Prostatakarzinom: Abirateron additiv zeigt „einen der größten Überlebensvorteile überhaupt“ – bald  Erstlinienstandard?

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

6. Juni 2017

Chicago – Die  Ergebnisse der LATITUDE- und der STAMPEDE-Studie können die Erstlinientherapie  des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms „praktisch über Nacht“ verändern, so Prof. Dr. Richard Schilsky, Chief  Medical Officer der American Society of Clinical Oncology (ASCO). „Diese Ergebnisse werden  Abirateron in die Erstlinientherapie bringen“, prognostizierte er bei  einer Pressekonferenz bei der Jahrestagung 2017 der ASCO [1].

           

Prof. Dr. Nicholas James

           

In der britischen STAMPEDE-Studie verbesserte Abirateron zusätzlich zu hormonablativer Therapie (Androgendeprivation,  ADT) bei fast 2.000 Patienten mit nichtmetastasiertem und metastasiertem  Prostatakarzinom das 3-Jahres-Überleben auf 83% im Vergleich zu hormonablativer  Therapie allein mit 76 %. „Nach  unserer Ansicht ist dies einer der höchsten Überlebensvorteile, die jemals in  einer Studie eines soliden Tumors bei Erwachsenen gesehen wurde“,  erläuterte Studienautor Prof. Dr. Nicholas James, Queen Elisabeth Hospital, Birmingham.

           

Prof. Dr. Karim Fizazi

           

In der LATITUDE-Studie mit 1.200 Patienten mit  metastasiertem Prostatakarzinom verdoppelte die zusätzliche Gabe von Abirateron  das progressionsfreie Überleben (PFS) von 14,8 Monaten unter hormonablativer  Therapie allein auf 33 Monate. Prof. Dr. Karim Fizazi, Leiter der Krebsmedizin, Institut Gustave Roussy, Universität  Paris-Süd, Villejuif, Frankreich, betonte bei der Vorstellung der Ergebnisse in  der Plenarsitzung beim ASCO-Kongress: „Der Nutzen, den wir in dieser Studie vom  frühen Einsatz von Abirateron gesehen haben ist mindestens vergleichbar mit dem  Nutzen einer Docetaxel-Therapie, der in früheren Studien beobachtet wurde. Aber  Abirateron wird besser toleriert, viele Patienten haben sogar keine  Nebenwirkungen.“

Fizazi ist ebenfalls der Meinung, dass die Ergebnisse  belegen, dass „die zusätzliche Gabe von Abirateron zur hormonablativen Therapie  als neuer Therapiestandard für Patienten mit neu diagnostiziertem  metastasiertem Hochrisiko-Prostatakarzinom überlegt werden muss.“ Beide Studien  wurden parallel online im New England  Journal of Medicine veröffentlicht [2;3].

„Bemerkenswert ist der Überlebensvorteil der bei den  metastasierten Patienten in beiden Studien gesehen wurde“, sagte Prof. Dr. Sumanta Kumar Pal, City of  Hope, Duarte, USA, bei der ASCO-Pressekonferenz. „Diese Ergebnisse sollten  sofort zu einer Änderung unserer Behandlungsalgorithmen für Patienten mit einem  Prostatakarzinom führen.“

           

Prof. Dr. Eric J. Small

           

Auch Prof. Dr.  Eric J. Small, Urologe und Abteilungsdirektor am UCSF Helen Diller Family  Comprehensive Cancer Center, San Francisco, USA, schloss sich als Diskutant der  LATITUDE-Studie in der Plenarsitzung der Beurteilung der anderen Experten an:  „Abirateron ist zusammen mit ADT ein neuer Therapiestandard für Patienten mit  unbehandeltem metastasiertem Hochrisiko-Prostatakarzinom und potenziell für alle  Patienten mit unbehandelten metastasiertem Prostatakrebs.“ Für ihn gibt es  keinen Grund, dass Abirateron nur bei Hochrisiko-Patienten eingesetzt werden  soll, dies würde durch die Daten der STAMPEDE-Studie unterstützt.

Hormonablative  Therapie plus/minus Docetaxel bisher Standard

Die Inzidenz des metastasierten, kastrationsnaiven  Prostatakarzinoms beträgt derzeit 3% in den USA mit zunehmender Tendenz, etwa 6% in Europa, 4 bis 10% in Lateinamerika und bis zu 60% in Indien und China. Eine  hormonablative Therapie durch Orchiektomie oder mit  Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten oder -Antagonisten ist bisher Standard  in der Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem  Prostatakarzinom.

Seit 2015 hat sich bei Patienten mit metastasierter Erkrankung  aufgrund der Ergebnisse der CHAARTED- und der STAMPEDE-Studie  die zusätzliche Gabe von Docetaxel etabliert. Bei den meisten Männern mit  Metastasen schreitet die Erkrankung nach einer gewissen Zeit fort, weil sich  eine Kastrationsresistenz entwickelt. Hierbei spielt die Konversion von  Steroid-Vorläufersubstanzen zu androgenen Steroiden durch Prostatakrebszellen  mit Hilfe von CYP17 eine wichtige Rolle.

 
Diese Ergebnisse werden Abirateron in die Erstlinientherapie bringen. Prof. Dr. Richard Schilsky
 

Während GnRH-Agonisten oder -Antagonisten die  Hormonproduktion nur in den Hoden hemmen, verhindert Abirateron die  Androgenproduktion im gesamten Organismus, in dem es selektiv und irreversibel  das Enzym CYP17 hemmt. Wird Abirateron zusammen mit hormonablativer Therapie  gegeben, wird die Androgenproduktion stärker gehemmt als durch Orchiektomie  oder GnRH-Analoga allein. Die CYP17-Hemmung durch Abirateron führt jedoch zu  einer Mineralokortikoid-Überproduktion in den Nebennieren. Um die  Mineralokortikoid-Toxizität zu reduzieren, muss Abirateronacetat stets zusammen  mit Prednison oder Prednisolon verabreicht werden.

In der EU ist es in Kombination mit Prednison oder  Prednisolon seit 2011 für die Behandlung des metastasierten  kastrationsresistenten Prostatakarzinoms zugelassen bei Männern mit  asymptomatischem oder leichtem Verlauf nach Versagen der  Androgenentzugstherapie, bei denen eine Chemotherapie klinisch noch nicht  indiziert ist, und bei Männern, deren Erkrankung während oder nach einer docetaxelhaltigen  Chemotherapie fortschreitet.

Weil sich die Kastrationsresistenz früh entwickeln kann  und die hormonablative Therapie die Androgensynthese nicht an allen  Produktionsorten im Körper hemmt, wurde vermutet, dass die zusätzliche Gabe von  Abirateron zur ADT mit Hemmung der extragonadalen Androgenbiosynthese Vorteile  haben könnte, was nun in der STAMPEDE- und der LATITUDE-Studie untersucht  wurde.

Überlebensvorteil  in der STAMPEDE-Studie

Die STAMPEDE-Studie (Systemic Therapy in Advancing or  Metastatic Prostate Cancer: Evaluation of Drug Efficacy) hat ein neues Design,  mit dem verschiedene Substanzen als Erstlinien-Zusatztherapie bei Männern mit  fortgeschrittenem Prostatakarzinom untersucht werden. Das Design ermöglicht es,  rascher und ökonomischer Antworten auf viele Fragen zu erhalten und flexibel  auf die Ergebnisse und auf Neuentwicklungen zu reagieren.

Abirateron ist der nunmehr der 6. Vergleich in der  STAMPEDE-Studie, für den Ergebnisse publiziert wurden. Zwischen November 2011  und Januar 2014 erhielten randomisiert 957 Patienten eine hormonablative  Therapie allein, 960 Patienten zusätzlich Abirateron. Alle Patienten litten  unter lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom und waren  bisher nicht behandelt worden. Ihr medianes Alter lag bei 67 Jahren, 52% wiesen  distante Metastasen auf, davon 88% Knochenmetastasen. Die Therapiedauer  richtete sich u. a. nach dem Krankheitsstadium und nach dem Bedarf an einer  Bestrahlungstherapie. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben (OS).

Nach einem medianen Follow-up von 40 Monaten waren in der  ADT-Gruppe 262 Patienten gestorben, bei zusätzlicher Gabe von Abirateron 184 Patienten. Das 3-Jahres-Überleben betrug in der Kombinationsgruppe 83%, in der  ADT-Gruppe 76%, was einer Verbesserung um 37% entspricht (Hazard-Ratio: 0,63; p < 0,001). Eine geplante Subgruppenanalyse zeigte, dass Abirateron bei  Patienten mit Metastasen mit einer HR von 0,62 ähnlich gut wirkte wie in der  Gesamtgruppe. Die Daten der Patienten ohne Metastasen sind derzeit noch nicht  reif. „Die Wirkung auf das Überleben ist für metastasierte und  nicht-metastasierte Patienten ähnlich“, betonte James.

In der Kombinationsgruppe lebten 75% der Patienten 3 Jahre  ohne Therapieversagen, in der ADT-Gruppe waren es 45%, was einer  Risikoreduktion von 71% entsprach (HR: 0,29; p < 0,001). Progressionsfrei  überlebten bei zusätzlicher Abiraterontherapie 80%, in der Vergleichsgruppe 62%  (HR: 0,40; p < 0,001).

Bei Gabe von Abirateron kam es zudem zu weniger skelettbezogenen  Ereignissen. Innerhalb von 3 Jahren traten bei 88% in der Kombinationsgruppe  und bei 78% in der ADT-Gruppe keine symptomatischen skelettbezogenen Ereignisse  auf (HR: 0,45; p < 0,001).

Die bei Therapie mit Abirateron beobachteten  unerwünschten Wirkungen entsprachen denen, die in der Zweitlinientherapie  gesehen wurden. Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 bis 5) traten bei 33% der  Patienten unter ADT und bei 47% in der Kombinationsgruppe auf. Endokrine  Störungen wie Hitzewallungen und Impotenz wurden bei je 14% der Patienten  registriert. Zu kardiovaskulären Störungen wie Hypertonie, Herzinfarkt und  Rhythmusstörungen kam es bei 4% der ADT-Patienten und bei 10% der Abirateron-Patienten.  Leberfunktionsstörungen traten bei 7% der Patienten unter Abirateron und bei 1%  in der Vergleichsgruppe auf.

 
Nach unserer Ansicht ist dies einer der höchsten Überlebensvorteile, die jemals in einer Studie eines soliden Tumors bei Erwachsenen gesehen wurde. Prof. Dr. Nicholas James
 

Längeres Gesamt-  und progressionsfreies Überleben in der LATITUDE-Studie

Die von Fizazi in der Plenarsitzung vorgestellte  Phase-3-Studie LATITUDE schloss in 235 Zentren in 34 Ländern Patienten mit  metastasiertem Prostatakarzinom ein. Sie erhielten randomisiert eine ADT plus  Abirateron (n = 597) oder eine ADT plus Placebo (n = 602). Koprimäre Endpunkte  waren das Gesamtüberleben (OS) und das radiographische PFS (rPFS). „Die  LATITUDE-Studie ist eine gut geplante, prospektive, placebokontrollierte  Phase-3-Studie, mit klaren und relevanten Endpunkten“, so der Kommentar von  Small.

Eine erste OS-Zwischenanalyse war nach 426 Todesfällen (50%  der 852 vermuteten Todesfälle) geplant. Fizazi stellte in der Plenarsitzung die  Daten dieser Analyse mit Stichtag 31. Oktober  2016 vor. Aufgrund der Ergebnisse  empfahl das unabhängige Daten- und Sicherheitsüberwachungskomitee am 12. Januar 2017, die Studie zu entblinden und den Patienten der Placebogruppe Abirateron  anzubieten.

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 30,4 Monaten  war die Sterblichkeit in der Abiraterongruppe um 38% niedriger als in der  ADT-Gruppe (HR: 0,62; p < 0,001). Im Kontrollarm überlebten die Patienten im  Median 34,7 Monate, im Abirateronarm ist der Wert noch nicht erreicht. Nach 3 Jahren lebten in der Abiraterongruppe noch 66%, in der ADT-Gruppe noch 49% der  Patienten. Der Überlebensvorteil war in allen Subgruppen nachzuweisen.

Das Risiko für eine radiographische Progression sank um 53% (HR: 0,47; p < 0,0001). Das rPFS nahm von 14,8 Monaten unter ADT auf 33 Monate mit der Kombination zu. Alle sekundären Endpunkte verbesserten sich  durch Zugabe von Abirateron ebenfalls statistisch signifikant, z.B. die Zeit  bis zur PSA-Progression (HR: 0,30) und die Zeit bis zur Schmerzprogression (HR: 0,70), die Zeit bis zum nächsten symptomatischen skelettalen Ereignis (HR: 0,70) und die Zeit bis zur nächsten Chemotherapie (HR: 0,44). „Das ist eine  hochgradig positive Studie. Jeder Endpunkt erreichte statistische Signifikanz“,  so der Kommentar von Small.

Mit Schlussfolgerungen aus Studienergebnissen, die aus  Interimsanalysen stammten, müsse man zwar vorsichtig sein, aber  Modellrechnungen hätten ergeben, dass bei einer Weiterführung der Studie mit  hoher Wahrscheinlichkeit die gleichen Schlussfolgerungen gezogen worden wären.  Die frühe Entblindung sei auf jeden Fall gerechtfertigt gewesen.

Nach Beendigung der LATITUDE-Studie erhielten 40%  Patienten aus der Placebogruppe und 21% eine weitere lebensverlängernde  Behandlung. Small hierzu: „Der Nutzen der Abiraterontherapie kann nicht durch  eine vermehrte weitere lebensverlängernde Behandlung erklärt werden“.

 
Diese Ergebnisse sollten sofort zu einer Änderung unserer Behandlungsalgorithmen für Patienten mit einem Prostatakarzinom führen. Prof. Dr. Sumanta Kumar Pal
 

Nebenwirkungen vom Grad 3/4 traten in der  Kombinationsgruppe bei 63%, in der ADT-Gruppe bei 48% der Patienten auf. Unter  Abirateron kam es häufiger zu Hypertonie und Hypokaliämie aufgrund verstärkter  mineralokortikoider Effekte. Leberenzymwerte stiegen ebenfalls häufiger an als  unter ADT alleine. „Wir müssen deshalb mit Abirateron bei Männern vorsichtig sein,  die ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko haben oder unter einem Diabetes  mellitus leiden“, sagte Fizazi in der Pressekonferenz.

Abirateron versus  Docetaxel

Um eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Patienten mit  fortgeschrittenem oder metastasiertem Prostatakarzinom in der  Erstlinientherapie zusätzlich zur hormonablativen Therapie eher mit Docetaxel  oder eher Abirateron behandelt werden sollten, verglich Small die Ergebnisse  der CHAARTED- und der LATITUDE-Studie. Dabei kam er zu dem Schluss, dass sich  Hochrisiko-Patienten und Patienten mit hohem Tumorvolumen ähnlich sind. Das OS  der Hochrisiko-Patienten lag in der LATITUDE mit Abirateron bei 34,7 Monaten  (HR: 0,62), das OS der Patienten mit hoher Tumorlast in der CHAARTED unter  Docetaxel bei 34,4 Monaten (HR: 0,63). Die entsprechenden Werte für das rPFS  waren 33,0 Monate (HR: 0,47) in der LATITUDE und 27,3 Monate (HR: 0,53) in der  CHAARTED.

Seine Schlussfolgerung lautete, dass die zusätzliche Gabe  von Abirateron zu hormonablativer Therapie einen ähnlichen Nutzen wie Docetaxel  habe. Bei Gabe von Abirateron kann eine Chemotherapie vermieden werden, das  Risiko (seltener) neutropenieassoziierter Komplikationen und Todesfälle wird  verringert. Eine kurzzeitige intravenöse Behandlung wird durch eine langdauernde  orale Therapie ersetzt. Abirateron könnte aber bei älteren oder stark  beeinträchtigten Patienten die bessere Wahl sein. In nächster Zeit sollten  Lebensqualität unter der Behandlung, ein früherer Einsatz bei steigenden  PSA-Werten und die Kombination mit Docetaxel untersucht werden.



REFERENZEN:

1. ASCO Annual Meeting 2017, 02. bis 06. Juni 2017, Chicago/USA 

2. James ND, et al: NEJM  (online) 3. Juni 2017

3. Fizazi K, et al: NEJM  (online) 4. Juni 2017

Kommentar

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