Chicago – Auch in der Entwicklung neuer Krebsmedikamente brechen durch die Präzisionsmedizin neue Zeiten an. Ergebnisse mit der ersten gezielten „Tumortyp-agnostischen“ Krebstherapie sind jetzt beim Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vorgestellt worden [1]. Dies bedeutet: Der orale Wirkstoff Larotrectinib wird nicht nur bei einer, sondern gleichzeitig bei ganz unterschiedlichen Krebsarten in so genannten „Basket Trials“ erprobt und dies sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern – und er zeigte dabei laut Studienleiter Dr. David Hyman, Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, „eine beeindruckende Wirksamkeit“.
„Die Ergebnisse bringen uns in eine neue Ära: Wir behandeln unabhängig von der Lokation des Krebses“, kommentierte dies ASCO-Experte Prof. Dr. Sumanta Kumar Pal, City of Hope Krebszentrum bei Los Angeles, Kalifornien.
Interimsdaten von 55 Patienten zeigen „beeindruckende Wirksamkeit“
Konkret präsentierte Hyman in Chicago die Interimsdaten von 55 Patienten (12 Kindern, 43 Erwachsenen) aus 3 Studien der Phase 1 und 2. Die Patienten litten unter 17 verschiedenen Krebsarten, alles solide Tumore im fortgeschrittenen Stadium – vom Kolon- und Lungenkrebs, über Melanome, Sarkome bis hin zu sehr seltenen Karzinomen. Sie alle wiesen als Gemeinsamkeit eine Fusion eines Tropomyosin Rezeptor Kinase (TRK)-Gens mit einem oder mehreren anderen Genen in ihren Krebszellen auf; Larotrectinib inhibiert die aus diesen Fusionen entstehenden Proteine.
Insgesamt wurde mit Larotrectinib eine Responserate von 76% erreicht, berichtete Hyman. In 64% der Fälle handelte es sich um eine partielle, in 12% sogar um eine komplette Remission. Bei weiteren 12% blieb die Krankheit zumindest stabil. „Bei manchen Patienten, drei Kindern mit Sarkomen, erreichten wir durch die Therapie ein Downstaging, so dass sie dann mit kurativer Intention operiert werden konnten“, berichtete der Onkologe, der selbst sichtlich begeistert von den bisherigen Ergebnissen ist.
Dass Fusions-Gene beim Krebswachstum eine Rolle spielen können, ist schon lange bekannt. Ein Beispiel ist das Philadelphia-Chromosom mit der so genannten BCR-ABL-Fusion bei chronisch-myeloischer Leukämie. Gefährlich wird es vor allem, wenn ein normalerweise streng reguliertes wachstumsförderndes und ein sehr häufig abgelesenes Gen fusionieren – denn die so angekurbelte Zellteilung fördert das Tumorwachstum.
Bei nahezu allen Krebsarten finden sich TRK Fusionen
TRK-Fusionsproteine, gegen die sich der neue Wirkstoff Larotrectinib richtet, finden sich bei vielen verschiedenen Krebsarten. Hyman: „Insgesamt sind TRK Fusionen zwar selten – aber es ist schwierig eine Tumor-Art zu finden, bei der sie gar nicht vorkommen.“ Die Häufigkeit reiche von 0,5 bis 1% bei häufigen Krebsarten wie Lungen- oder Kolonkarzinom bis zu über 90% bei einigen sehr seltenen Tumoren wie Speicheldrüsenkrebs, juvenilem Brustkrebs oder Fibrosarkomen bei Kindern. Er schätzt, dass in den USA zwischen 1.500 und 5.000 der jährlich diagnostizierten Krebspatienten eine TRK-Fusion aufweisen und damit theoretisch für eine solche Therapie infrage käme.
„Meines Wissens ist Larotrectinib der einzige selektive pan-TRK-Inhibitor in Entwicklung“, sagte er während der Pressekonferenz in Chicago. „Die Ergebnisse verkörpern in meinen Augen das eigentliche Versprechen der Präzisionsonkologie: Einen Patienten basierend auf der Art der Mutation, die er hat, zu behandeln – egal welche Lokalisation der Tumor hat.“
Es lohnt, nach TRK Fusionen auf breiter Basis zu suchen
Der US-Onkologe zeigte sich überzeugt: „Wir glauben, dass das dramatische Ansprechen von Tumoren mit TRK Fusion auf Larotrectinib es rechtfertigt, den breiten Einsatz von Gentests für Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen zu empfehlen, um zu sehen, ob sie diese Veränderung aufweisen.“
Darin pflichtete ihm der ASCO-Experte Prof. Dr. John Heymach vom University of Texas MD Anderson Cancer Center bei: „Man findet nur das, wonach man auch sucht“, sagte er. „Die meisten Tests prüfen bislang nicht auf Fusionen. Aber wenn eine solche Veränderung vorhanden ist, dann scheinen die Patienten von der Behandlung mit dem TRK-Fusions-Inhibitor einen dramatischen Benefit zu haben.“
Hohe Response-Raten, sehr gute Verträglichkeit
Die von Hyman vorgestellten Daten der 55 Patienten stammen von 8 Erwachsenen aus einer Phase-1-Studie, 12 Kindern und Jugendlichen einer Phase-1/2-Studie und 35 Teilnehmern im Alter ab 12 Jahre aus der „Basket Trial“ der Phase-2 mit dem Akronym NAVIGATE, deren Studienleiter Hyman ist. Die Patienten erhalten, nachdem der TRK Fusionsstatus bestätigt ist, den Wirkstoff oral – meist in der Dosis 100 mg bid. Bislang sei die mediane Dauer der Response unter der Therapie noch nicht erreicht, berichtete Hyman – die Mehrzahl der Patienten sprächen nach wie vor auf die Behandlung an. Nach 6 Monaten waren 91% der Patienten, die angesprochen hatten, progressionsfrei, nach 12 Monaten Therapie waren es immer noch 79%. Die längste Ansprechdauer betrage derzeit 25 Monate – und gehe noch weiter, so Hyman. Es sei kein Trend erkennbar, dass eine Tumorart besser anspreche als eine andere.
Der Wirkstoff wird nach seinen Angaben in der Regel sehr gut vertragen. Müdigkeit, leichter Schwindel und Übelkeit seien die häufigsten Nebenwirkungen. Kein einziger Patient musste bisher die Behandlung aufgrund von unerwünschten Effekten abbrechen, bei 13% sei die Dosis wegen Nebenwirkungen reduziert worden, doch habe dies die Effekte auf die Remission nicht beeinträchtigt. Die gute Verträglichkeit führt er auf den gezielten Wirkansatz allein an TRK zurück.
Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Larotrectinib bereits 2016 den Status einer „Breakthrough-Therapy“ zugestanden, dies zur Behandlung von Kindern und Erwachsenen mit TRK-Fusion-positiven unresezierbaren oder metastasierenden soliden Tumoren, die unter systemischer Therapie progredient sind oder bei denen es keine akzeptablen Behandlungsalternativen gibt. Hyman rechnet damit, dass der Zulassungsantrag bei der FDA bereits zum Jahreswechsel 2017/18 eingereicht wird.
REFERENZEN:
1. ASCO Annual Meeting 2017, 02. bis 06. Juni 2017, Chicago/USA
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Diesen Artikel so zitieren: Neuer selektiver Hemmstoff von Fusionsproteinen zeigt „beeindruckende Wirkung“ bei verschiedenen Tumorarten - Medscape - 6. Jun 2017.
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