Glyphosat-Analyse: Haben die Behörden Krebseffekte einfach übersehen? Experten kommentieren

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

2. Juni 2017

Die Diskussion um Glyphosat und mögliche Krebsrisiken nimmt kein Ende: Haben die Europäische Lebensmittelbhörde (EFSA) und die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) bei ihren Beurteilungen des Herbizids Glyphosat mögliche Krebseffekte schlicht übersehen? Ja, meint das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN), das jetzt eine Analyse der Original-Studienberichte der Industrie vorgenommen hat.

Ob die jetzige Analyse eine langfristige Wiederzulassung stoppen kann? „Die Hoffnung ist schwach, aber sie besteht – es kommt ja einiges zusammen. Die Analyse ist das letzte und besonders wichtige Ereignis“, sagt der Berliner Toxikologe und PAN-Vorstand Dr. Peter Clausing gegenüber Medscape. Der Verdacht der Einflussnahme auf die EFSA-Entscheidung durch einen unter Korruptionsverdacht stehenden (ehemaligen) US-EPA-Mitarbeiter komme hinzu.

Wurden bedeutsame Krebseffekte übersehen?

Die Analyse von Prof. Dr. Christopher Portier zeigt, dass vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in seiner ursprünglichen Bewertung nur 20% aller Krebseffekte überhaupt in Betracht gezogen wurden. Er kommt zu dem Schluss, dass in der abschließenden Bewertung durch EFSA und die ECHA 8 signifikante Krebseffekte übersehen wurden, soweit eine Pressemitteilung von PAN [1].

Portier nennt dabei beispielsweise an Mäusen und Ratten beobachtete Lungenkarzinome, Hämangiome, Nierenadenome und hepatozelluläre Adenome. Zu den Daten aus den Original-Studienberichten hatte Portier, ehemaliger Direktor des National Institute of Environmental Health Sciences der USA, durch einen Gerichtsbeschluss Zugang erhalten und diese dann analysiert. Das BfR hingegen sieht  in den Ergebnissen Portiers „keine neuen Erkenntnisse bei der Risikobewertung von Glyphosat“.

Bis Ende 2017 läuft die Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters. Folgt dann die langfristige Wiederzulassung, wie vom Hersteller beantragt? Noch ist nichts entschieden. Wie Medscape berichtet hatte, gelangten die Internationale Krebsagentur der WHO (IARC), die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA), die Europäische Chemikalienagentur ECHA und das Joint Meeting on Pesticide Residues von WHO und FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation) zu unterschiedlichen Schlüssen ob und inwieweit Glyphosat kanzerogen ist oder nicht.

EFSA und ECHA haben bei den Nagetierstudien nicht alle statistisch signifikanten Ergebnisse zur Karzinogenität von Glyphosat identifiziert. Prof. Dr. Christopher Portier

Brief an EU-Kommissionspräsident: Studien sollen neu bewertet werden

In einem 6-seitigen Brief an EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker merkt Portier an, dass das Nichtentdecken von 8 eindeutigen Krebseffekten als Versagen der Behörden interpretiert werden könne. Als Versagen dahingehend, dass zunächst alle verfügbaren Daten sorgfältig analysiert werden sollten, bevor der Schluss gezogen werde, es gäbe keine Belege dafür, dass Glyphosat krebserregend beim Menschen ist. Portier fordert daher, die Studien offenzulegen und neu zu bewerten.

Laut PAN stehen die Ergebnisse Portiers in deutlichem Kontrast zu der Aussage eines Sprechers der EFSA, der im März 2017 meinte: „EFSA und die EU-Mitgliedsstaaten verlassen sich in erster Linie auf die Original-Studienberichte und die ihnen zugrundeliegenden Rohdaten, die von ihnen selbst geprüft werden.“

Portier schreibt an Juncker: „Es gibt einen Punkt der – meine ich – Ihre sofortige Aufmerksamkeit erfordert, bevor es zu einer finalen Entscheidung hinsichtlich der Glyphosat-Zulassungsverlängerung kommt. […] In den zusätzlichen Analysen fand ich 8 signifikante Anstiege in den Tumorinzidenzen, die in keiner der durch die EFSA und die ECHA präsentierten Publikationen oder durch die Mitgliedsländer durchgeführten Evaluationen auftauchten. […] Beide – die EFSA und die ECHA – haben nicht alle statistisch signifikanten Krebsergebnisse bei den Nagetierstudien zur Karzinogenität durch Glyphosat identifiziert.“

Das BfR erklärt dazu: „Die Behauptung, dass Befunde übersehen wurden, ist, basierend auf den vorliegenden wissenschaftlichen Daten und Publikationen der ECHA und der EFSA, nicht korrekt. Alle genannten Originalstudien sind entsprechend ihrer Verlässlichkeit und Relevanz in den Bewertungen der europäischen Behörden berücksichtigt worden.“

Die Behauptung, Befunde seien übersehen worden, ist, basierend auf den vorliegenden wissenschaftlichen Daten und Publikationen von ECHA und EFSA, nicht korrekt. BfR

Bislang, so das BfR seien „die Erkenntnisse von Christopher Portier mit ihren Einzelanalysen leider nicht für die Öffentlichkeit zugänglich und weder peer-reviewed noch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden“. Die Behörde regt deshalb an, „die Berechnungen von Herrn Professor Portier wissenschaftlich zu veröffentlichen, um diese dem wissenschaftlichen Diskurs zuzuführen“.

War die Auswahl der Studien nicht korrekt?

Von den Ergebnissen Portiers abgesehen kritisiert PAN, dass die EFSA bislang eine Erklärung schuldig blieb, warum sie eine unbrauchbare, aber für Glyphosat günstige Studie in die Bewertung einbezog, während eine 2. Studie, die für einen Krebseffekt spricht, wegen angeblicher Virusinfektionen der Versuchstiere von der Bewertung ausgeschlossen wurde.

„Die EFSA hat noch immer nicht erklärt, woran die vermeintliche Virusinfektion in dem konkreten Versuch festgemacht wurde, und der einzige ‚Beweis‘ ist die mündliche Bemerkung von Jess Rowland, eines ehemaligen Mitarbeiters der U.S.-Umweltbehörde (EPA), der in den so genannten ‚Monsanto-Papers‘ auftaucht. Während Herr Tarazona, der Leiter der Pestizidabteilung der EFSA, behauptet, dass die Entscheidung zum Ausschluss der Studie nicht auf eine Einflussnahme von Jess Rowland zurückzuführen sei, hat er es bislang versäumt, sachliche Gründe für diese Entscheidung zu nennen“, betont Clausing.

Er fährt fort: „Die Neubewertung der Rohdaten, wie von Portier in seinem Brief an Kommissionspräsident Juncker gefordert, ist das Mindeste, was jetzt passieren muss. Es geht nicht nur um die Glaubwürdigkeit der zuständigen Behörden, es geht vor allem um den Schutz der Gesundheit von über 500 Millionen EU-Bürgern.“

Die Neubewertung der Rohdaten, (…) ist das Mindeste, was jetzt passieren muss. Dr. Peter Clausing

Wie geht es weiter? Clausing: „Sobald die ‚Opinion‘ der ECHA publiziert ist, wird es von PAN eine Analyse der Opinion geben. Ob das zusammen ausreicht, um die Entscheidung noch einmal zu verändern, ist schwer einzuschätzen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.“



REFERENZEN:

1. Pestizid Aktions-Network: Pressemitteilung, 29. Mai 2017

Kommentar

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