Cluster-Kopfschmerz: Permanentes Stimulationssystem am Oberkiefer hilft gegen Schmerzattacken

Dr. Thomas Meißner

Interessenkonflikte

1. Juni 2017

Erfurt – Cluster-Kopfschmerzen gehören zu den stärksten Schmerzformen überhaupt. Die Anfälle können zum Teil nur unzureichend mit Standardtherapien beherrscht werden. In einigen Zentren wird solchen Patienten ein permanentes Stimulationssystem an das Ganglion sphenopalatinum (SPG) am seitlichen Oberkiefer implantiert. Bei einer Schmerzattacke aktiviert der Patient mit einem Sender die implantierte Elektrode. Dazu hält er das an einen Telefonhörer erinnernde Gerät in Höhe des Jochbeins an die Wange. Im Idealfall unterbricht die auf diese Weise erfolgte Neuromodulation die Weiterleitung von Schmerzsignalen.

Prof. Dr. Thomas Klenzner

Die Erfahrungen mit der Methode in Studien und in der Praxis sind gut, erklärt Prof. Dr. Thomas Klenzner von der Universitäts-HNO-Klinik Düsseldorf. „Vier Wochen nach der Operation wird das Implantat aktiviert. In der Folge berichten viele Patienten über einen Rückgang der Anfallshäufigkeit und der Schmerzstärke“, sagte Klenzner bei der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie in Erfurt [1].

HNO-Ärzte sind wegen ihrer chirurgischen Expertise in dieser Körperregion in die Schmerztherapie von Cluster-Kopfschmerz-Patienten involviert. Ansonsten erfolgt die Schmerztherapie interdisziplinär gemeinsam mit Neurologen und Neurochirurgen, teils auch Mund-Kiefer-Gesicht-Chirurgen. Die Operation gilt als anspruchsvoll und ist mit Risiken verbunden. Dennoch ist Klenzner überzeugt: „Die SPG-Stimulation wird ihren Platz in der klinischen Versorgung finden.“

Weltweit 400 Patienten mit diesem Stimulationssystem versorgt

Klenzner und sein neurochirurgischer Kollege Prof. Dr. Jan Vesper haben am Zentrum für Neuromodulation in Düsseldorf bislang 9 Patienten mit dem Stimulationssystem Pulsante™ SPG Microstimulator versorgt. In Deutschland bieten nach Angaben des Herstellers derzeit 14 Zentren den Eingriff an – weltweit sollen bislang etwa 400 Patienten mit dem in Europa CE-zertifizierten System versorgt worden sein.

Das ist eine noch überschaubare Zahl, die der Seltenheit dieser Kopfschmerzform geschuldet ist. Die Einjahres-Prävalenz wird hierzulande mit etwa 0,1 bis 0,2% angegeben. Die aus heiterem Himmel auftretenden, heftigsten Schmerzen werden meist einseitig um das Auge herum oder hinter dem Auge lokalisiert und als reißend, bohrend, manchmal auch als brennend beschrieben. Sie dauern im Allgemeinen etwa 15 Minuten oder bis zu 3 Stunden an.

Die Schmerzen werden von autonomen Begleitsymptomen begleitet – wie einem tränenden Auge, konjunktivaler Injektion, geschwollenem Augenlid oder laufender Nase. Männer sind von den Attacken dreimal häufiger betroffen als Frauen. Der Grund dafür ist unbekannt, wie auch sonst die pathophysiologischen Ursachen von Clusterkopfschmerzen noch der Aufklärung bedürfen. Die Diagnose wird häufig mit jahrelanger Verzögerung gestellt.

 
In der Folge berichten viele Patienten über einen Rückgang der Anfallshäufigkeit und der Schmerzstärke. Prof. Dr. Thomas Klenzner
 

Akutbehandlung mit Triptanen oder Sauerstoff – nicht bei allen erfolgreich

Die übliche Akutbehandlung besteht aus Sumatriptan 6 mg subkutan oder 5 bis 10 mg Zolmitriptan nasal. Die Inhalation von 100%-igem Sauerstoff über eine Gesichtsmaske ist bei 3 von 4 Clusterkopfschmerz-Patienten erfolgreich. Kurzfristig können Kortikoide verwendet werden. Zur Attackenprophylaxe werden Verapamil, Lithium und Topiramat eingesetzt.

Doch ein Teil der Patienten kommt damit nicht aus, ihre Lebensqualität ist stark beeinträchtigt. So litten die Teilnehmer der Pathway CH-1-Studie trotz konventioneller Therapie an durchschnittlich mehr als 19 Attacken pro Woche. Von den 28 Patienten, die diese randomisierte Studie zur Effektivität und Sicherheit der SPG-Stimulation abschließen konnten, erreichten 68% eine signifikante Schmerzlinderung und/oder eine mindestens 50%-ige Reduktion der Attackenfrequenz.

Die SPG-Stimulation wird im Allgemeinen mit der Standardtherapie kombiniert. Bei den meisten Respondern scheint die Wirksamkeit der SPG-Stimulation anzuhalten, wie eine Verlängerungsstudie über 24 Monate ergeben hat.

SPG-Stimulation: Aufwändige OP-Planung – exakte Positionierung wichtig

Dafür müssen sich die Patienten einem etwa zweistündigen Eingriff in Vollnarkose unterziehen, so Klenzner zu Medscape. Voraus geht eine aufwändige Operationsplanung: Aus den dreidimensionalen Datensätzen einer Schädel-Computertomografie wird am 3D-Drucker ein Modell der Schädelregion generiert. Damit lassen sich die Implantatgröße, passend zur Flügelgaumengrube (Fossa pterygopalatina), in dem das Implantat sitzen soll, die Länge des Elektrodenkabels sowie die Fixationspunkte am Knochen vorherbestimmen.

Pulsante™ SPG Microstimulator in der Hand

(Bild: Autonomic Technologies, Inc.)

Die Implantation selbst erfolgt durch den Mundvorhof, so dass keine äußeren Narben verbleiben. Das Implantat wird unter fluoroskopischer Kontrolle mit einem Applikator über eine bukkal präparierte Zahnfleischtasche eingeführt. Es befindet sich an einer biegsamen Metallplatte, die mit winzigen Schrauben unterhalb des Jochbogens fixiert wird. Das Implantat selbst sitzt an der dünnen Hinterwand der Kieferhöhle.

Die exakte Positionierung der Elektrode in Nähe des Ganglions ist äußerst wichtig, weil nur dann eine Wirkung erzielt werden kann. Deshalb wird die Position des Implantats nach Abschluss der Platzierung durch den Chirurgen radiologisch mit dem präoperativ erstellten CT-Datensatz abgeglichen, und es erfolgt eine Probestimulation.

Nach der Operation muss sich der Patient noch 4 bis 6 Wochen gedulden, damit das Gewebe abschwellen und das Implantat einheilen kann. Es folgt die Einstellungsphase, um die für den jeweiligen Patienten notwendigen individuellen Stimulationsparameter festzulegen.

 
Die SPG-Stimulation wird ihren Platz in der klinischen Versorgung finden. Prof. Dr. Thomas Klenzner
 

Später hält der Patient im Falle einer Schmerzattacke den eingeschalteten Neurostimulator etwa 15 Minuten an die Wange. In den genannten Studien sollten die Patienten erst nach dieser Zeit und bei noch unzureichender Schmerzlinderung ihr Triptan nehmen und weitere therapeutische Maßnahmen ergreifen. Aktuelle Langzeitdaten bestätigen, dass 79% der Responder keine Akutmedikation benötigen.

Attackenfrequenz nimmt oft ab, manchmal aber auch zu

Kürzlich veröffentlichte Zweijahres-Daten mit einer Auswertung von fast 6.000 Attacken bei 33 Patienten haben bestätigt, dass knapp die Hälfte von ihnen gut anspricht und meist keine weitere Therapie benötigt. Bei einem Drittel der Patienten nimmt die Attackenfrequenz um durchschnittlich 83% ab. Insgesamt sprachen 20 der 33 Patienten (61%) auf die Behandlung an.

Zur Wahrheit gehört aber ebenso, dass die Operation Nebenwirkungen haben kann und dass nicht jeder Patient dauerhaft anspricht – bei einigen war sogar ein Anstieg der Attackenfrequenz beobachtet worden. Eine Erklärung dafür gibt es nicht.

Das postoperative Taubheitsgefühl an der Wange bilde sich meist wieder zurück, erklärt Klenzner. Zudem können Kaubewegungen behindert sein, weil sich die entsprechende Muskulatur im Operationsfeld befindet – auch dies klingt in der Regel wieder ab. Zu vermeidende allgemeine Operationsrisiken sind Nerven- und Gefäßaffektionen sowie Infektionen; die nahe gelegene Augen- und Kieferhöhle dürfen nicht tangiert werden.



REFERENZEN:

1. 88. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO KHC), 24. bis 27. Mai 2017, Erfurt

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....