fragen zu erhalten und flexibel auf die Ergebnisse und auf Neuentwicklungen zu reagieren.
Abirateron ist der nunmehr der 6. Vergleich in der STAMPEDE-Studie, für den Ergebnisse publiziert wurden. Zwischen November 2011 und Januar 2014 erhielten randomisiert 957 Patienten eine hormonablative Therapie allein, 960 Patienten zusätzlich Abirateron. Alle Patienten litten unter lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom und waren bisher nicht behandelt worden. Ihr medianes Alter lag bei 67 Jahren, 52% wiesen distante Metastasen auf, davon 88% Knochenmetastasen. Die Therapiedauer richtete sich u. a. nach dem Krankheitsstadium und nach dem Bedarf an einer Bestrahlungstherapie. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben (OS).
Nach einem medianen Follow-up von 40 Monaten waren in der ADT-Gruppe 262 Patienten gestorben, bei zusätzlicher Gabe von Abirateron 184 Patienten. Das 3-Jahres-Überleben betrug in der Kombinationsgruppe 83%, in der ADT-Gruppe 76%, was einer Verbesserung um 37% entspricht (Hazard-Ratio: 0,63; p < 0,001). Eine geplante Subgruppenanalyse zeigte, dass Abirateron bei Patienten mit Metastasen mit einer HR von 0,62 ähnlich gut wirkte wie in der Gesamtgruppe. Die Daten der Patienten ohne Metastasen sind derzeit noch nicht reif. „Die Wirkung auf das Überleben ist für metastasierte und nicht-metastasierte Patienten ähnlich“, betonte James.
In der Kombinationsgruppe lebten 75% der Patienten 3 Jahre ohne Therapieversagen, in der ADT-Gruppe waren es 45%, was einer Risikoreduktion von 71% entsprach (HR: 0,29; p < 0,001). Progressionsfrei überlebten bei zusätzlicher Abiraterontherapie 80%, in der Vergleichsgruppe 62% (HR: 0,40; p < 0,001).
Bei Gabe von Abirateron kam es zudem zu weniger skelettbezogenen Ereignissen. Innerhalb von 3 Jahren traten bei 88% in der Kombinationsgruppe und bei 78% in der ADT-Gruppe keine symptomatischen skelettbezogenen Ereignisse auf (HR: 0,45; p < 0,001).
Die bei Therapie mit Abirateron beobachteten unerwünschten Wirkungen entsprachen denen, die in der Zweitlinientherapie gesehen wurden. Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 bis 5) traten bei 33% der Patienten unter ADT und bei 47% in der Kombinationsgruppe auf. Endokrine Störungen wie Hitzewallungen und Impotenz wurden bei je 14% der Patienten registriert. Zu kardiovaskulären Störungen wie Hypertonie, Herzinfarkt und Rhythmusstörungen kam es bei 4% der ADT-Patienten und bei 10% der Abirateron-Patienten. Leberfunktionsstörungen traten bei 7% der Patienten unter Abirateron und bei 1% in der Vergleichsgruppe auf.
Längeres Gesamt- und progressionsfreies Überleben in der LATITUDE-Studie
Die von Fizazi in der Plenarsitzung vorgestellte Phase-3-Studie LATITUDE schloss in 235 Zentren in 34 Ländern Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom ein. Sie erhielten randomisiert eine ADT plus Abirateron (n = 597) oder eine ADT plus Placebo (n = 602). Koprimäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben (OS) und das radiographische PFS (rPFS). „Die LATITUDE-Studie ist eine gut geplante, prospektive, placebokontrollierte Phase-3-Studie, mit klaren und relevanten Endpunkten“, so der Kommentar von Small.
Eine erste OS-Zwischenanalyse war nach 426 Todesfällen (50% der 852 vermuteten Todesfälle) geplant. Fizazi stellte in der Plenarsitzung die Daten dieser Analyse mit Stichtag 31. Oktober 2016 vor. Aufgrund der Ergebnisse empfahl das unabhängige Daten- und Sicherheitsüberwachungskomitee am 12. Januar 2017, die Studie zu entblinden und den Patienten der Placebogruppe Abirateron anzubieten.
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 30,4 Monaten war die Sterblichkeit in der Abiraterongruppe um 38% niedriger als in der ADT-Gruppe (HR: 0,62; p < 0,001). Im Kontrollarm überlebten die Patienten im Median 34,7 Monate, im Abirateronarm ist der Wert noch nicht erreicht. Nach 3 Jahren lebten in der Abiraterongruppe noch 66%, in der ADT-Gruppe noch 49% der Patienten. Der Überlebensvorteil war in allen Subgruppen nachzuweisen.
Das Risiko für eine radiographische Progression sank um 53% (HR: 0,47; p < 0,0001). Das rPFS nahm von 14,8 Monaten unter ADT auf 33 Monate mit der Kombination zu. Alle sekundären Endpunkte verbesserten sich durch Zugabe von Abirateron ebenfalls statistisch signifikant, z.B. die Zeit bis zur PSA-Progression (HR: 0,30) und die Zeit bis zur Schmerzprogression (HR: 0,70), die Zeit bis zum nächsten symptomatischen skelettalen Ereignis (HR: 0,70) und die Zeit bis zur nächsten Chemotherapie (HR: 0,44). „Das ist eine hochgradig positive Studie. Jeder Endpunkt erreichte statistische Signifikanz“, so der Kommentar von Small.
Mit Schlussfolgerungen aus Studienergebnissen, die aus Interimsanalysen stammten, müsse man zwar vorsichtig sein, aber Modellrechnungen hätten ergeben, dass bei einer Weiterführung der Studie mit hoher Wahrscheinlichkeit die gleichen Schlussfolgerungen gezogen worden wären. Die frühe Entblindung sei auf jeden Fall gerechtfertigt gewesen.
Nach Beendigung der LATITUDE-Studie erhielten 40% Patienten aus der Placebogruppe und 21% eine weitere lebensverlängernde Behandlung. Small hierzu: „Der Nutzen der Abiraterontherapie kann nicht durch eine vermehrte weitere lebensverlängernde Behandlung erklärt werden“.
Nebenwirkungen vom Grad 3/4 traten in der Kombinationsgruppe bei 63%, in der ADT-Gruppe bei 48% der Patienten auf. Unter Abirateron kam es häufiger zu Hypertonie und Hypokaliämie aufgrund verstärkter mineralokortikoider Effekte. Leberenzymwerte stiegen ebenfalls häufiger an als unter ADT alleine. „Wir müssen deshalb mit Abirateron bei Männern vorsichtig sein, die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben oder unter einem Diabetes mellitus leiden“, sagte Fizazi in der Pressekonferenz.
Abirateron versus Docetaxel
Um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom in der Erstlinientherapie zusätzlich zur hormonablativen Therapie eher mit Docetaxel oder eher Abirateron behandelt werden sollten, verglich Small die Ergebnisse der CHAARTED- und der LATITUDE-Studie. Dabei kam er zu dem Schluss, dass sich Hochrisiko-Patienten und Patienten mit hohem Tumorvolumen ähnlich sind. Das OS der Hochrisiko-Patienten lag in der LATITUDE mit Abirateron bei 34,7 Monaten (HR: 0,62), das OS der Patienten mit hoher Tumorlast in der CHAARTED unter Docetaxel bei 34,4 Monaten (HR: 0,63). Die entsprechenden Werte für das rPFS waren 33,0 Monate (HR: 0,47) in der LATITUDE und 27,3 Monate (HR: 0,53) in der CHAARTED.
Seine Schlussfolgerung lautete, dass die zusätzliche Gabe von Abirateron zu hormonablativer Therapie einen ähnlichen Nutzen wie Docetaxel habe. Bei Gabe von Abirateron kann eine Chemotherapie vermieden werden, das Risiko (seltener) neutropenieassoziierter Komplikationen und Todesfälle wird verringert. Eine kurzzeitige intravenöse Behandlung wird durch eine langdauernde orale Therapie ersetzt. Abirateron könnte aber bei älteren oder stark beeinträchtigten Patienten die bessere Wahl sein. In nächster Zeit sollten Lebensqualität unter der Behandlung, ein früherer Einsatz bei steigenden PSA-Werten und die Kombination mit Docetaxel untersucht werden.
REFERENZEN:
1. ASCO Annual Meeting 2017, 02. bis 06. Juni 2017, Chicago/USA
2. James ND, et al: NEJM (online) 3. Juni 2017
3. Fizazi K, et al: NEJM (online) 4. Juni 2017
Medscape Nachrichten © 2017 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Prostatakarzinom: Abirateron additiv zeigt „einen der größten Überlebensvorteile überhaupt“ – bald Erstlinienstandard? - Medscape - 6. Jun 2017.
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